StartseitePublikationenBernd HainmüllerWelche Lehrer braucht man für Kooperationsklassen?

Welche Lehrer braucht man für Kooperationsklassen?

Bernd Hainmüller

Ca. 8 % aller Jugendlichen verlassen in Baden-Württemberg die Schule ohne einen Schulabschluss. Um dieser jahrzehntelangen konstanten Entwicklung entgegenzuwirken, wurden ab dem Jahre 1997 die Kooperationsklassen Hauptschule-Berufsschule ins Leben gerufen, die in einem zweijährigen Bildungsgang - der inzwischen zu einer Regelform der Haupt/Werkrealschule in Baden-Württtemberg geworden ist - versuchen, auch denjenigen Schülerinnen und Schülern zu einem gelingenden Schulabschluss und einem Anschluss an die Berufs- und Arbeitswelt zu verhelfen, die ansonsten innerhalb des Schulsystems gescheitert wären. Eine der zentralen Fragen bei der Installierung dieser Klassen landesweit mit über 60 Standorten war die Rekrutierung von Lehrern, die bereit und geeignet sind, in diesen Klassen - ohne Sondervergütungen - zu unterrichten. Dass solche Personen über ein weiter ausgefächertes und ausdifferenziertes Kompetenzgeflecht verfügen müssen als die "normal" ausgebildeten Lehrkräfte, trat bei der Einrichtung solcher Klassen relativ schnell und offen zutage. Da es sich als schwierig erwies, aus den Kollegien der Hauptschulen an den KOOP-Standorten (diese benötigen neben einer koordinierenden Hauptschule auch eine mit ihr zusammenarbeitende Gewerbeschule, sonst greift das Konzept nicht) entsprechende Klassenlehrer für KOOP-Klassen zu gewinnen, legte ich in meiner Funktion als Bereichsleiter des Seminars für Didaktik und Lehrerbildung (GHS) Offenburg eine Konzeption vor, die Lehrer für diese Klassen direkt im Rahmen der 2. Phase der Lehrerausbildung zu gewinnen und mit speziellen Zusatzqualifikationen auszubilden, Vom Regierungspräsidium Freiburg, in Absprache mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, erhielt das Seminar Offenburg den Auftrag, ab 2004 eine spezielle Ausbildung für Referendarinnen und Referendare an Hauptschulen mit besonderen pädagogischen Aufgabenstellungen anzubieten. 

1.Profilbildung der Seminare innerhalb des Referendariats

 Zum Profil der Staatlichen Seminare für Grund- und Hauptschulen (GHS) gehört auch die Stärkung der Hauptschulen. Diese Möglichkeit einer zusätzlichen Qualifizierung im Bereich Hauptschulen bieten die Seminare Lörrach und Offenburg seit Kurs 2006 an. Ab Kurs 2007 gehören mit dem Seminar Rottweil alle drei Seminare des Regierungspräsidiums Freiburg diesem Ausbildungsverbund an. Damit besteht erstmals in nennenswertem Umfang die Möglichkeit der Personalentwicklung im Bereich der Betreuung benachteiligter Jugendlicher in Hauptschulen.  Grundlage dafür ist die gemeinsam zwischen den Seminaren abgestimmte Konzeption der Zusatzqualifizierung für die Arbeit mit Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf  in der Hauptschule. Im Bereich des Staatlichen Seminars Lörrach erfolgt die Ausbildung im Rahmen der Standorte Kooperationsklassen Hauptschule – Berufsschule und des Modells „Lernstatt“ der Hebelschule Freiburg, am Seminar Offenburg erfolgt die Zusatzqualifizierung an den 5 Standorten von Kooperationsklassen (Freiburg, Emmendingen, Lahr, Offenburg, Kehl) im Einzugsbereich. Im Einzugsbereich des Seminars Rottweil sind dies die Standorte Rottweil, Tuttlingen, Stockach und Radolfzell. Es war von vorneherein intendiert, nicht nur die Kooperationsklassen und ihre Schüler/innen in den Blick zu nehmen. Es ist nicht vermessen, zu konstatieren, dass es in allem Haupt- und Werkrealschulen - unabhängig davon, ob sie einem KOOP-Standort angehören, Jugendliche gibt, die in den 8. Klassen - oder früher - kurz vor dem Scheitern ihrer Schullaufbahn stehen. Sie zu fördern, bevor die Schwierigkeiten in der Hauptschule/Werkrealschule und Gemeinschaftsschule überhand nehmen, nahm die folgende Ausbildungskonzeption in Hinsicht auf den "professionellen" Umgang mit den „verhaltensoriginellen“, „schulmüden“ und „schulverweigernden“ Jugendlichen ebenso in den Blick wie unterschiedliche Unterstützungssysteme für die Lehrer/-innen, die Eltern und die Jugendlichen selbst.

Am Seminar Offenburg gibt es mehrere Pädagogikgruppen mit einer besonderen Profilbildung. Die hier dargestellte Qualifikation richtet sich an Lehreranwärter/-innen mit dem Schwerpunkt Hauptschule/Werkrealschule bzw. an Lehreranwärter/-innen die einen entsprechenden Schwerpunktwechsel planen. Um einen intensiven Praxisbezug zu ermöglichen, erhalten Sie einen Ausbildungsplatz an einer Schule, die ein entsprechendes Handlungsfeld vorweisen kann. Die Pädagogikgruppe mit dem Profil „Schulen mit besonderen pädagogischen Aufgaben“ des Seminars Offenburg kooperierte bis zum Jahre 2013 mit Ausbildungsgruppen der Seminare für Didaktik und Lehrerbildung (GWHS) Rottweil und Lörrach. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Profilgruppe besuchen teilweise gemeinsame Ausbildungsmodule. Dabei erwerben sie innerhalb ihrer Ausbildung zur GWHS-Lehrerin/zum GWHS-Lehrer Qualifikationen für besondere pädagogische Aufgaben und erhalten zum Abschluss eine offizielle Teilnahmebestätigung für diese Profilbildung.

2. Konzeption der Zusatzqualifizierung von Referendarinnen und Referendaren in Hauptschulen mit besonderen pädagogischen Aufgabenstellungen

 2.1.      Ziel der Zusatzqualifizierung

 Die Ausbildung befähigt eine Gruppe von dafür aufgrund ihrer Lern- und Berufsbiographie besonders geeigneten Lehreranwärterinnen und -anwärter dazu, während ihres Referendariats in Kooperationsklassen, Lernstattklassen oder Haupt/Werkrealschulen in sozialen Brennpunkten zu unterrichten. Dazu lernen die betreffenden Lehreranwärterinnen und -anwärter verschiedene Ansätze und Elemente kennen, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler mit Lern- und Lebensschwierigkeiten innerhalb von Modellen wie Kooperationsklassen, Lernstattklassen oder Haupt/Werkrealschulen in sozialen brennpunkten bei der Bearbeitung ihrer Schwierigkeiten unterstützt werden können. Im Ergebnis können diese Referendarinnen und Referendare nach Beendigung der 2. Phase der Lehrerausbildung und mit der Unterstützung durch die spezifischen Angebote der 3. Phase („Koop-Fortbildungen“) in Kooperationsklassen und Lernstattklassen tätig werden.

 2.2.      Bausteine der Zusatzqualifizierung
Die Ausbildung beruht auf den Grundlagen der GHPO II; die Ausbildung und Prüfung in den studierten Fächern findet innerhalb des Regelunterrichts statt. Darüber hinaus absolvieren die betreffenden Referendarinnen und Referendare im Rahmen der Seminararbeit die folgenden drei Bausteine der Zusatzqualifizierung:

 2.2.1.   Sozialpädagogische Module

 An mehreren Nachmittagen und während eines Hüttenaufenthalts finden in Freiburg als zentralem Ort gemeinsame  Informationsveranstaltungen der Ausbildungsgruppen der Staatlichen Seminare Offenburg, Lörrach und Rottweil statt.  Absolviert werden 8 Module zu den Themen Sozialpädagogische Handlungsansätze, Institutionen der Jugendhilfe, Beziehungsgestaltung mit schwierigen Schülerinnen und Schülern, Übergänge von der Schule in die Berufs-  und Arbeitswelt (in Kooperation mit dem Bundesverband Berufliche Qualifikation – BBQ), Erlebnispädagogik und Projekte in Kooperations- u. Lernstattklassen. Diese Module finden innerhalb des ersten Ausbildungsabschnitts statt.  Diese Module ersetzen die obligatorischen 35 Stunden „Erweitertes Ausbildungsangebot“ (EAA), stellen also keine Ausdehnung der Ausbildungszeit dar. Die Teilnahme an dieser Zusatzqualifikation wird zertifiziert, je nach Einsatzort (KOOP-Klassen oder WRS/HS-Klassen) 

 2.2.2.   Begleitung im Rahmen einer teilnehmer- und prozessorientierten Ausbildung

a)    Innerhalb der Pädagogikgruppen erarbeiten und trainieren die betreffenden Lehreranwärterinnen und -anwärter anhand konkreter Fall-Arbeit sozialpädagogische Handlungsansätze für den Umgang mit verhaltensauffälligen Jugendlichen.

b)    Zur regelmäßigen Begleitung und Absprache innerhalb der Ausbildungsgruppe erproben wir im Kurs 2007die Einrichtung eines regelmäßigen Austausch-Forums.

 Dieser Baustein findet vorwiegend im zweiten Ausbildungsabschnitt statt.

 2.2.3.   Training von Unterricht

 An mehreren Vormittagen arbeiten die Ausbildungsgruppen der Seminare vor Ort an Schulen mit Kooperationsklassen, bzw. der Lernstatt. Inhalt dieses Bausteins der Zusatzqualifizierung ist die Planung, Durchführung und Reflexion von Unterrichtsstunden in einer Kooperationsklasse oder Lernstattklasse.

 2.2.4.   Zusammenfassung

 Zusammenfassend lässt sich die Zusatzqualifizierung als Profilbildung innerhalb der Ausbildung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen beschreiben. Durch die Teilnahme an den drei Bausteinen der Zusatzqualifizierung setzen die teilnehmenden Lehreranwärterinnen und -anwärter deutliche Schwerpunkte im Bereich der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen.

 2.3.      Verlauf der Zusatzqualifizierung

 Während des ersten Ausbildungsabschnitts hospitieren die Lehreranwärterinnen und -anwärter an ihren jeweiligen Standorten und  führen auch eigene Unterrichtssequenzen mit Kleingruppen und der ganzen Klasse durch. Darüber hinaus nehmen sie Möglichkeiten wahr, wesentliche Elemente der schulischen Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen in der Praxis vor Ort kennen zu lernen: Berufsorientierende Maßnahmen in den Kooperationsklassen 1 und 2, erlebnispädagogische Maßnahmen, Kennen lernen der zugehörigen Berufsschule, Hospitieren im BVJ. Die Lehreranwärterinnen und -anwärter nehmen an Teamsitzungen der Standorte teil und in Absprache mit den Teams der Standorte an ausgewählten weiteren Maßnahmen, wie bspw. an einem Runden Tisch, an Schüler- und Elterngesprächen, an Gesprächen im Rahmen der Zusammenstellung der neuen Klasse. In Absprache mit den Klassenlehrerinnen und -lehrern der betreffenden Klassen erhalten die Auszubildenden einen Unterrichtsbesuch durch die Projektleiterin, den Projektleiter des Seminars. Am Ende des ersten Ausbildungsabschnitts wird im Einvernehmen zwischen der Schulleitung, der Mentorin, dem Mentor und der Projektleiterin, dem Projektleiter des Seminars über einen Einsatz im selbständigen Unterricht innerhalb der Kooperationsklasse oder Lernstattklasse entschieden.  

Ist kein selbständiger Unterricht vorgesehen, so wird das Referendariat im zweiten Ausbildungsabschnitt in den Regelklassen der Grund- und Hauptschule fortgeführt. 

 Ist selbständiger Unterricht in der Kooperationsklasse oder Lernstatt geplant, so werden die Lehreranwärterinnen und -anwärter innerhalb des zweiten Ausbildungsabschnitts auf einen künftigen Einsatz in Kooperationsklassen oder Lernstattklassen vorbereitet. Die Verteilung des Lehrauftrags erlaubt die Schwerpunktsetzung in der Hauptschularbeit. Der selbständige Unterricht in den Kooperationsklassen 1 oder 2, bzw. in einer Lernstattklasse ermöglicht pädagogische Erfahrungen in diesem Arbeitsfeld, und die Bausteine der Zusatzqualifizierung am Seminar unterstützen die Praxisarbeit durch Training und Reflexion. Wenn möglich sollte das Projekt für die schriftliche Hausarbeit in der Kooperationsklasse oder der Lernstatttklasse durchgeführt werden, um eine vertiefte Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis der Benachteiligtenpädagogik zu erreichen.

 2.4.      Kooperationen

 Für das Gelingen der Ausbildung ist die gute und enge Zusammenarbeit mit den Schulleiterinnen und Schulleitern, Mentorinnen und Mentoren, den zuständigen Lehrerteams der Standorte und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bildungsverbunds Berufliche Qualifikation (BBQ) zentral. Aus diesem Grund stehen die Projektleiter in regelmäßigem Kontakt mit den einzelnen Standorten und laden die jeweils zugehörigen Mentorinnen und Mentoren der Standorte im Laufe der Ausbildung zu einem gemeinsamen Austausch- und Arbeitstreffen in die Seminare ein. Von ebenfalls hoher Bedeutung ist die Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium und seiner Koordinatorin für Kooperationsklassen. Die Staatlichen Seminare Lörrach, Offenburg und Rottweil arbeiten in einem Ausbildungsverbund zusammen. Dem Ausbildungsverbund obliegt die Planung, Durchführung und Auswertung der sozialpädagogischen Ausbildungsmodule. Mit der Zusatzqualifizierung sollen Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden, die im Ergebnis über vertiefte sozialpädagogische Handlungskompetenzen verfügen. Daher wird im Rahmen der Bausteine der Zusatzqualifizierung die Kooperation mit Trägern der Jugendhilfe und der Sozialarbeit / Sozialpädagogik angestrebt. Außerdem ist geplant, die Zusammenarbeit mit den Fachhochschulen für Sozialpädagogik und Sozialarbeit zu suchen und die bereits bestehende Kooperation mit der PH Freiburg auf die für die Zusatzqualifizierung relevanten Bereiche auszuweiten. 

3. Wie werden die Teilnehmer/innen gewonnen?

Voraussetzungen für die Teilnahme an der Zusatzqualifikation ist die Zuweisung der entsprechenden Person zur Absolvierung der 2. Phase der Ausbildung an das jeweilige Seminar als Ausbildungsort. Um in die jeweilige "KOOP-Ausbildungsgruppe“ aufgenommen werden zu können, sind folgende Voraussetzungen von Vorteil: 

- Eine Berufsausbildung vorzugsweise im Bereich der Sozialpädagogik/ Sozialarbeit (Heimerziehung, Jugendberufshilfe, Arbeit in sozialen Brennpunkten etc.) oder der Lehrlingsausbildung
- Affinität zum sozialpädagogischen Feld, Interesse und eventuell Erfahrungen im Umgang mit benachteiligten Jugendlichen

Um zu  dieser Qualifikation am Seminar Offenburg zugelassen zu werden, durchlaufen alle Interessentinnen und Interessenten ein Bewerbungsverfahren:
1. Schritt: Motivationsschreiben (warum möchte ich das machen?) mit Lebenslauf an das Seminar Offenburg zu Händen des Pädagogik Beauftragten. 
2. Einzel-Bewerber-Gespräche entlang vorab angeforderter Lebensläufe und Motivationsschreiben
3. Vorstellung bei den Standorten nach Absprache mit KOOP-Teams, Rektoren und Seminar
4. Nach Erhalt der Alpha Liste erfolgt die endgültige Zuweisung zu den Standorten
5. Zuweisung zur Päd-Gruppe KOOP
6. Beginn der Module der Zusatzquali ab März des jeweiligen Ausbildungsjahres
7. Ausgabe der Zertifikate nach Absolvierung der Ausbildung. Es werden nur die diejenigen Module zertifiziert, die durchlaufen wurden


Abb. 1:  Teilnehmer 2012 bei einer project adventure Übung (Hüttenaufenthalt)

  1.  Bausteine der Zusatzqualifizierung
  1. Auftaktveranstaltung:Begrüßung im Namen des RPF 

  2. Beitrag über Koop-Klassen

  3. Planung des Hüttenaufenthalts durch die Teilnehmer/innen

  4. Hüttenaufenthalt mit schwierigen Schüler/innen

  5. Seelische Erkrankungen im Jugendalter 

  6. Gesprächsführung Leiten, führen, Gespräche führen 

  7. Risikokandidaten: Umgehen mit riskant konsumierenden Jugendlichen 

  8. Übergänge ins Berufsleben für benachteiligte Jugendliche

  9. Jugendhilfe und benachteiligte Jugendliche

  10. Anschließende Abschlussreflexion, Evaluation

  11. Regionale Module: Fakultative Angebote, z. B. Coaching in Unterrichtssituationen

Zwischen 2005 und 2013 haben in den drei zum Ausbildungsverbund zusammengeschlossenen GHS-Seminaren ca. 120 Lehreranwärter/innen diese Zusatzqualifizierung durchlaufen. Viele von Ihnen sind inzwischen als Klassenlehrer in KOOP-Klassen tätig.