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Lebensgestaltung und Visionen von KOOP-Schüler/innen

Bernd Hainmüller

Vorbemerkung

Im März 2007 wurde im Basler Hof, Sitz des Regierungspräsidiums Freiburg eine ungewöhnliche Ausstellung eröffnet: Lebensgestaltung und Visionen von KOOP-Schüler/innen. Der Fotograf Peter Nagel hatte Schüler aus der damaligen KOOP-Klasse über ihre Visionen interviewt und anschließend ein Foto-Shooting durchgeführt, das die Schüler/innen exakt in dem Setting vorstellte, das sie sich als ihr Leben in 10 Jahren wünschten. Die entstandenden Bilder wurden auf große Metallbilder-Rahmen (in der Metallwerkstatt selbstgefertigt) gezogen  und der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Resonanz der Öffentlichkeit war ausserordentlich gut; kaum jemand hatte eine Vorstellung davon, was für ein Leben sich diese Schüler wünschten.... Hier die Rede zur Austellungseröffnung.

Abb. 1: Ein eigenes Flugzeug wünschten sich Vitalij und Patrick

Es ist eine besondere Ehre für uns, dass Sie, Herr Regierungspräsident die kleine Ausstellung zu „Lebensgestaltung und Visionen Jugendlicher“ im Basler Hof persönlich eröffnen. Es ist auch eine große Ehre für uns, dass so viele Personen ihrer Einladung zur Eröffnung gefolgt sind. Als ich vor nunmehr 10 Jahren die erste Freiburger Kooperationsklasse Hauptschule-Berufsschule als Klassenlehrer übernahm, hätte ich nicht im Traum gewagt zu hoffen, dass alle Wege heute hier zusammenführen, in ein Gebäude, das Geschichte ja lebendig atmet.

Alles wirkliche Leben ist Begegnung, hat Martin Buber gesagt und dies trifft für all diejenigen zu, die sich hier heute begegnen und alle hier haben ein gerüttelt Maß dazu beigetragen, dass KOOP Freiburg über 10 Jahre hinweg eine Erfolgsgeschichte geschrieben hat: 80% unserer Schüler schaffen nach 2 Jahren einen Abschluß – und das ist mindestens genauso wichtig – sie erhalten einen Anschluß.

Wenn Sie nachher unten durch die Ausstellung gehen, achten Sie bitte einmal auf ein kleines aufgeklebtes Stück Papier: Es ist die Kopie des Vertrages eines unserer jetzigen KOOP-Abgänger zur Ausbildung als Strassenbauer zum 1. 8. 2007. Ich wüsste zu gerne, wie viele Freiburger Hauptschüler in Klasse 9 bereits jetzt ein solches Papier besitzen, aber ich schätze, es werden wenige sein.

Von 12 Schülern der jetzigen Abgangsklasse KOOP II können wir jetzt bereits sagen, dass 7 von Ihnen einen Anschluß haben, auch wenn die Verträge noch nicht unterzeichnet sind. Bleiben 5, die wir noch über die reißenden Wasser des schwierigen Übergangs von der Schule ins Arbeitsleben ziehen müssen, aber auch hier gilt: Alles ist besser als Hartz IV oder der Stühlinger Kirchplatz in Freiburg.

Zauberwort: Kooperationen

Abb. 2:  Erdinc´s Wunsch war ein BMW 7 er Klasse

Erfolgsgeschichten schreibt niemand alleine: unser Zauberwort heißt Kooperation. Oft wird stundenlang über sie geredet, ohne dass etwas passiert. Bei KOOP lebt man sie, stündlich, täglich. Unsere Schüler haben viele Paten, die ihnen zu einem gelingenden Start ins Arbeits- und Erwachsenenleben verhelfen - ich greife nur einige gelebte Kooperationen heraus:

1. Da sind die Direktoren und Kollegien der drei großen Gewerbeschulen in der Bissierstrasse, die uns als Gäste Dach und Unterschlupf gewähren. Was für ein Gewinn, dass unsere KOOP 1 – Schüler als Hauptschüler jeden Tag auf über 2000 Berufsschüler treffen, die das bereits hinter sich haben, wovon unsere erst träumen: Einen Hauptschulabschluß und einen Lehrvertrag in der Tasche zu haben. Was für ein Gewinn, dass Hauptschullehrer vor Ort ganz selbstverständlich den Tisch in der BVJ-Abteilung mit Berufsschullehrern teilen, wenngleich man neidvoll auf einige Gehaltsunterschiede schielen könnte. Was für ein Gewinn, dass wir die „richtigen“ Werkstätten der Berufsschulen mit ihren Fachlehrern nutzen dürfen- ich meine richtig im Vergleich zu den Technikräumen der Hauptschulen. Die Kooperation mit den Berufsschulen ist ein Meilenstein in der Erfolgsgeschichte KOOP und bei Ihnen möchte ich mich im Namen aller Kollegen der Kooperationsklassen Freiburg ganz herzlich bedanken.

2. Was wird nicht alles über den Arbeitgeberverband Gesamtmetall gescholten, vor allem vor Tarifrunden? Diejenigen, die das tun, täten gut daran, zu überlegen, ob sie auch bereit wären, uns kostenlos Sozialarbeiter zur Seite zu stellen, wie dies seitens Gesamtmetall über den Bundesverband Berufliche Qualifikation an allen Koop-Standorten in Süd-baden der Fall ist. Diese von außen kommenden Fachleute, die unsere Jugendlichen in Sachen Praktikumsstellen, Bewerbungstraining und vielem mehr begleiten, sind wertvoller als viele Krokodilstränen, die man über die schlechte Lehrstellensituation vergießt – wertvoller, weil die Hilfe tatsächlich greift, Person für Person und dafür möchten wir dem BBQ ausdrücklich danken, auch dafür dass er einen großen Beitrag zu diesem Projekt geleistet hat.

3. Ich könnte hier noch vielen danken, der Abteilung 7 des RP, die uns schon zu Zeiten, als KOOP noch ein Modellversuch war und nicht eine Regelform der Hauptschule wie heute unterstützt hat; den Rektoren derjenigen Hauptschulen, die trotz zurückgehender Schülerzahlen den Mut haben, sie an unsere „etwas andere Hauptschule“ abzugeben, weil sie hier eine optimale Förderung erfahren können, danken den Eltern, auch sie oft gescholten in der Bildungslandschaft – die mit uns sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten, z. B. sich mit uns bei Hausbesuchen über die Zukunftschancen ihrer Kinder unterhalten, wohl wissend, dass KOOP für sie eine riesige Erleichterung bedeutet, wenn ihr Kind auf der sicherer Seite landet.

Danken auch der Bundesagentur für Arbeit, dem Roten Kreuz, der Fördergesellschaft der Handwerkskammer und vielen vielen mehr. Ein besonderer Dank muß aber noch ab-gestattet werden dem Seminar für Didaktik und Lehrerbildung in Offenburg, das als erstes Grund- und Hauptschulseminar in Baden-Württemberg begonnen hat, speziell geeignete Referendare für die Arbeit in KOOP-Klassen auszubilden. Dass wir hier inzwischen über ein kleines, feines Netzwerk verfügen, sieht man an allen KOOP-Standorten in Südbaden, wo inzwischen besonders qualifizierte Lehrer als Klassenlehrer in KOOP arbeiten. 

Nicht jeder wird mit einem goldenen Schnuller geboren...

Abb. 3:  Sven wünscht sich nichts Materielles, nur eine liebe Katze

In seiner letzten Regierungserklärung hat Ministerpräsident Öttinger keinen Zweifel daran gelassen, dass sein besonderes Augenmerk in den nächsten Jahren den Schülerinnen und Schülern gilt, die sich mit der Schule und mit der Ausbildung schwer tun. „Um sie optimal zu fördern, werden wir noch in dieser Legislaturperiode die Hauptschule umbauen und ihr ein neues Profil geben. Die Hauptschule ist für uns keine „Restschule“. Sie ist nicht die Schule für die „weniger Gescheiten“, sondern sie ist die Schule für diejenigen, die sich mehr aufs Praktische verstehen. Das ist für mich mehr als nur Wortklauberei. Für das Profil und für den Geist unserer Schulen macht es einen gewaltigen Unterschied, ob wir sie entlang der Schwächen oder der Stärken unserer Kinder definieren oder anhand von Begabungen, die unterschiedlich sind“. Der letzte Satz trifft – Herr Nagel möge mir das verzeihen - den Nagel auf den Kopf:

Haben KOOP Schüler kein Recht auf ein gelingendes Leben? Sind sie nur die Fußabstreifer einer Gesellschaft, die allzu gerne verdrängt, dass nicht jeder mit einem goldenen Schnuller im Mund geboren wird? Haben Sie kein Recht auf ihre Vision vom Leben – ein Auto, ein Haus, eine Familie…?

Man muß schon ein Weilchen vor den Portraits von Peter Nagel stehen bleiben, um zu begreifen, welche Sehnsucht nach einem gelingenden Leben in manchen Gesichtszügen liegt. Träume sind keine Schäume – sie sind ein Motor des Lebens und gerade diejenigen müssen an sie glauben dürfen, denen man - aus welchem Grunde auch immer – keine Rosen auf ihren Lebensweg gestreut hat. Sie müssen sagen dürfen: An meinem Traum halte ich fest, halte ich mich fest, trotz alledem und alledem. Wenn ich hin und wieder KOOP-Schüler der ersten Jahrgänge in der Stadt begegne und sie frage: Was machst du jetzt? Und zur Antwort erhalte: Habe Abitur gemacht, habe meinen Meister gemacht, habe eine gute Stelle, bin verheiratet , habe ein Kind – dann weiß ich, dass Träume wahr werden können. Janusz Korczak hat einmal gesagt: Auf jedem Misthaufen kann eine Rose erblühen – lassen sie uns kooperativ viele Rosen züchten.

Abb. 4: Artikel aus der Badischen Zeitung 

Nachbemerkung

Die häufigste Frage, die Jugendliche sich selbst stellen, ist: „Welchen Platz finde ich hier in dieser Gesellschaft?“ In kleinen Beiträgen stellten die Jugendlichen sich und ihre Lebenswirklichkeiten vor und legen offen, wo sie leben, was sie gerne essen, welchen Hobbys sie nachgehen und wann sie auch schon mal mit dem „Gesetz in Konflikt“ kamen. Spannend gestaltete sich dabei die enge Zusammenarbeit mit Peter Nagel, einem freischaffendem Fotografen, der die Schüler fotografierte. Anfangs standen die Schüler ihren eigenen Fotos sehr kritisch gegenüber. Doch nach und nach fanden sie großen Spaß daran, sich zu positionieren und entdeckten Bilder, auf denen sie sich gefielen. Sehr hilfreich und erfreulich war die finanzielle Unterstützung des Projektes durch „Aktion Mensch 5000xZukunft“. Weiterhin werden die KOOP-Klassen durch den Verband der Metall- und Elektroindustrie (Südwestmetall) unterstützt, in dessen Auftrag der gemeinnützige Bildungsträger BBQ (Beruf, Bildung, Qualifikation), in Person der Sozialpädagogin Adelheid Kurz, die Klasse während des Übergangs von der Schule in den Beruf zwei Jahre lang begleitet. Adelheid Kurz berichtet von dem Lernprozess dieses Projektes bei den Jugendlichen an einem Beispiel: „Den Schülern fällt es oftmals schwer, eigene Fähigkeiten zu benennen. Die Trommeln und Metallrahmen für die Fotos haben die Schüler selbst hergestellt und sie konnten somit ihr handwerkliches Geschick unter Beweis stellen. Es war eine gute Übung für die Jugendlichen, sich mit ihren Fähigkeiten zu entdecken und diese zu bezeichnen. Die Fertigkeit, die eigenen Begabungen darzulegen hilft ihnen sehr bei Vorstellungsgesprächen. Mit Stolz und Zuversicht blicken die Jugendlichen auf ihre Bilder und auch in die Zukunft: Alle Jugendlichen dieser KOOP-Klasse haben ihren Hauptschulabschluss erreicht und fangen im Herbst eine Ausbildung an. Eine Vision kann Wirklichkeit werden!