Projekt: Lecker, Satt – Kochstudio der Flüchtlingsklassen
Bernd Hainmüller
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärte am 18.07.2012 die bis dahin gegenüber der Sozialhilfe und dem Arbeitslosengeld II um mehr als 30 % gekürzten Leistungssätze des Asylbewerberleistungsgesetzes für verfassungswidrig. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 und Art. 20 Grundgesetz stehe deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Es umfasse neben der physischen Existenz auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben und die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Art.1 Abs. 1 Grundgesetz begründe diesen Anspruch als ein Menschenrecht. Migrations-politische Erwägungen, die Leistungen für Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen zu vermeiden, rechtfertigten von vornherein kein Absenken der Leistungen unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum, meinte das Bundesverfassungsgericht: "Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss" und: "Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren."
Projekt Lecker, Satt
Viele unserer Schüler/innen erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Unsere Frage war: Kann man als Asylbewerber hinsichtlich seines Lebensunterhaltes mit Sätzen von ca. 400 Euro pro Monat leben? Genauer: Kann man sich für 5 Euro am Tag ernähren (Frühstück, Mittagessen, Abendessen)? Bis zur Aufnahme einer Ausbildung oder Arbeit müssen sich viele unserer Schüler diese Frage stellen. Warum? Viele Schüler, die im Oktober bis Dezember 2015 in unsere VABO-Klassen gekommen sind, sind inzwischen über 18 Jahre alt und mit ihrer Volljährigkeit alleine gelassen. Die Betreuungssysteme (außer unseren Lernpaten) sind geschrumpft. Viele haben als ehemals Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) keine Eltern hier, die ihnen beibringen könnten, wie man preiswert einkauft und preiswert kocht. Sie müssen auch lernen, sich mit wenig Geld gesund zu ernähren. Mit dem Projekt Lecker Satt haben wir vom September bis Dezember 2017 dank der finanziellen Unterstützung des KIWANI CLUBS ISIS aus Freiburg mit drei Kochstudios und einer "Weihnachtsbäckerei" versucht, unseren Schüler/innen das Planen, Einkaufen, Essenkochen praktisch beizubringen.
Unter realistischen Bedingungen
Und das unter möglichst "realistischen" Bedingungen: Jede Gruppe musste fünf Gerichte kochen. Die zu kochenden Rezepte sollten Lebensmittel enthalten, die frisch zubereitet werden können (keine Konservendosen), einfach zu machen und preiswert sind. Die Kochstudios wurden durch fächerverbindendes Lernen begleitet: Die Schüler mussten Rezepte suchen und in Deutsch abschreiben, Vokabelkarten anlegen, Vokabeln für Küchengeräte kennenlernen. Zur Planung der Gerichte gehörte auch das Einkaufen, das Vornehmen von Preisvergleichen, Heraussuchen von Sonderangeboten etc.In Mathe fanden die Mengenumrechnungen und Preisausrechnungen statt. Mehr als 5 Euro pro Person bei jeweils 7-8 Schülern durfte der Tagessatz nicht kosten - dabei eingerechnet Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Durchgeführt wurden die ganztägigen Kochstudios in der Küche des Abenteuerspielplatzes Buggingerstrasse 81 und in der Küche der Katholischen Kirchengemeinde St. Albert in Freiburg-Bischofslinde unter der Leitung von Natalia Myraforidou. Viele Fragen mussten en passant vor, während und nach den Kochstudios mitbesprochen werden: Viele wollen später im Gastrobereich eine Ausbildung absolvieren und haben dort eine reale Chance. Was müssen Kandidaten für eine Ausbildung im Gastrobereich mitbringen? Gemeinsames Kochenlernen von Jungen und Mädchen - was ist mit interkulturelle Barrieren und Traditionen hinsichtlich Genderrollen. Insgesamt gesehen waren die drei Kochstudios ein voller Erfolg, nicht nur hinsichtlich Kochenlernen und Deutschlernen. Am besten gefallen hat aber allen die abschließende gemeinsame "Weihnachtsbäckerei" , bei der deutsches traditionelles Weihnachtsgebäck in einer solchen Vielfalt und Anzahl produziert wurde, dass die Schüler/innen es in ihren jeweiligen Unterkünften und unter Familienangehörigen verteilen konnten. Was will man mehr?