Vorberufliches Praktikum in VABO
Bernd Hainmüller
Für die Arbeit in Flüchtlingsklassen ist die vorberufliche Orientierung eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Integration. Im Unterschied zu den berufsorientierenden Maßnahmen in allen Schulformen (OiB; BOGY;BORS) existieren hier aber noch keine Beschreibungen, was die Ziele dieser beruflichen Orientierung ausmachen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass in den Herkunftsländern der Flüchtlingsjugendlichen keine Schulformen existieren, die eine berufliche Orientierung explizit zum Inhalt haben. Von daher ist es auch wenig verwunderlich, dass unsere Schüler mit dem Begriff „Betriebspraktikum“ nichts anfangen können und noch weniger verstehen, warum jemand außerhalb der Schule arbeiten soll, ohne dafür eine Bezahlung zu erhalten. Neben diesem Grundkonflikt – der sich verschärft durch die Tatsache, dass viele Schüler hohe Kosten für die Schlepperbanden zurückzahlen müssen (bei unseren Schülern sind das im Schnitt über 10.000 Euro) – gibt es weitere große kulturelle Unterschiede in den Sekundärtugenden, die bei uns in der Begegnung mit der Arbeitswelt als essentiell angesehen werden: ohne Pünktlichkeit und Sauberkeit am Arbeitsplatz, ohne Einpassen in Teamstrukturen und das klaglose Aushalten des langen Arbeitstags und die nicht immer angenehme Arbeitsumgebung - unabhängig von Außentemperaturen, Wetter und Gelände – wird eine Vermittlung in einen Praktikumsbetrieb zu einer Herkulesaufgabe für den Lehrer. Darüber hinaus droht bei einem Scheitern des Praktikanten aufgrund dieser Voraussetzungen, dass der Betrieb keine Flüchtlingspraktikanten mehr nimmt. Inzwischen haben zwar die Arbeitgeberseite (z. B. Südwestmetall und die IHK) sog. Stellen für „Integrationslotsen“ (sogenannte „Kümmerer“) ins Leben gerufen. Die VABO-Klassen werden von der Berufsberatung betreut. Für gerade die jugendlichen Flüchtlinge bietet die Arbeitsagentur eine Reihe von Angeboten, die dabei helfen sollen, nach VABO in Ausbildung oder Arbeit einzumünden. Dennoch wird die Vermittlung von Flüchtlingsschülern als Praktikanten eine Daueraufgabe der Schulen bleiben.
Die VABO 2 ist zunächst einen etwas anderen Weg gegangen, um die vielfältigen Hindernisse auf dem Weg zu einer Berufsorientierung wenigstens abzumildern. Ein „vorberufliches“ Praktikum soll dazu dienen, eine erste Annäherung an die bundesdeutsche Arbeitswelt nicht in einen Kulturschock ausarten zu lassen und damit langfristig zu blockieren. Wir haben daher Partner gesucht, bei denen pädagogisch geschulte Anleiter bereit sind, sinnvolle Tätigkeiten von Flüchtlingsschülern in einigen der Arbeitswelt halbwegs angepassten Arbeitsumgebungen zu ermöglichen. Der Freiburger Abenteuerspielplatz (ASP), der über große Erfahrungen mit der Arbeitsanleitung von benachteiligten deutschen Jugendlichen verfügt, hat sich bereit erklärt, eine solche Kooperation mit uns zu starten, die zum Ziel hat, schon frühzeitig unsere Schüler an die Arbeitswelt heranzuführen. In Zusammenarbeit mit dem Leiter des ASP, Herrn Thomas Brenner und Herrn Benjamin Schneider haben wir gemeinsam mit unserem Schulleiter,, Herrn Fritz, die hier abgedruckte Kooperationsvereinbarung entwickelt plus eine Vorlage für einen Praktikumsvertrag für den einzelnen Praktikanten, die sich anlehnen an die gesetzlichen Grundlagen der Betriebspraktika in den entsprechenden Verwaltungsvorschriften des Kultusministeriums Baden-Württemberg. Diese Regelungen haben den Vorteil, dass der Schüler, der in das Vorberufliche Praktikum geht, nicht nur entsprechend versichert ist, sondern auch einen Vertrag unterzeichnet, dem er später in Form eines Ausbildungsvertrages wieder begegnen wird. Dem erfolgreichen Absolvieren des Vorpraktikums sollen dann reguläre Betriebspraktika folgen, sobald dies durch den Fortschritt der Deutschkenntnisse möglich ist. Inzwischen haben wir mit 6 Schülern der Klasse VABO 2 ein solches einwöchiges Vorberufliches Praktikum mit Erfolg durchgeführt - dank der Unterstützung des ASP in Form des Arbeitsanleiters Ingo Hagemann. (siehe Erfahrungsbericht) Zwei weitere einwöchige Praktika, im Juni 2016 eines für die Mädchen und im Juli ein weiteres für die männlichen Jugendlichen unter den Arbeitsanleitern Frau Nau und Herr Mielert werden folgen, so dass am Ende des Schuljahres 2015 alle Schüler ein solches einwöchiges Schnupperpratikum durchgeführt haben, auch mit ihren geringen Deutschkenntnissen. Wir rechnen inzwischen mit zeitlichen Abfolgen von 2-4 Monaten für den Start des Vorpraktikums, danach nach 6-8 Monaten für ein reguläres Betriebspraktikum (unter Anleitung durch entsprechend engagierte Arbeitsanleiter) und nach 10-12 Monaten für den Start von Langzeitpraktika, denen ein Ausbildungsvertrag folgen könnte. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber dank unserer Kooperationspartner sind erste erfolgversprechende Schritte getan. Als Leitlinie hierzu können einige Schlagworte dienen, die die Schwäbisch-Haller Initiative "Handwerk und Technik" (HuT) treffend zusammenfasst:
"Flüchtling ist kein Beruf! Berufsausbildung in unserem Sinne existiert weder in Eritrea, Syrien, Irak oder Afghanistan. Dort gibt es, wenn überhaupt, Anlernverhältnisse. Für einen Job in unserer rationalisierten Industrie und unserem hochtechnisierten Handwerk, haben Flüchtlingsjugendliche so keine Chancen. Diese Jugendlichen sind aber genauso intelligent und handwerklich begabt wie unsere einheimischen Jugendlichen, nur hatten sie nie die Möglichkeit das zu zeigen". Entscheidend wird neben dem Erlernen der deutschen Sprache sein, dass ihnen Anschlußmöglichkeiten an die Regelformen des Beruflichen Schulwesens gegeben werden. Dazu gehört allerdings auch, dass begleitend Glossare oder Wörterbücher erstellt werden, die dem Problem Rechnung tragen, dass viele Begriffe, die uns in der Arbeitswelt geläufig sind, für die Flüchtlingsschüler ganz neu sind (Schieblehre; Akkuschrauber, Einschalung u. ä.) Einen ersten Weg zu einem solchen Glossar ist die Lernwerkstatt "Handwerk und Technik" (HuT) in Schwäbisch-Hall gegangen, die im Selbstverlag ein solches vorläufiges Glossar vertreibt. Dieser "berufsorientierende" Deutschunterricht sollte rechtzeitig erfolgen, um spätere Mißerfolge im dualen System, v. a. im Berufsschulunterricht, zu minimieren.