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Walter Mossmann (1941-2015) - ein Nachruf

Bernd Hainmüller

Walter MossmannAbb. 1:  Walter Mossmann

Einer der eindrücklichsten Lieder, die mir von den vielen Abend und Gesprächen mit Walter Mossmann im Gedächtnis hängen geblieben sind, handelt nicht vom Kampf gegen das Kernkraftwerk in Wyhl, nicht von Gorleben, nicht von Seveso - es ist auch keines jener Flugblattlieder, die Walter zu vielen Gelegenheiten gedichtet und gesungen hat. Es ist ein Lied mit dem auf den ersten Blick merkwürdigen Titel "Am zehnten Tag im elften Monat" auf der Platte "Große Anfrage von 1968". Das war die erste "richtige" Platte von Walter und bei ihr war noch viel zu spüren von dem Walter, den die meisten so nicht kennen - woher auch? Der Liedtext ist erstmals veröffentlicht worden in dem 1980 vom Rotbuch-Verlag Berlin herausgegebenen Buch: Walter Mossmann: Flugblatt-Lieder - Streitschriften. Hier steht als Erklärung für den Titel:" ...bezieht sich auf ein Bibel-Zitat. Um rauszukriegen,ob die Erde nach der Sintflut wieder bewohnbar ist, ließ Noah eine Taube fliegen.Da aber die Taube nicht fand,da der Fuß ruhen konnte,kam sie wieder zu ihm in den Kasten (1.Mose 8,9) ". Geschrieben 1967 im Jostal im Schwarzwald - die Sintflut war grade in Gang gekommen mit dem 2. Juni und dem Tod von Benno Ohnesorg. Wir trafen uns zum ersten Male kurz nach den Fahrpreisdemonstrationen im Februar 1968 beim Jour fixe des SDS in der Alten Uni - der SDS hatte nach der Knüppelorgie der Polizei am Freitag, 9. Februar 1968 enormen Zulauf von wütenden jungen Männer und Frauen, denen der Staat gezeigt hatte, dass er über mehr Machtmittel verfügte als wir das geahnt hatten: nicht das Wort und den Protest, sondern die nackte Gewalt trieb viele zum SDS, der Gruppe mit dem größten Potential an Gegengewalt. Walter wohnte im ersten Stock über der Backstube des Cafe Ruef in der Bertoldstrasse - der beste Ort, um nach den geistig anstrengenden und langwierigen Debatten der SDS-Vollversammlungen abzuhängen. Die späteren Lieder, mit denen Walter bekannt wurde, waren zu diesem Zeitpunkt nur in seinem Kopf. Mir aber ist eindrücklich das Lied mit dem merkwürdigen Titel in Erinnerung geblieben, das von etwas handelt, was wir alle kannnten: unsere Kindheit und Jugend "nach dem großen Krieg" (wie ihn die Eltern verharmlosend nannten). Walter, 1941 geboren, war ein "Kriegskind", der Vater kam erst spät aus der Gefangenschaft zurück und kannte seine eigenen Kinder nicht mehr. Wir anderen Jung-SDS´ler waren etwas jünger, die Jahrgänge 1946-1949, aber das Szenario, das sich uns in unseren Geburts- oder Heimatstädten während der Kinder- und Jugendjahre bot, glich der Szenerie, die Walter Mossmann in dem Lied schildert:

Am zehnten Tag im elften Monat

Ich schau' mein Foto an von vor zwanzig Jahren
Und sehe Hass und Angst und Widerspruch und Neid
Versteckte Augen unter viel zu langen Haaren
Im Hintergrund die Kriegsmüllhalde, leer und weit

Gewiss, da standen keine Wälder
Und schwarz und schweigend war da bloß die Stadt –
Der Mond verkroch sich in Ruinenfelder
Und viele schliefen nicht, und manche waren satt

Wir rissen Ziegel für die Spatzenfallen
Aus einem sinnlosen Friedhofsmauerstück –
Besonders abends hörte man Kanonen knallen
'S war Friede, nur das Echo schoss zurück

Da gab's Patrouillengänge nachts ins Ami-Lager
Wir stahlen Kupferdraht und Blei –
Die Frauen dort war'n bunt und nicht so mager
Die rauchten, lachten, machten viel Geschrei

Ein Mann am Fenster spielte mit den Krücken
Was man in solchen Zeiten häufig sieht
Wir mussten »Vater« sagen, er musste nicken
Wir lernten neue Wörter, zum Beispiel »invalid«

Wir hatten keine Sehnsucht nach dem Winter
Der Füße frisst, die Augen und den Mut
Wir schauten neidisch auf die kurzbehaarten Kinder
Aus jenem Goldorangenland* – dort wär's wohl gut!

Gewiss, da steh'n jetzt wieder Wälder
Ein Strahlengürtel liegt um jede Stadt
Wir wissen, fruchtbar sind Ruinenfelder
Wir schlafen sorglos, lachen satt

Wir tragen Goldorangen in den Händen
Und frieren nicht, wenn's in Sibirien schneit
Man zeigt uns Kinder vor verbrannten Wänden
Und wir verachten Hass und Angst und Neid!

Ich schau' mein Foto an von vor zwanzig Jahren
Und sehe Hass und Angst und Widerspruch und Neid –
War das Hanoi, Detroit oder Jordanien?
Im Hintergrund die Kriegsmüllhalde, leer und weit.

* Goldorangen kamen aus Kalifornien, einem Land, das für uns weiter weg war als der Mond.

Walter Mossmann: Große Anfrage (1968)

Im Begleittext zu seiner späten Gesamt-CD schreibt er zu diesem Lied:

"Das ziemlich exakte autobiographische Lied überblendet Erinnerungen an meine Kindheit im zerbombten Karlsruhe mit Fernsehbildern von 1967 (War das Hanoi, Detroit oder Jordanien?) also mit Bildern von den Bombardierungen in Nord-Vietnam, von den Riots in verschiedenen Städten der USA und vom sogenannten Sechs-Tage-Krieg, Juni 1967".
Ich kannte Karlsruhe gut, der Star-Club dort war für uns mit dem Moped von Baden-Baden kommend die nächste Anlaufstelle für die von den Eltern gehasste Rockmusik der langhaarigen Gammler von den Rattles, German Bonds oder Them. Wir wussten, wie Karlsruhe aussah, denn kaum anders sah es in Pforzheim, Freudenstadt, Rastatt oder Freiburg aus: Kriegsruinen, in deren Trümmern wir - ohne Aufsicht der Erwachsenen - spielten, Feuer machten und immer auf der Suche nach Munition oder Bombenresten waren - das gab gutes Taschengeld beim Schrotthändler. Und wir schauten "neidisch auf die kurzbehaarten Kinder aus jenem Gold-Orangen-Land, dort währs wohl gut", das war für uns Kalifornien, denn von dort kamen die seltenen und sehr teueren Orangen, die wir uns nicht leisten konnten (und von dort kamen auch die dicken Pfirsiche in den Cling Peaches- Konservendosen mit dem Zuckerwasser, die so gut zu Schokoladenpudding passten). Auch die Patrouillengänge ins Ami-Lager oder ins Franzosen-Lager kannten wir - wir nannten sie Patrouillen, weil uns dieses Wort die älteren, die noch in der HJ gewesen waren, beigebracht hatten und gestohlen wurde neben Kupferdraht und Blei (siehe Taschengeld) auch Karbid, mit dem man diese Bomben in Milchkannen bauen konnte (Karbid rein, Wasser drauf, Deckel zu und päng, flog die Kanne in die Luft). Nur das mit den Frauen, das hat wohl bloß Walter Mossmann so genau betrachtet, dass sie bunt und nicht mager waren und geschenkte Zigaretten rauchten, aber was unsere Eltern über diese deutschen "Huren" dachten, wußten wir schon. Dieses Band des Wissens, dass wir aus bösen Zeiten stammten, hielt uns neben der Unzufriedenheit mit den Autoritäten, die uns das alles eingebrockt hatten, zusammen. Ohne diese sich vor uns auftürmenden eigenen Erinnerungen an den Krieg, der sich buchstäblich vor unseren Augen abgespielt hatte, konnten wir vielleicht besser als viele andere nachvollziehen, was Bomben auf Hanoi, Da Nang oder in Palästina für die Kinder dort bedeuteten und dementsprechend lauthals war unser Protest dagegen.

Danke, Walter, dafür, dass du diese Erinnerung für uns alle wachgehalten hast.

Bernd Hainmüller