Liebe - Vom Ding das äußerst wichtig
Hiltrud Hainmüller
Editorial
Es ist zwar bekannt, dass die Liebe in der Vielfalt ihrer Erscheinungsweisen nicht auf den Begriff zu bringen ist, aber Bilder der Liebe verfolgen uns als schmerzende Klischees bis in die Gesten und Augenblicke hinein. Durch sie gebannt, wagen wir kaum ein von Jahrtausenden ausgehöhltes »Ich liebe dich«, ohne uns als maskiert zu empfinden, was Umberto Eco zu der postmodernen Lösung verlockte, lieber gleich ironisch zu zitieren: »Wie jetzt Liala sagen würde: Ich liebe dich inniglich.« Ein schwacher Trost, wo doch die Liebe gerade die Grenzerfahrung sein möchte, bei der es gelingt, gesellschaftlichen Erwartungen und massenmedialen Stereotypen Authentizität und einen widerständigen, identischen Rest entgegenzusetzen. Um den Verlust von Authentizität geht es Rolf Haubl, der die kommerzialisierten Inszenierungen romantischer Liebesbegegnungen als kitschiges »Recycling« eines großen Gefühls beschreibt. Michael Hauskeller entwickelt die »mächtigste der Leidenschaften« als existenzielle Frage, bei welcher es um Verrat, Vertrauen und das Grundbedürfnis nach Bindung geht. Zwischen Selbstfindung und Selbstauflösung - darauf weisen die Beiträge Stefan Maegers hin - spannt sich der Bogen der Liebeserfahrung über Kulturen und Epochen hinweg zu einer Gewissheit: Das Selbst steht auf dem Spiel. Vom engsten Kreis der Selbstliebe aus bis zum kosmogonischen Prinzip bleibt dies als Kernfrage virulent. Michael Wittschier kann das sogar mit der »Liebe zum Wissen« den Schülern nahe bringen, indem er aufzeigt, dass es einen »Eros der Erkenntnis« gibt, der weit in die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen hineinreicht. Liebe bleibt trotz ideengeschichtlichen Fluges auch und vor allem eine Naherfahrung, der die Vernunft wenig entgegenzusetzen hat. Gelungene Beziehungen sind vielmehr an Empathie, Mit- und Feingefühl gebunden. Joachim Bauer erläutert in einem Interview neue Forschungsergebnisse zur Entdeckung der Spiegelneurone, unsere »Software« in Liebesdingen. Er bestätigt damit das, was auch Michael Haubner für den Schulalltag fordert: Achtsamkeit und Mitgefühl in der Gestaltung der Beziehung zwischen allen Beteiligten. Wo das Thema Liebe angesprochen wird, triff es punktgenau ins Mark der eigenen Sinnkonstruktion. Gunter Schmidt kommt zu dem Ergebnis, dass sich zwar die Einstellung zur Sexualität und der Umgang mit ihr bei Jugendlichen stark gewandelt haben, dass jedoch die Probleme einer zufriedenstellenden Beziehungsgestaltung damit noch lange nicht gelöst sind. Hier setzen alltagsbezogen die unterrichtlichen Vorschläge der Beiträge von Hiltrud Hainmüller und des Autorenteams Rolf Küppers und Sascha Mühlenberg an, und hier nimmt der in diesem Heft erstmalig konzipierte Materialteil seinen Ausgangspunkt. Das Phänomen »Liebe« - mal exklusiv ein für Außenstehende (und manchmal auch für die Beteiligten selbst) oft schwer zu ergründendes Geheimnis zwischen zwei Menschen, mal universell - entzieht sich weitgehend der Kategorisierung und Hierarchisierung von Bedeutungsebenen. So ist uns bei der Konzeption des Heftes die Entscheidung für ein Gliederungsprinzip nicht leicht gefallen. Mit einem breiten Angebot an Reflexionsdimensionen von der Paarbeziehung über die Familie hin zu »allgemeiner Menschen- und Nächstenliebe« und der Liebe als kosmologischer Dynamik hoffen wir, die Auswahl des Materials so gestaltet zu haben, dass es Jugendlichen nicht zu nahe tritt, sie aber auch nicht kalt lässt, sondern mit allen Sinnen anspricht.
Hiltrud Hainmüller, Stefan Maeger
Vom »Ding, das äußerst wichtig ... « Unterrichtsvorschläge zum Thema »Liebe und Freundschaft« in der Mittelstufe
Liebe, sagt man schön und richtig
Ist ein Ding das äußerst wichtig
Nicht nur zieht man in Betracht
Was man selber damit macht
Nein man ist in solchen Sachen
Auch gespannt was andre machen
W. Busch
Dieses »Ding« ist nicht nur äußerst wichtig, sondern zumeist heißhungrig begehrt. Es ist schwer zu fassen, passt in keine Schublade, und die eifrige Suche danach verläuft oft ergebnislos. Das »Ding« kann uns in den siebten Himmel heben oder in den tiefsten Abgrund stürzen. Es lässt sich nicht verordnen, erzwingen, besitzen. Manchmal fordert es uns heraus: Es braucht Zeit und will gut gepflegt werden. Manchmal ist es uns auch im Weg, geradezu aufdringlich, schwer abzuschütteln. Am schlimmsten ist es, wenn wir glauben, nicht genug von dem Ding zu besitzen und es dann noch mit jemandem teilen sollen. Wir sind »gespannt, was andre damit machen«, weil es ein Geheimnis birgt, dem wir versuchen, auf die Spur zu kommen. Die Unterrichtsanregungen sind als eine Art Spurensuche zum Thema gedacht. Ich gehe davon aus, dass es sich beim Thema »Liebe« um einen sensiblen Bereich handelt, in welchem die Intimsphäre gewahrt bleiben soll. Die Kunst beim Unterrichten dieses Themas besteht darin, eine Ebene zu finden, auf der das allgemein Menschliche des Themas angesprochen wird, Schüler sich emotional angesprochen fühlen. Peinlichkeiten müssen vermieden werden. Es bietet sich deshalb an, das Thema mit Geschichten, Gedichten, Liedern, Bildern zu erarbeiten und es dem Einzelnen zu überlassen, was er an eigenen Erfahrungen in den Unterricht einbringen möchte. Ich würde auch nicht zu sehr analytisch »am Begriff« arbeiten, denn dann besteht die Gefahr, etwas Kostbares zu zerpflücken, zu zerreden und damit zu entwerten. Beim Thema »Liebe« empfiehlt es sich, den roten Faden einer Einheit mit den Schülern gemeinsam zu spinnen und sich nicht allzu sehr an Lehrplänen zu orientieren, sondern die Interessen der Schüler in den Vordergrund zu rücken. Methodisch lässt sich gut mit alternativen Angeboten arbeiten, das heißt, die Schüler erhalten jeweils verschiedene Möglichkeiten für Arbeitsaufgaben, unter denen sie ihren je eigenen Zugang zum Thema wählen können. Die folgenden Unterrichtsbausteine beziehen sich auf drei Aspekte des Themas, die in dieser Altersstufe von Bedeutung sind: Es geht um Paare, Freundschaften und Liebeskummer. An einigen Stellen werde ich die Unterrichtserfahrungen in die Darstellung und Begründung der Methode mit einfließen lassen.
Zunächst zwei verschiedene Unterrichtseinstiege
Der Einstieg dient dazu, das Feld zu öffnen, Erfahrungen zu sammeln, bewusst zu machen und Fragestellungen zu entwickeln. Dazu eignet sich einmal der Ausspruch von Wittschier (M 1), in welchem deutlich wird, dass sich Liebe auf alle Bereiche unserer Welt beziehen kann. Unter dem Motto »Was ich alles liebe« kann rund um das Zitat von Wittschier ein eigenes »Liebes-Mindmap« erstellt werden, das individuell mit Begriffen, Symbolen und Bildern gestaltet werden kann.
M 1:
Mit dem Wort »Liebe« wird doch das schönste Gefühl angesprochen, das Menschen füreinander (Eltern, Kinder, Frau, Freundin, Mann/Frau, Feind) oder für eine Sache wie Natur, Vaterland, Gott, Musik usw. haben. Damit verbunden ist immer auch eine Wertschätzung der Geliebten bzw. die entsprechend liebevolle Zuneigung oder Hinwendung zu dem, was wir lieben. Wer liebt, ist grenzenlos engagiert und mit ganzem Herzen bei der »Sache«.
(Auszug aus Michael Wittschier: Erkenne dich selbst - Abenteuer Philosophie. Düsseldorf 1994, S. 17)
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mit dem von Schülern für Schüler entwickelten Kreuzworträtsel das Feld zu eröffnen. Rätsel und Kreuzungen mitsamt den Leerstellen stehen symbolisch für das Rätselhafte menschlicher Begegnungen. Alle Begriffe dieses Rätsels sind aus dem Bereich menschlicher Beziehungen entnommen. Sie sollen in Gruppenarbeit erraten werden (Anreiz: Wer hat zuerst das Lösungswort?) -dann sucht sich jeder drei Begriffe heraus, die er besonders wichtig findet, und entwickelt im Zusammenhang mit diesen Begriffen Fragen zum Thema. Auf diese Weise kann ein Plan entstehen, nach welchem die folgenden Stunden gestaltet werden.
Oh süßes Lied ... von Freunden, Paaren, Partnerschaften
Anhand des Materials (siehe Materialteil: das Spiel um Paare) kann auf spielerische und doch lehrreiche Art und Weise die bunte Vielfalt von menschlichen Paarbildungen entwickelt werden, in denen Zuneigung und Liebe eine Rolle spielen. Die Schüler können sich mit Paarkonstellationen beschäftigen, die ihnen bereits bekannt sind, oder Neues über »klassische« Paare der Literatur, Kunst, Philosophie, des Sports oder öffentlichen Lebens erfahren, indem sie selbst Material darüber suchen. Die Frage ist, was Paare miteinander verbindet, was sie teilen, worin sie sich ergänzen, aber auch worüber sie sich möglicherweise streiten usw. Dabei zeigt sich, dass einerseits viel entdeckt werden kann, dass es aber auch in Paarbeziehungen immer etwas Rätselhaftes, Geheimnisvolles gibt, das dem Außenstehenden verschlossen bleibt und über das manchmal auch die Liebenden selbst nicht so genau Bescheid wissen.
An die Tiefe und das Rätsel einer Beziehung rührt Rilke mit seinem Liebeslied (M 2), das Schülern als Anregung mitgegeben werden kann.
M 2:
Liebeslied
Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht' ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden, stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
0 süßes Lied.
Rainer Maria Rilke
Wenn es um Paare geht, dann gehören dazu auch: der Umgang mit Sexualität, das Dionysische der Liebe, Leidenschaften, Triebe und natürlich auch die »verbotene « Liebe (frei nach der gleichnamigen Soap-Opera, die täglich im Fernsehen seit vielen Jahren das Thema auf schier unerschöpfliche Weise variiert). Dass sich in Hinsicht auf Sexualität vieles geändert hat, wird von Gunter Schmidt (siehe in diesem Heft auf S. 16 ff.) ausgeführt und statistisch belegt. Der »Aufsatz« von Gernhardt eignet sich, um über die Thematik zu sprechen - ohne dass Schüler hier Persönliches preisgeben müssen - weil er Wahrheiten enthält, ohne unnötig zu moralisieren, und darüber hinaus zum Schmunzeln Anlass gibt. Man kann Schülern die Lehrerrolle übertragen: »Ihr habt die Aufgabe, diesen Aufsatz zu korrigieren und mit einem kritischen Kommentar zu versehen«, und so darüber ins Gespräch kommen. Als Ergänzung kann die letztlich traurige Biografie von Casanova vorgestellt werden.
Freundschaft - eine besondere »Liebesbeziehung«
Wenn »Liebesbeziehung« hier in Anführungszeichen gesetzt ist, dann ist das ein Hinweis darauf, dass wir sprachlich zwischen Liebesbeziehungen und Freundschaftsbeziehungen unterscheiden. Dennoch gibt es meines Erachtens keine Freundschaft ohne Liebe. Freundschaft ist im Leben der meisten Jugendlichen die wichtigste Beziehungsebene. Sie rangiert oftmals sogar noch vor der eigenen Familie. Deshalb sind Jugendliche auch kompetent, wenn es darum geht, Aussagen über Freundschaften zu treffen. Als Vorüberlegung kann sich jeder Schüler mit dem Fragebogen von Max Frisch (M 3) zur Freundschaft auseinandersetzen.
M 3:
Der Aufsatz
Liebe - Eros - Sexus
Auf einer Abendgesellschaft wurde der greise Casanova von einem blutjungen Mädchen gefragt, welches eigentlich der Unterschied zwischen Liebe, Eros und Sexus sei. Er schaute sie bekümmert an und antwortete sinngemäß, was der Quatsch solle. Diese Antwort ist bedauerlicherweise auch heute noch typisch. Dabei sind diese Unterschiede ebenso wichtig wie einfach. Beginnen wir mit der Liebe. Sie meint das geistig-seelische Einssein mit einem anderen Menschen, das meistens ganz harmlos beginnt, dann jedoch dazu führt, dass das Ich den Weg zum Du findet, um schließlich in einem ewig beglückenden Geben und Nehmen zu enden. Der Eros hingegen ist schon daran zu erkennen, dass er auf den ganzen Partner, auf Körper und Geist gerichtet ist. Leider kann er auch zu einem beglückenden Eins-Sein und all den anderen Weiterungen führen, wenn man nicht sehr aufpasst, da die Grenzen des Eros zur Liebe hin fließend sind. Wer sich absichern will, der sollte vor allem sein Ich unter Kontrolle halten und es, wenn es versucht, sich auf den Weg zum Du zu machen, notfalls mit Gewalt zurückpfeifen. Der Sexus sieht im Partner ausschließlich ein Objekt der Lust. Kennzeichnend für ihn ist, dass er an die Stelle des Gebens und Nehmens das sehr viel einträglichere Nehmen setzt. Doch so erfreulich und verlockend das alles klingt – rein sexuelle Beziehungen sind ebenso selten wie schwierig zu gestalten. Sobald sie über das rein Körperliche hinausgehen - und das kann bereits mit harmlosen Fragen und Gesprächen beginnen - , schleicht sich nur allzu leicht der Eros in das Verhältnis ein, und von ihm zur Liebe ist es bekanntlich kein weiter Weg. Daher ist Wachsamkeit nirgendwo gerade so geboten wie in menschlichen Beziehungen. Die geflügelten Worte Julias, mit denen sie Romeo an jenem berühmten Mittwochabend empfing - »Heute musst du aber ganz besonders aufpassen! « - , sie gelten hier nicht nur für eine schwache Stunde oder einen starken Moment.
(Auszug aus Robert Gernhardt: Prosamen. Stuttgart 1995, S. 32/33)
M 4:
Fragebogen zur Freundschaft
1. Hältst du dich für einen guten Freund?
2. Was würdest du als Verrat empfinden:
a) Wenn du es tust?
b) Wenn der andere es tut?
3. Was würdest du einem Freund nie verzeihen:
a) Dass er wiederum Freunde hat, die du nicht magst?
b) Dass du bei anderen über ihn sprichst?
c) Dass er Geheimnisse nicht bei sich behalten kann?
4. Möchtest du manchmal ohne Freunde auskommen können?
5. Hältst du dir ein Tier als Freund?
6. Wenn du keinen Freund hast, setzt du dann deinen
Anspruch an Freundschaft herunter?
7. Worauf bist du bei deinem natürlichen Bedürfnis nach
Freundschaft schon mal reingefallen:
a) auf Anbiederei?
b) auf deinen eigenen Charme?
c.) darauf, dass dich jemand unheimlich beeindruckt hat?
8. Wie redest du über ehemalige Freunde?
9. Worin besteht für dich der Unterschied zwischen
Interessengemeinschaft und Freundschaft?
10. Ist es wichtig, dass Freunde über dasselbe lachen können?
11. Was ist dir bei einer Freundschaft besonders wichtig:
a) Dass dir der Freund auch mal die Wahrheit sagt?
b) Dass dein Freund meistens mit dir einer Meinung ist?
c) Dass du deinem Freund voll vertrauen kannst?
d) Dass du dich gut mit ihm unterhalten kannst?
e) Dass er dir in der Not hilft?
12. Muss dein Freund das gleiche Alter wie du haben?
13. Bist du dir selber ein Freund?
(nach Max Frisch: Tagebuch 1966-1971. Frankfurt a. M. 1972, S. 319)
Anschließend können Schüler ein sokratisches Gespräch zum Thema entwickeln. Natürlich muss man Schüler zuvor mit einigen Regeln dieses Gesprächs vertraut machen, man benötigt dazu jedoch keine allzu ausführliche Vorarbeit. Es reicht, sich mit folgendem Vorspann zu begnügen.
Hier der Vorschlag für einen Lehrervortrag:
Der griechische Philosoph Sokrates hat Gespräche mit Menschen um wichtige Lebensfragen geführt. Dabei hat er seinen Gesprächspartnern Fragen gestellt, die diese zum intensiveren Nachdenken über Lebensfragen anregen sollten. Die Menschen sollten sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden geben, sondern tiefere Erkenntnisse über sich selbst gewinnen. Schonungslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und die Suche nach Wahrheit bestimmten diese Gespräche.
Jeweils zwei Schüler sollen einen solchen Dialog entwerfen zum Thema: »Was verstehst du unter Freundschaft?« Dabei sollten folgende Regeln beachtet werden:
- Das Gespräch geht um zentrale Aspekte von Freundschaft.
- - Antworten werden hinterfragt.
- - Die gemeinsame Suche nach stimmigen Aussagen wird beschritten.
- - Das Gespräch hat kein endgültiges Ergebnis, sondern kann offen oder mit einer Frage enden.
- - Es soll zum Nachdenken anregen und in der Klasse vorgetragen werden.
In meiner Unterrichtsreihe haben wir alle Dialoge gesammelt und dann die Kernaussagen von Aristoteles aus der nikomachischen Ethik mit den Dialogen der Schüler verglichen. Sie waren begeistert, als sie feststellen konnten, dass es ihnen gelungen war, zu ähnlichen Einsichten wie Aristoteles zu gelangen und sogar noch einige Bestimmungen darüber hinaus zu finden, so zum Beispiel die Fragestellung, ob es möglich ist, Freundschaft mit Kindern, alten Menschen oder sogar Tieren zu schließen, und unter welchen Bedingungen jeweils von Freundschaft gesprochen werden kann. Wichtig ist für Jugendliche ebenfalls die Balance zwischen einer Freundschaft im Verhältnis zu einer Liebesbeziehung. Eine kritische Lage ergibt sich, wenn der beste Freund einem die Freundin wegschnappt. Die Gruppe »Fettes Brot« beschreibt diese Situation in dem Lied »Jein«, in dem es um Entscheidungen geht, die nicht einfach zu treffen sind (M 4).
M 5
Jein
Ich habe einen Freund - Ein guter? - Sozusagen mein bester
und ich habe ein Problem, ich steh auf seine Freundin.
Nicht auf seine Schwester?
Würd' ich auf die Schwester stehn',
hätt' ich nicht das Problem,
das wir haben wenn er, sie und ich uns sehn'
und kommt sie in den Raum rein wird mir schwindelig,
sag ich, sie will nichts von mir, dann schwindel ich.
Ich will sie, sie will mich, das weiß sie, das weiß ich,
nur mein bester Freund, der weiß es nicht.
Und somit sitz ich sozusagen in der Zwickmühle
und das ist auch der Grund, warum ich mich vom Schicksal ge ... fühle.
Warum hat er die schönste Frau zur Frau mit dem schönsten Körperbau?
Und - ist sie schlau? - Genau.
Es steigen einem die Tränen in die Augen,
wenn man sieht
was mit mir passiert und was mit mir geschieht.
Erst erscheinen Engelchen und Teufelchen auf meiner Schulter.
Engel links, Teufel rechts, - lechtz !
Nimm dir die Frau! Sie will es doch auch.
Kannst du mir erklären, wozu man gute Freunde braucht?
Halt, er will dich linken, schreit der Engel von der Linken.
Weißt du nicht, dass so was Scheiße ist und Lügner stinken?
Ah - und so streiten sich die beiden um mein Gewissen
und ob ihr's glaubt oder nicht, mir geht es echt beschissen.
Doch während sich der Teufel und der Engel anschrein' ,
entscheid ich mich für ja, nein, ich mein: jein.
Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein? Jein!
Soll ich's wirklich machen oder lass ich's lieber sein? Jein!
(Songtext der Gruppe »Fettes Brot«)
Methodisch kann das Lied aufgearbeitet werden, indem zwei Gruppen gebildet werden. Die eine Gruppe sind die »Engelchen<<, die anderen die »Teufelchen«. Sie argumentieren abwechselnd und geben dem Betroffenen, der in der Mitte sitzt, ihre Ratschläge. Anschließend kann die Entscheidung in Form eines ABCD-Falls diskutiert werden. Dabei können sich die Schüler jeweils einer Position (Ecke) zuordnen:
A) Die Freundin meines besten Freundes ist für mich tabu. Es geht nichts über eine gute Freundschaft.
B) Gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen. Ich würde auf jeden Fall versuchen, die Freundin für mich zu gewinnen.
C) Ich würde erst mal eine Weile heimlich probieren, ob es mit der Freundin was werden kann, und wenn ich mir sicher bin, meinem Freund die Wahrheit sagen.
D) Ich bin total gegen Heimlichtuerei. Ich würde mit beiden ein Gespräch führen. Wichtig wäre dann ja auch, was die Freundin möchte.
Jeder entscheidet sich für eine Position und formuliert eine ausführlichere Begründung. Im anschließenden Klassengespräch wird darüber diskutiert, bei welchen Lösungsmöglichkeiten möglichst wenig Porzellan zerschlagen wird. »
"... Nichts als Schmerz«
Liebe ist immer auch mit Schmerz, mit konflikthaften Auseinandersetzungen verbunden. Gerade diese dunkle Seite der Liebe darf im Unterricht nicht unterschlagen werden. Liebe und ihre Kehrseiten können Schüler gut in einem ABC beschreiben (M 6), das entweder als Rätsel vorgegeben oder selbst erfunden werden kann. Auf diese Art und Weise kann man sich erst einmal Luft machen, wenn man negative Erfahrungen »auf den Begriff<< und »zum Ausdruck« bringen möchte. Das ABC kann um weitere Begriffe ergänzt werden, und aus den Begriffen können jeweils wieder wichtige Aspekte herausgegriffen werden, die im Unterricht als Fragen behandelt werden.
Die beiden Gedichte von Brecht und Fried werden herangezogen, um Erfahrungen aufzuarbeiten. Das Brechtgedicht kann szenisch dargestellt werden, verbunden mit der Aufgabe, Szenen zu erfinden, die andere Lösungen enthalten. Es geht dabei um Alternativen zum abgrundtiefen Hass.
M 6
Bertolt Brecht: Letztes Liebeslied
Als die Kerze ausgebrannt war
Blieb uns nur ein kalter Stumpen
Als der Weg zu End gegangen war
Schimpften wir uns wie zwei Lumpen.
Beatrice war gestellet
Spitzel wurde ihr Begleiter
Tatbestand ward aufgehellet
Statt der Schwüre floss der Eiter
Alle Himmel aufzureißen
Nur dem Hass wurd's zum Gewinne
Hinz und Kunz die großen Weisen
Wussten dies von Anbeginne.
Das Gedicht von Erich Fried lässt sich ebenfalls szenisch darstellen. Die Liebe steht in der Mitte, umrahmt von personalisierter Vernunft, Berechnung, Angst, Einsicht, Stolz, Erfahrung. (Ich habe diese szenische Darstellung bisher nur in einer Theatergruppe ausprobiert, könnte mir diese Methode aber auch in einer kleinen Klasse vorstellen.) Die Personifizierung von Vernunft, Berechnung usw. soll dazu dienen, in eigener Sprache mit den entsprechenden Redewendungen ein Standbild auch körpersprachlich auszudrücken.
M 7
Was es ist
Es ist Unsinn
Sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
Sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
Sagt die Angst
Es ist aussichtslos
Sagt die Einsicht
Es ist was es ist
Sagt die Liebe
Es ist lächerlich
Sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
Sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
Sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
Sagt die Liebe
(Aus Erich Fried: Es ist was es ist. Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte. Berlin: Wagenbach 1983, Berlin, S. 43)
Hierbei ist das Tun - verbunden mit der Körpererfahrung- wertvoll. Negative Erfahrungen können so besser gefühlt und damit ein Stück weit verarbeitet werden, weil man in einer »Als-ob-Situation« schmerzhaften Erfahrungen in abgemilderter, erträglicher Form nochmals begegnet. Da Schüler zu solchen Themen verschiedene Zugänge haben, empfiehlt sich die Methode » 1 aus 3« - sie können dabei zwischen alternativen Aufgaben wählen. Schüler, die sich gerne schriftlich äußern, können zu Bildern kreativ schreiben.
Das Ende vom Lied ...
Abschließend möchte ich einige grundsätzliche Aussagen zum Thema anfügen, die Schülern am Schluss der Einheit - möglicherweise auch als Klassenarbeitstext - vorgelegt werden können. Sie stellen den geistigen Hintergrund aus der Perspektive der Soziologie, Philosophie und Psychologie dar, vor dem die Unterrichtsbausteine konzipiert wurden. Nach einer gelungenen Arbeit an Beispielen sind Schüler in der Lage, diese abstrakten Gedanken und Beschreibungen inhaltlich zu füllen, selbst Verallgemeinerungen vorzunehmen anhand dessen, was mit den vorherigen Unterrichtsbausteinen beispielhaft erarbeitet wurde.
Über die Liebe
Grundelemente der Liebe
Die Liebe ist aber nicht nur ein Geben, ihr »aktiver« Charakter zeigt sich auch darin, dass sie in allen ihren Formen stets folgende Grundelemente enthält: Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Achtung vor dem anderen und Erkenntnis.[. .. ] Liebe ist die tätige Sorge für das Leben und das Wachstum dessen, was wir lieben.
(Auszug aus Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. Frankfurt a. M. 1980, S. 36)
Liebe als Haltung
Liebe ist nicht in erster Linie eine Bindung an eine bestimmte Person. Sie ist eine Haltung, eine Charakter-Orientierung, welche die Bezogenheit des Menschen zur Welt als Ganzem und nicht nur einem einzigen >Objekt< der Liebe bestimmt. Wenn jemand nur eine einzige Person liebt und ihm alle anderen Menschen gleichgültig sind, dann handelt es sich bei seiner Liebe nicht um Liebe, sondern um eine symbiotische Bindung oder um einen erweiterten Egoismus.
(Auszug aus Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. Frankfurt a. M. 1980, S. 57)
Lieben - eine Kunst
Wenn es das ist, dann wird von dem, der diese Kunst beherrschen will, verlangt, dass er etwas weiß und er keine Mühe scheut. Oder ist die Liebe nur eine angenehme Empfindung, die man rein zufällig erfährt, etwas, was einem sozusagen »in den Schoß fällt«, wenn man Glück hat? [ ... ] Nicht als ob man meinte, die Liebe sei nicht wichtig. Die Menschen hungern geradezu danach, sie sehen sich unzählige Filme an, die von glücklichen und unglücklichen Liebesgeschichten handeln, sie hören sich Hunderte von kitschigen Liebesliedern an - aber kaum einer nimmt an, dass man etwas tun muss, wenn man es lernen will zu lieben.
(Auszug aus Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. Frankfurt a. M. 1980, S. 11)
Das ganz normale Chaos der Liebe
Die Liebe wird flüchtig in dem Maße, in dem sie, mit Hoffnungen aufgeladen, zum Kultplatz der um Selbstentfaltung kreisenden Gesellschaft wird. Und sie wird mit Hoffnung aufgeladen in dem Maße, indem sie flüchtig und sozial vorbildlos wird.
(Auszug aus Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim: Das ganz normale Chaos der Liebe. Frankfurt a. M. 1990, S. 9)
Zusatzmaterial (aus dem Materialheft):