Jugend unterm Hakenkreuz
Bernd Hainmüller
Wer im letzten Band der fast 3000 Seiten umfassenden Geschichte der Stadt Freiburg [1] etwas über die Kindheit und Jugend zwischen 1933 und 1945 erfahren will, wurde bis vor kurzem enttäuscht. Die wichtigsten Dokumente aus dieser Zeit sind im Bombenhagel 1944 verbrannt oder sind 1945 vor den anrückenden Alliierten beiseite geschafft worden. Abgesehen von einigen Veröffentlichungen, die persönliche Erinnerungen an diese Zeit beinhalten[2], gab es bis vor kurzem weiße Flecken zu diesem Teil der Stadtgeschichte. Durch einen Film [3] und ein vertiefendes Buch [4] mit Zeitzeugeninterviews wurde vor zwei Jahren versucht, weitere Recherchen auf den Weg zu bringen. Die inzwischen veröffentlichten Aufzeichnungen von Käthe Vordtriede [5] zeigen jetzt interessante Ausschnitte aus dem »Innenleben« Freiburgs unter der nationalsozialistischen Herrschaft, aber sie enthalten kaum Aussagen zur Hitlerjugend, weil ihre Kinder zu alt waren, um »gegliedert« zu sein. Über das weibliche Pendant zur HJ, den Bund deutscher Mädel (BdM), sieht die Forschungslage noch trostloser aus. Mein Ansatzpunkt für eine Recherche über diese Zeit war eine Broschüre der Hitler-Jugend Freiburg aus dem Jahre 1938 mit dem Titel: »Fehde ist angesagt - 1100 marschieren«. Diese Broschüre hatte meine Frau Hiltrud von einem ihrer Schüler der Gewerbeschule erhalten, die dieser auf dem Dachboden seiner Oma in lhringen gefunden hatte. Damit begann eine Spurensuche, die einige überraschende Ergebnisse erbrachte.
1. Rückblende: Sommer 1938 - ein ungewöhnliches »Ferienabenteuer«
Verwundert dürfte mancher Freiburger den Kopf geschüttelt haben, was ihm Ende Juli 1938 während einer sommerlichen Autofahrt auf dem Weg zum Feldberggebiet geschah: Ein Jugendlicher in kurzen Hosen hält ihn auf der Landstraße mit einem energischen »Halt!« an, fordert seine Ausweispapiere und beginnt, den Wagen zu durchsuchen. Als er nichts findet, beginnt ein Verhör mit Fragen, wie »Woher? Wohin? Weshalb die Reise?« oder »Haben sie etwas Verdächtiges bemerkt?«. Als der Freiburger nachfragt, was dem Rotzlöffel eigentlich einfiele, ihn am hellichten Tag so zu belästigen und mit welchem Recht, erhält er eine verblüffende Antwort: »Sie meinen, das geht Sie nichts an, weil Sie als friedlicher Bürger völlig ungerührt von den Spielen der Jugend Ihren Geschäften nachgehen? Irrtum, lieber Freund! Wer kann wissen, ob sich hinter dem harmlosen Tuch der sommerlichen Straßenkleidung nicht ein feindlicher Hitlerjunge verborgen hält. Fluchen Sie nicht, aber es kann Ihnen in diesen unruhigen Tagen und Stunden tatsächlich passieren, dass Sie für kurze Zeit hindurch vorbeugend >sichergestellt< werden. [ ... ]Ich kann Ihnen noch verraten, dass alle Fahrzeuge in der Zeit vom 29. Juli bis 6. August, die sich in dem Gebiet zwischen Feldberg und Hochrhein befinden, einen Passierschein in roter Farbe erhalten. Diese Maßnahmen wurden notwendig, da sich das ganze Gebiet im Kriegszustand befindet.«[6] Die Meldung, die ankündigt, dass Bürger aufgrund des »Kriegszustandes« durchaus für kurze Zeit »sichergestellt« werden können, stammt aus dem »Alemannen«, dem Kampfblatt der Kreisleitung Freiburg der NSDAP. Wir schreiben das Jahr 1938, genauer den 23. Juli 1938. Ein Großereignis warf seine Schatten voraus: Die seit dem Frühjahr 1938 geplante Durchführung einer »Fehde« zwischen dem Bann 113 der Hitler-Jugend Freiburg und dem Bann 111 aus Baden-Baden, angelegt als »Großgeländespiel « quer durch den Schwarzwald, an dem vom Freitag, dem 29. Juli 1938, bis zum Sonntag, dem 7. August 1938, auf Freiburger Seite rund 1100 Jugendliche, auf Baden-Badener Seite ca. 250 Jugendliche teilnahmen. Dass es um mehr als ein »Spiel« ging, hatte die Freiburger nationalsozialistische Presse schon vorab angekündigt: »Wie wir berichteten, waren zwischen dem Bann 111 und dem Bann 113 diplomatische Schwierigkeiten ausgebrochen. Inzwischen wurde im >Generalstab< des Heerlagers von Bann 113 ein Spion von der Gegenseite aufgegriffen, dessen Aufgabe es war, etwaige Aufrüstungspläne der 1l3er auszukundschaften. Über diesen Zwischenfall ist es nunmehr zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen gekommen.<<[7] Vierzehn Tage später, am Abend des 29. Juli 1938 wurde auf dem Münsterplatz in Freiburg unter dem Jubel von 1100 Jugendlichen die »Fehde« des Bannes 113 gegen den Bann 111 durch einen »Fehdebrief « ausgerufen.
Von Fanfarenbläsern begleitet, ritt ein Herold in alter Heroldstracht auf einem Pferd auf den Platz und eröffnete die schaurige Kriegsinszenierung: »Auf dem Münsterplatz erschien der Heerrufer und las seinen bluttriefenden Fehdebrief, der mit ebenso bluttriefendem Geheul von den Heerscharen beantwortet wurde. Die ersten Böller krachten, die ersten Leuchtraketen stiegen in den Himmel. [...] Bannführer Heiner Bieg ergriff jetzt selbst das Wort vom Balkon des [Hotels, d. Verf. ] Rappen herab: Endlich ist die Stunde gekommen, wo wir unseren Feinden die Antwort geben können. [...] Wir werden wahrmachen, was wir in unserem Fehdebrief versprachen. Dieser lustige Kampf gegen Baden-Baden hat noch einen tieferen Sinn: Wir wollen unseren Körper durch Geländesport [...] stärken!«[8] Danach übernahmen die Unterbannführer das Kommando. Formiert zu einer einzigen Marschsäule ging es unter Vorantritt des Kreismusikzuges zum Bahnhof. Das »kampfesmutige Heer« rollte im Sonderzug mit den 1100 Jungen aus dem Bahnhof in die Nacht. Die Baden-Badener, rund 250 Jugendliche auch aus den Kreisen Rastatt und Bühl, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits vor Ort, oberhalb des Hebelhofs am Feldberg, ihr Lager bezogen. Unterdessen waren ihnen die Freiburger dicht auf den Fersen. Sie waren zunächst in einem Sonderzug mit dem Ziel Höllsteig im Höllental gefahren, von wo aus sie in einem Nachtmarsch durch das Löffeltal nach Titisee marschierten. Da sich der vorgebliche Feind aus Baden-Baden am Herzogenhorn »verschanzt« hatte, machten sie hier eine Verschnaufpause, bis gegen Mittag die einzelnen Gruppen mit ihren Unterbannführern aufbrachen, um in ihre ersten Quartiere in Lenzkirch, Saig, Falkau, Altglashütten und Schluchsee zu gelangen. In den nächsten Tagen wurde der Feind gejagt, über St. Blasien, Bernau, Todtmoos, Schönau, das Wiesental hinunter nach Schopfheim bis zum Endpunkt Bad Säckingen. Jeder Tag sah neue »Kämpfe« zwischen den Mitgliedern der beiden »Truppen«: »So gab es blutige und unblutige Gefechte. [...] In 20 bis 25 Kilometer breiter Front zogen die Gefolgschaften dahin. Immer wieder sich treffend, immer wieder auf den Feind stoßend, der schließlich in einer einzigen Nacht in Todtnau vernichtend geschlagen wurde«.[9]
Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass bis heute die Teilnehmer der »Fehde« nicht wissen, wer diese eigentlich gewonnen hat. Großspurig behaupteten die Freiburger in ihrer Broschüre, sie hätten die Baden-Badener vernichtend geschlagen. Tatsache ist aber, dass die Baden-Badener einfach nur früher nach Hause mussten und nicht mit nach Bad Säckingen zur Abschlussfeier zogen. Das Opfer hatte wohl auch ausgedient, der Zweck war erreicht. Zwar gab es keine Toten, aber »blaue Augen ließen sich nicht vermeiden und sollten auch gar nicht vermieden werden. Eine Jugend soll heranwachsen, die hart im Geben wie im Nehmen ist. Nur wo Härte und Mut verlangt wird, da wächst auch eine entsprechende Jugend heran«[10], schrieb Bannführer Heiner Bieg in seiner Nachbetrachtung. Wie das Geben und Nehmen aussah, zeigen drei Beispiele: In der »Schlacht am Feldberg« erbeuteten die Freiburger eine größere Anzahl von Schuhen des Gegners, »wodurch eine größere Anzahl feindlicher Streitkräfte ausfallen dürfte, da ein Barfußlaufen in dieser wilden Gegend wohl schwerlich in Frage kommen wird«[11]", heißt es in einem Teilnehmerbericht; Baden-Badener Gefangene wurden in die örtlichen Ortsarreste gesteckt und ebenso wie der letztlich gefangene Führer der Baden-Badener »bei Wasser und Brot gehalten«. Ein Freiburger wurde am Kopf durch eine Platzpatrone verletzt, die ein Mitglied des Bannes 113 mit einem Schreckschussrevolver nahe vor seinem Gesicht abgefeuert hatte. Am Endpunkt der Übung in Säckingen war im Unterschied zu den »Einquartierungen« bei Bauern unterwegs ein Zeltlager aufgebaut worden. Höhe-und Schlusspunkt der Großkampfveranstaltung war eine Schlusskundgebung mit dem HJ-Obergebietsführer Kemper und das anschließende gemeinsame Verzehren eines von der Metzgerinnung gestifteten Mastochsen mit 18 Zentnern Lebendgewicht, der von zwei Uhr morgens bis abends über dem Feuer gebraten wurde. Am Sonntag, dem 7. August 1938, trafen die »Kriegsteilnehmer« des Bannes 113 um 18.14 Uhr mit einem Sonderzug von Säckingen kommend wieder in Freiburg ein, anschließend fand ein Vorbeimarsch an der damaligen Rotteck-Oberrealschule statt, bevor das »Spiel« auf dem Münsterplatz beendet wurde. Der »Hohe Generalstab« der Freiburger hatte seine Ziele erreicht.
Mehrere Monate Vorbereitungsarbeit hatten sich ausgezahlt. Jetzt konnte man das Resümee ziehen: »Wenn Jungen von einer Sache innerlich erfasst sind, lassen sie sich gut formen. Deshalb kann der erzieherische Wert des Großgeländespiels nicht hoch genug eingeschätzt werden«.[12]
Wer gehörte zu dieser Art von »Kriegserziehern« in Freiburg? Wir wissen aus der Broschüre, wer den »Hohen Generalstab« bildete, und man kann anhand der Personen gut auf die Bedeutung des Wehrsports in der Stadt schließen. Mitgliederwaren u.a. HJ-Obergebietsführer Gau Baden, Friedhelm Kemper [13], NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Fritsch, Oberbürgermeister Dr. Franz Kerber, Stadtkämmerer Schlatterer , Polizeidirektor Günter Sacksofsky, der Präsident der Industrie- und Handelskammer Tscheulin, die Direktoren Opderbeck und Linnemann von der »Rhodiaceta«, Direktor Vogt von der Firma »Fortschritt«, SA-Brigadeführer Joachim Weist, SA-Standartenführer Binner und SS-Standartenführer Walter Gunst. Zwei Mitgliedern des »Hohen Generalstabs« (Joachim Weist und Walter Gunst) konnten die Freiburger Bürger nur wenige Monate später bei einer anderen Art von »Sport« zusehen: dem »Anzünden der Synagoge«. Das Großgeländespiel hingegen war die Umsetzung der vormilitärischen Ausbildung in »spielerischer Form«. Für dieses Freiburger Großereignis kennen wir die Urheber: Bannführer Heinrich Bieg vom Bann 113 und Franz Fauler, damals Bannführer des Bannes 111 in Baden-Baden. Franz Fauler stammt aus der angesehenen und alteingesessenen Freiburger Industriellenfamilie Fauler, die im 19. Jahrhundert einen langjährigen Oberbürgermeister der Stadt stellte. Fauler und Bieg kannten sich aus ihrer gemeinsamen Zeit als Jungbannführer in Freiburg.
Es dürfte wohl Bieg gewesen sein, der auf die Idee kam, den Führerbefehl zur Verstärkung der vormilitärischen Ausbildung der HJ in die Form eines Großgeländespiels zu gießen. Faulers BadenBadener HJ-Bann schien aufgrund der persönlichen Freundschaft zwischen den beiden das geeignete Opfer für diese Freiburger Inszenierung zu sein. Zunächst bestand die Aufgabe des von ihnen gebildeten Generalstabs vor allem in der lückenlosen Organisation der Veranstaltung und die Aufstellung eines möglichst attraktiven Angebots, das auch außenstehende Jugendliche begeistern sollte. Ein ausschlaggebender Punkt für die Teilnahme von so vielen Jugendlichen waren dann auch die auf den ersten Blick erheblichen Vorteile der Unternehmung: Die zehntägige Veranstaltung kostete wenig und »bot« viel in einer Zeit, als Sommerurlaub noch immer ein Privileg der Begüterten war. Man konnte mit den »HJ-Sparmarken» der Sparkasse darauf ansparen und die HJ-Führung half, mit »diplomatischen Telefongesprächen den Jungen von seinem Meister oder Lehrherrn loszukaufen«. Die Aussicht auf gute Unterbringung, reichliche Verpflegung und Gemeinschaftserlebnisse kamen hinzu. All dies war freilich nur möglich, weil die Bürgermeister in Schluchsee, Titisee, Schönau, Utzenfeld, Atzenbach, Ibach, Brenden, Bernau oder Todtmoos mitzogen und die Teilnehmer in Bauernhöfen, Pensionen, Schulen etc. einquartierten. Die Organisation selbst lag bei der HJ-Führung: »Es gab kein Parlament. Es gab keine Besprechungen mit Abstimmungen uni ähnlichen Scherzen. Wir hörten im kleinen Kreis die Vorschläge. Sie wurden geprüft und durchgeführt oder nicht durchgeführt. [ ... ] Kein Wenn und kein Aber - sondern Organisation.«[14] Je länger sich das »Großgeländespiel« hinzog, desto stärker identifizierten sich die Jugendlichen mit den Charakter des Spieles als »Krieg«, wie aus der Postkarte eines Teilnehmers an seine Eltern hervorgeht: »Liebe Eltern, Vielen Dank für letzte Zeilen! Nicht viel Zeit, drum muss ich eilen und mach's kurz; zu Hause mehr. Mündlich ist das nicht so schwer. Also: Hier ist's prächtig. Hunger mächtig. Stets was los. Und so weiter...! Morgen leider Krieg aus. Und nach Haus! Euer Karl.« [15] Der Bann 111 aus Baden-Baden verwandelte sich im Verlauf der »Kriegshandlungen« zu den »blauen Streitkräften«, die Freiburger zu den »Roten<< mit einem »roten Admiral« an der Spitze und der »Alemanne« titelte Schlagzeilen wie: »Vormarsch wird fortgesetzt - 2. >Kriegsbericht< der HJ« und zum guten Schluss: »Rückkehr der Freiburger >HJ-Truppen«. Die Anführungszeichen signalisieren, das man den offensichtlichen Charakter als Kriegsspie noch nicht zu stark herauskehren wollte. Was der Teilnehmern erst später klar wurde, war, dass hier der unter Hochdruck vorbereitete Krieg mit »spielerischen Mitteln« vorweggenommen worden war.
2. Lagerleben: Wie man Jugendliche für den Krieg formte.
Geländespiele wie das aus dem Jahre 1938, verbunden mit mehrtägigen Aufenthalten in Zeltlagern und Lagerfeuerromantik waren keine Erfindung der Nationalsozialisten. Dass das Leben unter freiem Himmel, verbunden mit sportlicher Betätigung, spielerischen Akzenten, gemeinsamem Kochen etc. große Anziehungskraft auf Heranwachsende ausübt, war seit langem bekannt. Neu an der Idee der HJ-Führung waren drei Zweckbestimmungen, denen das Großgeländespiel über althergebrachte pädagogische Momente hinaus diente: Der Drang zum Kräftemessen unter Jugendlichen hatte Ernstfallcharakter. »Fehde« bedeutete:
- Kampf bis zum bitteren Ende, d.h. Ausschalten des Gegners (nicht umsonst wurden die Baden-Badener als »Feinde« gekennzeichnet und liquidiert).
- Der Hang zur Wiederentdeckung der Natur durch Bewegung im Gelände wurde vormilitärisch ausgeprägt. Der Geländesport wurde deshalb unterteilt in: Spähtrupp-Ausbildung, Meldewesen, Gruppenverhalten im Gelände, Anschleichübungen etc. nach dem Grundsatz: »Der Vorwärtsdrang darf nicht verlorengehen.«
- Aus heterogenen Kleingruppen von Jugendlichen, die z. T. aus unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Lagern kamen, sollte eine straff geführte, ideologisch einheitlich ausgerichtete Kampftruppe zusammengeschweißt werden. Der Effekt des gemeinsamen Erlebnisses sollte die Jugendlichen von einer »Gemeinschaft auf Zeit« zu einer »Gemeinschaft auf Dauer« mit einem entsprechenden Zusammengehörigkeitsgefühl führen.
- Die Sonderformationen der HJ (Motor-HJ, Marine-HJ, Flieger-HJ, Nachrichten-HJ, Reiter-HJ, HJ-Feldschere (Sanitäter) sollten so zusammengeführt werden, dass quasi militärisch sinnvolle Untergliederungen der Wehrmacht entstanden. Jede dieser Sonderformationen hatte ein eigenes Übungsgelände, so u. a. die Flieger-HJ auf dem »Bohlhof<< im Hotzenwald oder die Marine-HJ in Breisach am Rhein, wo das spätere Zusammenwirken eingeübt wurde. Übergreifend wurde die Schießausbildung (einschließlich Scharfschützen-Ausbildung) in das Geländespiel integriert.
Pädagogisch durchaus sinnvolle Geländespiele zum Kräftemessen verwandelten sich unter der Hand in inszenierte Kriegsspiele, die als Geländesport getarnt waren. Dieser Prozess dürfte sich großenteils hinter dem Rücken der Teilnehmer abgespielt haben, was erklärbar macht, dass die Teilnehmer bis heute die militärischen Hintergründe dieser Geländespiele nicht durchschauen. Tatsache ist demgegenüber, dass der Dienstplan der Hitlerjugend Gebiet Baden für die Kurzausbildung der Siebzehn- bis Achtzehnjährigen - nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt - eine deutliche militärische Sprache spricht, deutlicher als das die Teilnehmer damals empfunden haben mögen: »Eine in allen Einzelheiten sehr gut durchgeführte Spähtruppaufgabe ist das Ziel unserer Geländesportausbildung. Dieses Ziel muss mit jeder Einheit unbedingt erreicht werden. Jeder Spähtrupp ist eine Mannschaft, die auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden ist. Völlige Hingabe an die gestellte Aufgabe, Einsatz aller geistigen und körperlichen Kräfte, bedingungslose Unterordnung unter den Spähtruppführer muss jeden einzelnen Jungen beseelen. Das Versagen des Einzelnen bedeutet Niederlage; eine schnelle und richtige Erfüllung der Aufgabe den ersten Schritt zum Sieg der eigenen Partei. Bei den Spähtruppaufgaben zeigt sich, wer ein Kerl ist, wer mutig, geistesgegenwärtig und körperlich leistungsfähig ist und wer Entschlusskraft besitzt. Hierbei sind die Jungen zu erkennen, die Anlagen zum Führen haben.«[16] So konnte es geschehen, dass aus dem Gegner für die Zwecke des Spieles der »wirkliche Feind« (die »Blauen«) wurde, den es durch Aufspüren, Einfangen und Ausschalten durch Abreißen des »Lebensfadens « zu liquidieren galt. Deshalb war das Großgeländespiel von 1938 ein bezeichnendes Fanal des längst vorbereiteten Angriffskrieges. Die organisierte Bewegung im Großraum Schwarzwald zwischen Hinterzarten und Säckingen mittels Fußmärschen, Kradmeldern, Nachrichtenstäben, Funkereinheiten, Generalstäben und Hauptquartieren war die Vorwegnahme des Ernstfalles auf eine militärische Auseinandersetzung mit dem »Feind«. Die Ziele vermischten so geschickt verschiedene Elemente von Jugendarbeit und nationalsozialistischer Erziehung, dass vielen Teilnehmern erst nach Kriegsausbruch 13 Monate später, als aus dem Spiel blutiger Ernst geworden war, klargeworden ist, dass sie hemmungslos missbraucht worden waren. Bannführer Bieg wusste demgegenüber genau, was er wollte: »In früheren Zeiten zogen Jungen 10 oder 20 Mann hoch hinaus, um »Indianer« oder »Räuber« zu spielen. Oder es stand Straße gegen Straße, Klasse gegen Klasse. Aber immer nur haben die wenigen mitgemacht, die schneidige Kerle waren.«[17] Jetzt sollten schneidige Kerle en masse geformt werden, das Kanonenfutter für den Erstschlag gegen die Länder Europas.
Wie ging diese Formung vor sich? Im wesentlichen dadurch, dass der Alltag des Lagers bereits vollständig durchorganisiert und militärischen Zwecken angepasst wurde. Mit Hilfe einer eigens für die Lagerführer herausgegebenen - nur für den internen Dienstgebrauch bestimmten – Schrift [18] können wir heute noch nachvollziehen, wie ein solches »Musterlager« auszusehen hatte. Auch die einzelnen Tagesabschnitte waren genau vorgegeben. Die eigentliche Lager«freizeit« als freie Zeit für den einzelnen Teilnehmer betrug pro Tag lediglich eine Stunde. Der Rest des Tages war verplant, wie aus der Dienstanweisung der HJ-Führung hervorgeht. Im einzelnen gestaltete sich ein Tag wie folgt:
- »6.30 Uhr: Wecken;
- 6.35 Uhr: Frühsport;
- 6.45 Uhr: Waschen, Anziehen, Zelt- und Lagerordnung;
- 7.45 Uhr: Zelt- und Lagerappell;
- 8.00 Uhr: Frühstück;
- 8.45 Uhr: Flaggenparade;
- 9.00 Uhr: Weltanschauliche Schulung;
- 10.00 Uhr: Sport, Geländespiel, Schwimmen, Abnahme des Leistungsabzeichens;
- 12.00 Uhr: Mittagessen;
- 12.45 Uhr: Mittagsruhe;
- 14.30 Uhr: Sport, Geländespiel, Schwimmen, Abnahme des Leistungsabzeichens;
- 17.00 Uhr: Zwischenmahlzeit;
- 17.30 Uhr: Lagerfreizeit (freiwillige Schulung, Vorbereitung des Leistungsabzeichens, Putz- und Flickstunde, Führerbesprechung);
- 18.30 Uhr: Ordnungsübungen;
- 19.00 Uhr: Flaggeneinholen;
- 19.15 Uhr: Abendessen;
- 20.15 Uhr: Lagerstunde (Singen, Erzählen, Lagerzirkus, Film, Vorbereitung von Feiern);
- 21.10 Uhr: Waschen;
- 21.20 Uhr: Locken zum Zapfenstreich;
- 21.30 Uhr: Zapfenstreich.« [19]
Zusätzlich zu den Schulungen gab es Tageslosungen (z.B. »Alles Leben ist Kampf«), Tischsprüche (z.B. »Herr lass mich hungern dann und wann, satt sein macht stumpf und träge; und schick mir Feinde Mann um Mann, Kampf hält die Kräfte rege«) und Fahnensprüche (z.B. »Das ist unser Gebet: Wir müssen fallen, die Fahne steht. Wir mögen vergehen, namenlos - Deutschland muss stehen, ewig und groß«). Im speziellen Freiburger Fall von 1938 trat ein weiterer Zweck des HJ-Geländespiels ebenfalls nicht offen zutage: Das Vorführen der »anständigen deutschen Jugend« gegenüber Kurgästen und Touristen im Schwarzwald, insbesondere Ausländern, deren Herkunftsländer sich 1938 noch nicht im Krieg mit Deutschland befanden. Deshalb basierte die Aktion auch nicht auf einem zentralen Zeltlager (mit Ausnahme des Abschlusslagers in Bad Säckingen), sondern auf der Einquartierung von Teilnehmergruppen auf Bauernhöfen, in Ortschaften und Pensionen. NSDAP-Ortsgruppenleiter Maier aus Titisee schrieb im Nachhinein quasi als Auswertung: »Der Eindruck, den die Hitlerjungen hier bei der Bevölkerung und insbesondere auch den Kurgästen, wovon über die Hälfte Ausländer war, hinterließ, kann als sehr gut bezeichnet werden. Besonders die vielen Ausländer beeindruckte die stramme Haltung und die Disziplin stark. Wir werden uns freuen, wenn die HJ im nächsten Frühjahr oder Sommer wieder nach hier kommen wird.«[20]
Der nächste Sommer gestaltete sich freilich für viele etwas anders. Statt zum Bergsteigen in die deutsche »Ostmark« zu fahren, fanden sie sich als Kriegsfreiwillige oder bereits Eingezogene an der polnischen Front wieder. Man hatte ihnen beigebracht zu gehorchen; man hatte ihnen beigebracht, Gegner zu liquidieren, man hatte ihnen beigebracht, dass Kameradschaft und der Eid auf den Führer bis zum Tod gilt. Und sie gingen, und nicht wenige verloren ihre kostbarsten Jugendjahre. 3161 Freiburger sind laut dem Gedenkbuch der Stadt im Krieg gefallen, nicht wenige davon als »Kriegsfreiwillige« bereits in den ersten Kriegsmonaten; 1359 Soldaten werden immer noch als »vermisst« geführt.
3. Wie es angefangen hatte: Die Freiburger Hitler-Jugend zwischen 1927 und 1937
Die HJ Baden wurde 1927 gegründet. Der Freiburger Bann 113, der den heutigen Stadtkreis Freiburg und den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald umfasste, spielte bis zum Januar 1933 im politischen Leben der Stadt kaum eine Rolle. Dasselbe gilt für den Bund Deutscher Mädel (BdM) und die jeweiligen jüngeren Untergliederungen. Dies rührte daher, dass die Basis der Mutterorganisation NSDAP in Freiburg selbst nicht sehr breit war. Bei den letzten freien Wahlen am 6. November 1932 kam die NSDAP in Freiburg nur auf 22,4 % der Wählerstimmen. Stärkste politische Kraft in der Stadt war das »Zentrum«, was im überwiegend von katholischen Einrichtungen und durch den Sitz des Erzbischofs geprägten Freiburg nicht verwundert. Die Mitgliederzahl der HJ (Zahlen fehlen leider) dürfte angesichts der katholischen Jugendorganisationen eher gering gewesen sein. Dies änderte sich erst, als es der NSDAP im April 1933 gelang, den Nationalsozialisten Dr. Franz Kerber anstelle des bisherigen Oberbürgermeisters Bender als Oberhaupt der Stadtverwaltung einzusetzen. Der Parteigenosse Kerber war zwar kein übermäßiger Förderer der HJ, aber immerhin flossen jetzt einige Gelder der Stadt als Zuschüsse zur Jugendarbeit für Zeltlager, Ausrüstung etc., wenngleich in den Augen der HJ mehr als spärlich. Kerber achtete nämlich in ihren Augen zu sorgfältig darauf, der HJ keine Sonderrolle innerhalb der Freiburger Jugendorganisationen zu geben, um Konfrontationen mit dem katholischen Jugendspektrum zu vermeiden. Begünstigt wurde die Position der HJ vor allem durch den Umstand, dass im gesamten Reich die bündischen, politischen und gewerkschaftlichen Jugendbewegungen ab Mai 1933 entweder verboten wurden oder sich nach und nach in die HJ auflösten. Wie das in Freiburg vor sich ging, schildert ein Zeitzeuge so:
»1931 meldeten meine Eltern meinen Bruder und mich bei der evangelischen Jugend, dem damaligen Bibelkreis an. Diese Jugendgruppe hatte ein Jugendorchester unter der Leitung eines jungen Vikars. Unser Übungsraum lag am Ende der Herrenstrasse kurz vor der Einmündung zum Karlsplatz. [ ... ] Das Musizieren in diesem Jugendkreis war eine sehr gute und schöne Sache. Alle 14 Tage war Probe. Es kam das Jahr 1933. Gegen Ende dieses Jahres waren wir eines Abends zur Probe in unserem Übungsraum. Der Vikar war noch nicht da. Wir warteten. Nach einiger Zeit erschien der Vikar mit einem Hitlerjugendführer, ich glaube es war der Gefolgschaftsführer Weinbrecht, ein übler Bursche, später Offizier der Waffen-SS. Der Vikar erklärte kurz, seine Tätigkeit sei ab sofort beendet. Es gäbe auch keinen Bibelkreis mehr und wir seien nunmehr ein Orchester der Hitlerjugend. Der uniformierte Hitlerjugendführer sagte: Aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Reichsbischof Müller und dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach seien alle evangelischen Jugendverbände, rund 800 000 Jugendliche, von der HJ übernommen worden. Er erklärte weiter: Wer nicht in der Hitlerjugend bleiben wolle, müsse sich von den Eltern abmelden lassen. Im übrigen könnten wir ja auch als Hitlerjugendorchester weiterhin als Musikgruppe bestehen bleiben. Die HJ könne uns als Orchester brauchen. Der Musikabend war beendet. [ ... ] Später fanden auf dem Karlsplatz mit Fackeln feierliche Übergabe-Zeremonien statt. Kurz gesagt, wir blieben als Jugendorchester zusammen. Der übliche Hitlerjugenddienst blieb uns erspart.« [21]
Nur gegenüber den katholischen Jugendgruppen, die durch das 1933 geschlossene Konkordat mit dem Vatikan einen gewissen Schutz vor Verfolgung hatten, hatte die HJ einen schweren Stand. Das dokumentiert sich u.a. darin, dass noch im August 1933 eine Massenschlägerei zwischen einem HJ-Spielmannszug, der zuvor die Abendmesse gestört hatte, und Mitgliedern katholischer Jugendgruppen unter Führung der Familie Ruby auf dem Münsterplatz eindeutig zuungunsten der HJ ausging.[22] Das erste große Auftreten der HJ in der Stadt war wenige Wochen zuvor ebenfalls ein Reinfall gewesen: Für den 17. Juni 1933 war auf dem Münsterplatz vor der mittleren Portalsäule ab 19.15 Uhr ein eigenes »kleines Bücherfeuer« im Rahmen der »1. Kulturellen Kampfwoche gegen Schmutz und Schund« geplant, das als Ersatz für die im Mai ausgefallene »große Bücherverbrennung« des NS-Studentenbundes stattfinden sollte. Nach einem gemeinsamen Eingangslied »Volk ans Gewehr«, einer anschließenden »Feuerrede« des evangelischen Jugendpfarrers Albert aus Gundelfingen und dem Aufsagen von »zehn Feuersprüchen« sollte ein gemeinsamer Marsch zum »Großen Bücherfeuer« auf dem Exerzierplatz (heute Messplatz) mit einer Ansprache des Parteigenossen OB Kerber erfolgen.[23] Die Bücherverbrennung, sowohl die »kleine« auf dem Münsterplatz als auch die »große« auf dem Exerzierplatz, fielen wegen schlechten Wetters aus, und beide waren bei weitem nicht so gut besucht, wie sich die HJ-Führung dies versprochen hatte. Neben dem evangelischen Jugendpfarrer Albrecht war es vor allem der Pfarrer der Ludwigskirche, Fritz Kölli, der als Führer der Deutschen Christen in Freiburg versuchte, über den nationalsozialistisch geprägten Konfirmantenunterricht die Jugendlichen in die HJ hineinzuziehen:
»Infolge eines Umzuges innerhalb Freiburgs kamen wir dann in die Gemeinde der Ludwigskirche in der damaligen Adolf-Hitler-Straße. 1935 begann für mich der Konfirmationsunterricht, den wir von Stadtpfarrer Kölli erhielten. Pfarrer Kölli war nun sehr oft als höherer SS-Führer auch in Uniform zu sehen. Es kam auch schon vor, dass er in Uniform zum Konfirmationsunterricht erschien. An einem darauf folgenden Weihnachtsfest war ich gebeten worden, mit einigen Mitschülern mit Unterhaltungsmusik aufzuwarten. Ich spielte damals schon recht gut Klarinette. Hier sah ich nun zum ersten Male, wie man sich in SS-Kreisen, zu denen auch Pfarrer Kölli gehörte, das Weihnachtsfest vorstellte. Es wurde vom Jul-Fest gesprochen. Der Weihnachtsbaum hing umgekehrt nach unten, und man machte sich lustig über das ganze Weihnachtszeremoniell. [ ... ] Pfarrer Kölli sah ich später mehrfach, da er mit Gauleiter Wagner befreundet war, in SS- Uniform in Straßburg mit einem schönen goldenen Kreuz auf der Uniform durch die Straßen gehen. Die ungeheuerlichen Verbrechen an der elsässischen Bevölkerung hat er offenbar nicht bemerkt.«[24]
Die Randstellung der HJ gegenüber den kirchlichen Jugendkreisen änderte sich erst, als am 1. Dezember 1936 ein Reichsgesetz die HJ zur »Staatsjugend« erklärte. Das bedeutete, dass von diesem Zeitpunkt an die HJ eine Sonderstellung innerhalb der Gesellschaft innehatte. Praktisch äußerte sich das in der Einführung des »Staatsjugendtags«. An Samstagen, an denen normalerweise Schulunterricht stattfand, mussten HJ-Mitglieder nicht in die Schule, sondern hatten in ihren Gefolgschaften und Scharen Dienst zu leisten. Nur für diejenigen, die nicht in HJ-Gliederungen bis dato eingetreten waren, fand stattdessen klassenübergreifend »staatspolitischer« Unterricht statt. Welche »Schmach« mag es für einen Jugendlichen gewesen sein, als »Ausgegrenzter« für alle sichtbar in der Schule schmachten zu müssen, während die Klassenkameraden Wochenendfahrten, Geländespiele, Wanderungen o.ä. durchführten! Allein diese Tatsache dürfte manche veranlasst haben, baldmöglichst in die HJ einzutreten, was nach wie vor (bis März 1939) freiwillig geschah. Zusätzlichen Zulauf erhielt die HJ auch durch das 1937 ausgesprochene Verbot der katholischen Jugendverbände (z.B. »Quickborn«) bis hin zu katholischen Turnvereinen und begleitenden Hetzkampagnen gegen Pfarrer und Jugendleiter. Die Sonderrolle der HJ als »Staatsjugend « ab 1936 signalisieren einige Ereignisse in diesem Jahr:
a) Als am 18. April 1936 fünf Mitglieder einer englischen Jugendgruppe am Schauinsland unterhalb des Gipfels während eines Schneesturms umgekommen waren, wurde der Unglücksfall von der HJ-Führung politisch umgedeutet und zwar dahingehend, dass die fünf englischen Pfadfinder im Kampf für ein »offenes, ehrliches und anständiges Verhältnis der Völker untereinander<< gefallen seien. Die HJ organisierte deshalb eine Totenwache auf dem Hauptfriedhof, wo die fünf Särge vor dem Rücktransport aufgebahrt waren und gab den überlebenden der Gruppe ein »Ehrengeleit« bis nach England. Mit ausdrücklicher Unterstützung der Reichsjugendführung in Berlin begann man, Pläne für ein monumentales Erinnerungsmal am Schauinsland für die toten englischen »Kameraden« zu schmieden und Geld hierfür zu sammeln (das heutige »Engländerdenkmal« unterhalb des Schauinslandgipfels in Richtung Hofsgrund – siehe die Recherche und den Artikel zu diesem Unglück und der folgenden NS-Propaganda-Meisterleistung auf dieser homepage).
b) Die Sonderstellung der HJ lässt sich auch daran ablesen, dass ab 1936 landesweit ein »Streifendienst« der HJ eingerichtet wurde. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass eine Jugendpolizei in der Stadt patrouillierte, die das Ziel hatte, »verwahrloste » und »undeutsche« Verhaltensweisen von Jugendlichen (Herumlungern, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Rauchen, Grölen, Belästigung von Mädchen etc.) dem Jugendamt, der Polizei und den Eltern zu melden - nach dem Motto: »Jugend erzieht Jugend«. [25]
c) Ab 1936 meldete die HJ-Führung unter Hinweis auf das Staatsjugendgesetz gegenüber der Stadt den Anspruch an, für ihre Untergliederungen eigene HJ-Heime entweder zu bauen oder ihr geeignete Objekte kostenfrei zu überlassen. OB Kerber, der zunächst versuchte, diese Anträge mit dem Hinweis zu verzögern, die Stadtverwaltung müsse ihre knappen Ressourcen für dringende Gemeinschaftspro- jekte zum Nutzen aller Freiburger Volksgenossen verwenden, musste schließlich erkennen, dass er sich der Mitwirkung bei der Heimbeschaffung auf Dauer nicht entziehen konnte und übergab der HJ zusätzlich zur NSDAP-Zentrale in der Adolf-Hitler- Straße 140-142 (heute: Kaiser-Joseph-Straße) u.a. folgende städtische Räumlichkeiten: Alter Wiehrebahnhof Urachstraße 40 (heute Kommunales Kino) als »Zentrale« der HJ; Tullastraße 54 für den Stamm Zähringen; Schenkendorffstraße 4 für den Stamm Haslach - heute Teil der Schenkendorff-Schule; Elsässerstraße 6 für den Stamm Mooswald (ehern. Funkerkaserne- heute Wohnhäuser); Mattenstraße 1 für den Stamm St. Georgen; Schwarzwaldstraße 66 für den Stamm Oberwiehre. [26] Damit war die HJ in allen wesentlichen Freiburger Stadtteilen vertreten - ein entscheidender Vorteil gegenüber den katholischen Jugendgruppen, die mehr und mehr Beschränkungen hinnehmen mussten, so u.a. ein Verbot der Doppelmitgliedschaft in katholischen Verbänden und der HJ oder die Beschränkung, dass Nicht-Mitglieder der HJ nicht Beamte werden durften. Gegenüber der Stadt konnte die HJ jetzt auftrumpfen. Sie »führte« Freiburgs Jugend und führte sich dementsprechend auf, z.B. als unzuverlässiger Zahler der Nebenkosten für Licht und Heizung der HJ-Heime. Immer wieder musste der Stadtkämmerer Schlatterer die Bezahlung entsprechender Abrechnungen der Heime anmahnen, was die HJ mit dem Hinweis beantwortete, angesichts ihrer besonders wichtigen Jugendarbeit müsse die Stadt ihr diese Kosten erlassen. OB Kerber, der inzwischen das Amt des NSDAP-Kreisleiters an Wilhelm Fritsch abgegeben hatte, zeigte sich wenig gewillt, hierüber öffentlich mit der HJ zu streiten. Stattdessen wurde der Kämmerer jeweils zum Jahresende intern angewiesen, die fehlenden Gelder aus dem Stadtsäckel zu begleichen.
Der unbestrittene Höhepunkt der HJ-Aktivitäten des Jahres 1936 war der Aufenthalt des Reichsjugendführers Baldur von Schirach vom 26. bis 29. Oktober im Rahmen einer HJ-Führertagung im »Jägerhäusle« (heute Mercure Hotel) über der Stadt. Hier konnte und wollte sich auch OB Kerber nicht kleinlich zeigen - hoher Besuch aus Berlin war in Freiburg eher selten. Neben der städtischen Aufforderung, die Stadt zu beflaggen, übernahm die Stadt die wesentlichsten Verpflegungskosten, so dass sich die Gesamtkosten auf rund 1 600 Reichsmark beliefen. Darin enthalten waren auch der »Schwarzwaldkorb mit Wein« und eine Flasche Kirschwasser zu 18 Reichsmark für den Reichsjugendführer persönlich. Während der Tagung belagerten Mitglieder der HJ das Tagungsgebäude und andere Festivitäten, um von ihrem »Jugendführer« ein Bild mit persönlichem Autogramm zu ergattern. Dieser bedankte sich artig aus Berlin: »Mit der Weinsendung haben Sie uns eine ganz besondere Freude gemacht und wir haben Ihrer beim Probieren herzlich gedacht.«[27] Die am Abend durchgeführte Jugendkundgebung auf dem Münsterplatz mit einer »programmatischen Rede« von Schirachs zielte im Wesentlichen darauf ab, die katholischen Jugendkreise in Freiburg in die HJ hineinzulocken. Die Katholiken hätten Gott »nicht gepachtet«, denn auch die HJ sei durch ihre Fahne und durch ihren Führer mit Gott verbunden. Die »politisierenden Kirchenherren« sollten es nicht zu weit zu treiben, denn sonst würden sie die HJ kennenlernen. Der Kernsatz seiner Rede: »Ich dulde in dieser Jugend keinen, der nicht an Gott glaubt«[28], dürfte aber nur wenige katholische Jugendliche angespornt haben, ins braune Hemd zu wechseln, zumal die Störung der Gottesdienste durch die HJ und die provokativen Kundgebungen auf dem Münsterplatz einen deutlich antireligiösen Charakter trugen, und die Kampagnen der NSDAP gegen die katholische Kirche zu offensichtlich ideologisch verbrämt waren.
4. Der neue Bannführer
Verglichen mit dem Jahr 1936 markierte das Jahr 1937 einen weiteren entscheidenden Aufschwung der Freiburger Hitler-Jugend. Sehr schnell musste auch OB Kerber erkennen, dass er mit dem neuen Bannführer der HJ einen Parteigenossen vor sich hatte, der sich kaum mit Hinweisen auf leere Kassen vertrösten ließ, um Freiburgs Jugend vollständig in die HJ einzugliedern. Heinrich Max Georg Bieg - Rufname Heiner Bieg - wurde am l. April 1912 in Villingen als Sohn von Georg Bieg und Bertha Schneider geboren. Mit dem Umzug der Eltern nach Bad Krozingen imJahre 1930, wo diese einen Geflügelhofbetrieben, begann sein politischer Aufstieg innerhalb der NSDAP, der ihn weit nach oben bringen sollte. Bieg war 1930 in Freiburg in die NSDAP eingetreten und baute nun als »Parteisoldat « eigenständig die Ortsgruppe Bad Krozingen der HJ auf, zunächst als Scharführer. Nach der Machtergreifung, jetzt schon im Range eines Gefolgschaftsführers, erhielt der arbeitslose Bieg - der Geflügelhof seiner Eltern war nach kurzer Zeit Pleite gegangen - nach einigen Aushilfstätigkeiten für seine Verdienste beim Aufbau der HJ in Bad Krozingen die Chance zu einer Karriere innerhalb der Partei als hauptamtlicher Funktionär, die er konsequent nutzte. Im Januar 1936 wurde er nach Karlsruhe als stellvertretender Personalamtsleiter der HJ, Gebietsführung Baden, berufen. Eine seiner ersten Dienstreisen führte ihn nach Freiburg, wo er zuvor schon ehrenamtlich als Unterbannführer, zuständig für die Markgräfler HJ, tätig gewesen war. Der Grund dieser Dienstreise war delikater Natur: In der Freiburger HJ-Führung hatte sich ein Personenkarussell in Gang gesetzt, bei dem sich die Bannführer in kurzen Zeitabständen ablösten. Einer war wegen homosexueller Tendenzen abgesetzt, der nächste nach Baden-Baden abberufen worden, der dritte gesundheitlich angeschlagen. Dadurch kam die von der Gauleitung geplante Einführung des HJ-Streifendienstes[29] in Freiburg nur zögerlich voran. Bieg erhielt den Auftrag, die Angelegenheit mit OB Kerber zu klären, was ihm gelang. Im April 1937 wurde er als Bannführer der 113er berufen, also zurück in seinen alten Wirkungskreis. Kurz zuvor hatte Bieg erstmals an einer achtwöchigen Wehrmachtsübung teilgenommen. Hier entstand wohl in seinem Kopf die Idee, mit einem Großgeländespiel die Freiburger Jugend in ähnlicher Art und Weise auf den Krieg vorzubereiten.
Geht man allein von dem nur spärlich überlieferten Schriftwechsel zwischen Stadtverwaltung und HJ aus, zeigt sich ein unübersehbarer Unterschied zur HJ-Führung vor Bieg: Der Ton gegenüber der Stadt - insbesondere gegenüber OB Kerber und dem Stadtkämmerer Schlatterer - wurde nun sofort scharf: Die Rolle der HJ sei seitens der Parteigenossen in der Stadtverwaltung bisher nicht genügend gewürdigt worden. Es komme jetzt darauf an, die HJ in Freiburg zur Speerspitze der Jugendrevolution zu machen, die die katholischen Jugendgruppen in die Knie zwinge. Parallel zu Biegs Aktivitäten inszenierte die NSDAP-Kreisleitung eine Schmutzkampagne gegen die »Pfaffen«, die die HJ mit Märschen vor die Wohnungen des Domkapitels in der Herrenstraße lautstark unterstützte. Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne am 26. August 1938 mit einer Kundgebung vor dem Erzbischöflichen Palais am Münsterplatz, bei der Kreisleiter Fritsch Erzbischof Gröber und Bischof Sproll (der aus der Diözese Rottenburg fliehen musste) öffentlich als »Schweinehunde« .und »Lumpen« titulierte, die aus der Stadt entfernt werden müssten. Überliefertes Zitat von Fritsch: »Wenn wir das bisher nicht getan haben, so nicht deshalb, weil uns der Mut fehlte, - um Waschlappen zu vertreiben, braucht man keinen Mut- sondern deshalb, weil wir uns die Finger nicht dreckig machen wollen an solchen Schweinen.«[30] Bieg und Fritsch vertraten die Meinung, dass der »lasche« OB Kerber und die Stadtverwaltung jetzt ihren Beitrag zu leisten hätten.
Bieg hatte als Freiburger Bannführer drei Ziele:
- Drastische Erhöhung der finanziellen Zuschüsse der Stadt für die HJ-Arbeit. Das erreichte er schnell. Gab die Stadt für die Zeltlager der HJ 1936/37 nur einen Zuschuss von 50 Pfennigen pro Teilnehmer (Kerber: »Das ist nicht Aufgabe der Stadt.«), erhöhte sich dieser Zuschuss bis zum Geländespiel 1938 auf 1,50 Reichsmark pro Person, d.h. dreimal so viel wie vorher.
- Er drängte darauf, dass feste finanzielle Zuschüsse für die HJ-Heime gegeben werden und nicht nur »gönnerhafte« Entlastungen von den lästigen Nebenkosten wie Strom und Wasser.
- Einführung der vormilitärischen Ausbildung in der HJ und dem Jungvolk: Mit einem Führererlass im Rücken zwang Bieg OB Kerber, eine Aufstellung aller von ihm benötigten »Kleinigkeiten« für die vormilitärische Ausbildung zu akzeptieren. Die Stadt gab ab 1938 der HJ im Unterschied zu früher aus Jugendpflegemitteln jährlich 12 000 Reichsmark, und zwar vor allem für die Anschaffung von Kleinkalibergewehren plus Munition, Pappkameraden, Wurfkeulen zum Üben des Handgranatenwerfens, Zielscheiben, Schießkästen etc. Diese »Jugendpflegemittel » aus dem Stadtsäckel erhöhten sich zwischen 1937 und 1940 von Null auf hundert Prozent.
Bieg nutzte als erster Bannführer konsequent seine Beziehungen zur örtlichen Industrie und zum Handwerk, um Gelder und Material für seine Vorhaben zu erhalten. Sein größter Coup gelang ihm mit dem Großgeländespiel im Juli 1938, zu dem die örtliche Industrie und das Handwerk 10 000 Tafeln Schokolade, 10 000 Pack Zwieback, große Mengen von Würsten, ganze Speckseiten und als krönenden Abschluss einen Ochsen mit 18 Zentnern Lebendgewicht beisteuerten. Darüber hinaus gelang es ihm, hochrangige Industrielle zur Mitarbeit im »Hohen Generalstab« zu gewinnen.
Bieg organisierte mit der HJ im Stadtgebiet das flächendeckende Anbringen der sog. »Stürmerkästen« - Tafeln mit den aktuellen Ausgaben des »Stürmer«, einem der übelsten Hetzblätter gegen Juden und die Kirchen. Die letzte feierliche Stürmerkastenanbringung geschah Ende 1937 am Gebäude der Mädchenarbeitsschule an der alten Stadtmauer. [31]
OB Kerber hatte diesem massiven Druck wenig entgegenzusetzen - außer dass er sich bei den jetzt fast wöchentlich stattfindenden Aufmärschen, Appellen und Sportfesten, die Bieg organisierte, fast nie persönlich sehen ließ, sondern durch Bürgermeister Hofner oder Stadtkämmerer Schlatterer vertreten ließ. Am 2. September 1939 gab Bieg vorübergehend die HJ-Führung ab, da er zur Wehrmacht einrückte. Am 1. Oktober 1939 wurde er Unteroffizier und nahm - das waren seine einzigen eigenen militärischen Leistungen - bis zum 3. März 1941 am Frankreichfeldzug teil. Im April 1941 wurde er auf eigenen Antrag von der Wehrmacht beurlaubt, um den HJ-Bann Freiburg weiterzuführen, allerdings nur für kurze Zeit. Im November 1941 überquerte er die Schweizer Grenze mit dem Auftrag, als Angestellter des Generalkonsulates Zürich im Auftrag der Reichsjugendführung in Berlin »jugendpolitisch dringende Aufgaben« in der Schweiz anzupacken. Er setzte seine Parteikarriere fort als designierter Oberbannführer der HJ und Leiter der »Reichsdeutschen Jugend in der Schweiz« - einer der zahlreichen Auslandsorganisationen der HJ im westlichen Ausland. Seine Ziele gegenüber der »spießigen« Stadtverwaltung Freiburgs hatte er im Wesentlichen erreicht. Freiburgs Jugend (hauptsächlich die Jahrgänge 1921 bis 1923) hatte er binnen kurzer Zeit auf einen Krieg vorbereitet, aus dem über 5000 meist junge Freiburger, Kaiserstühler und Schwarzwälder nicht zurückkehrten. Er selbst konnte den von ihm mit vorbereiteten Krieg von der Sonnenterrasse der neutralen Schweiz aus beobachten, ohne selbst persönlich beteiligt zu sein.
5. Erst die Fehde - dann der Krieg
Vier Monate nach dem Geländespiel - am Morgen des 10. November 1938 - brannte die Freiburger Synagoge am Werderring gegenüber der damaligen Rotteck-Oberrealschule (heute Universitätsbibliothek). Die Leiter der Aktionen der Freiburger Pogromnacht waren der SS-Standartenführer Walter Gunst und der SA-Brigadeführer Joachim Weist, beides Mitglieder des »Hohen Generalstabs« des Großgeländespiels vom Sommer 1938. Von ihren Klassenzimmern aus konnten die Schüler der Rotteck- Oberrealschule beobachten, dass niemand Löschversuche unternahm. Inwieweit die HJ an der Brandstiftung, an der Plünderung von noch vorhandenen jüdischen Geschäften und Banken in der Innenstadt beteiligt war, bleibt unklar - die Akten sind entweder verbrannt oder beiseite geschafft worden. Die Säuberungsmaßnahmen gegen den »jüdisch-bolschewistischen Weltfeind« wurden jedoch auch in Freiburg verstärkt. Über hundert Freiburger Juden transportierte man in den folgenden Tagen in das KZ Dachau ab. Darüber hinaus hatte die jüdische Gemeinde für den Abbruch .der Synagogenruine aufzukommen. Der Bauschutt wurde für die Verbreiterung der Strasse nach Haslach weiterverwendet und wer nicht wegsah, konnte die Gesetzestafeln Moses mit den hebräischen Inschriften aus der Synagoge im Straßengraben Richtung Haslach betrachten.[32] Weitere Sanktionen wie Berufsbeschränkungen, höhere steuerliche Belastungen, Anmeldepflicht für jüdische Vermögen, Kennzeichnungspflicht für jüdische Gewerbetreibende, endgültiger Ausschluss von Gemeinschaftseinrichtungen und die Halbierung der Butterration wurden verhängt. Schon am 15. August 1938 hatte sich der NSDAP-Kreisleiter Fritsch bei OB Kerber darüber beschwert, dass im städtischen Marienbad Juden verkehrten und gefordert, ihnen den Zutritt zu verweigern. Am 7. Oktober 1938 wurde das Marienbad mit dem Schild versehen: »Juden ist der Zutritt zu den Schwimmbädern verboten.« Einen Schritt weiter ging man im Colombi-Park, wo ein Hinweisschild angebracht wurde: »Hunden und Juden ist das Betreten verboten.«[33] Besonders demütigend war der Kennkartenzwang mit dem Eindruck eines großen »J«. Dieser »Judenstempel« ging auf einen Vorschlag der Schweizer Regierung zurück, da man damit an der Schweizer Grenze Deutsche und Juden besser unterscheiden konnte und jene Juden, die um politisches Asyl nachsuchten, leichter zurückschicken konnte.[34]
Demselben Zweck diente der jedem Deutschen jüdischer Abstammung verordnete zusätzliche Vorname »Sara« (für Frauen) oder »Israel« (für Männer). Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten 360 jüdischen Mitbürger Freiburgs verhaftet und in das KZ Gurs in den Pyrenäen deportiert. Von ehemals rund 1200 jüdischen Freiburger Bürgern (1933) blieb nach Kriegsende keiner mehr übrig.
Ungeachtet dieser Ereignisse, die das Jahr 1938 abschlossen, plante die HJ für den Sommer 1939 eine zehntägige Sommerfahrt in die jetzt deutsche Ostmark unter Führung österreichischer Bergführer. Kurz zuvor, am 19. Mai 1939, war Hitler in den Breisgau gekommen. Er besichtigte nahe der Burg Sponeck am Kaiserstuhl einen Teil der Bunker und Befestigungen, die als Westwall von der Organisation Todt (O. T.) für die »Verteidigung der Heimat« gebaut worden waren. Für einen Aufenthalt im (ungeliebten) Freiburg blieb nur ein kurzer Zwischenstopp auf dem Hauptbahnhof. Aber selbst unangekündigt brachte der »Führer« die Volksgenossen auf die Straße: Das Gedränge vor dem Hauptbahnhof war so groß, dass SA-Männer ihre Schulterriemen benutzten, um damit auf Freiburger einzuschlagen, die Hitler sehen wollten. Dass diesem derartiges zutiefst missfiel, geht aus einem entsprechenden Aktenvermerk der Führeradjutantur hervor. [35]
Für die meisten Freiburger Jugendlichen kam der Kriegsausbruch am 1. September 1939 nicht völlig überraschend. Für den Ernstfall war man lange genug vorbereitet worden. Der verlockenden Möglichkeit, durch ein »Notabitur« der lästigen Abschlussprüfung zu entgehen, indem man sich freiwillig zur Wehrmacht meldete, konnten nur wenige widerstehen, und wenn, dann hauptsächlich unter dem Druck ihrer Eltern. Doch schon nach wenigen Monaten zeigte sich, dass die Befürchtungen Andersdenkender berechtigt gewesen waren. Die Liste der Todesanzeigen für Gefallene unter den Zwanzig- bis Fünfundzwanzigjährigen wurde immer länger. Ab Mitte 1944 - der Krieg hatte alle Dimensionen überschritten - druckte der »Alemanne « wegen angeblichen Papiermangels überhaupt keine Todesanzeigen mehr ab. Nach dem verheerenden Bombenangriff vom 27. November 1944 hatte die HJ in der Stadt einen schweren Stand. Die Einbeziehung Freiburgs in die Kriegswirtschaft, die zunehmenden Wohnungs- und Versorgungsprobleme hatten großen Unmut gegen die nationalsozialistischen Organisationen in der Bevölkerung reifen lassen. Auch OB Dr. Franz Kerber musste einen letzten Kampf gegen die ungeliebte HJ ausfechten. Er wollte die Kinder des Freiburger Waisenhauses, die ihr Heim verloren hatten und unter Unterernährung und Mängeln jeder Art litten, auf dem Schauinsland im Haus »Luginsland« einquartieren. Das Haus hatte allerdings die Freiburger HJ bereits requiriert. OB Kerber, der ein ganzes Jahrzehnt lang die HJ unterstützt, gefördert und aus dem Stadtsäckel finanziert hatte, rechnete nun mit einer großzügigen Geste der HJ für die unschuldigsten Opfer dieser Bombennacht. Er musste allerdings erleben, dass der vorläufige HJ-Bannführer, Volke, dieses Ansinnen kategorisch ablehnte. Nach dem Motto: »Was die HJ hat, gibt sie nicht mehr her«, weigerte sich die Führung, auch nur die Idee zu diskutieren, das Haus Luginsland als vorläufiges Refugium für die Waisenkinder zur Verfügung zu stellen. Kerber war über diese schroffe Ablehnung so verbittert, dass es zu einem offenen Schlagabtausch mit dem HJ-Obergebietsführer Kemper in Karlsruhe kam. Dessen Beschwörungen der Begriffe von Ehre, Treue und Kameradschaft konnte Kerber nicht mehr nachvollziehen. Er erklärte, dass niemand seitens der Nationalsozialisten der Stadtverwaltung geholfen habe, die schlimmsten Folgen des Luftangriffes zu beseitigen. Weder seitens der HJ, der Partei, der Wehrmacht, des Reichsarbeitsdienstes noch sonstiger übergeordneter Stellen habe man ihm für seine Arbeit gedankt. Kerber fühlte sich allein gelassen. Er drückte seine Bitterkeit darüber aus, dass er ein Jahrzehnt lang alles getan habe, diese Gliederungen zu unterstützen, ohne jetzt irgendeinen Dank zu ernten.[36]
Dieser Brief war der Abgesang eines gescheiterten Oberbürgermeisters, der sich nie zwischen den Interessen der Stadt und der Partei hatte entscheiden können. Er hat auch nicht verhindert, dass noch am 23. März 1945 die letzten Freiburger Jugendlichen in die HJ überführt wurden. Es gab allerdings keine Aufmärsche, keine Trommelwirbel, keine Fahnensprüche mehr. Die Meldung war dem »Alemannen« ganze zehn Zeilen wert. Vier Wochen später erschien die letzte Ausgabe dieses Blattes. Am 21. April 1945 wurde auf dieser letzten Seite gemeldet, dass sich die dem Volkssturm eingegliederte Hitler-Jugend im Kampf gegen den von Norden eindringenden Feind »vorbildlich« und »heldenhaft« geschlagen habe. Noch einmal verblutete die »Speerspitze der Jugend« in einem sinnlosen Kampf. Aber die Akte »Drittes Reich« wurde endgültig geschlossen. Am frühen Nachmittag desselben Tages rollten die ersten französischen Panzer in die Innenstadt. Das »tausendjährige Reich« war vorbei.
6. Oberbannführer Bieg holt das letzte »Kanonenfutter« für den Krieg aus der Schweiz
Am Sonntag, den 19. Juli 1942, gegen 12 Uhr herrschte auf dem Freiburger Hauptbahnhof großes Gedränge. Viele »Volksgenossen« wollten den um 12.08 Uhr erwarteten Sonderzug aus Basel sehen, der ungewohnte Gäste in die Schwarzwaldhauptstadt brachte: 1275 »reichsdeutsche Jugendliche« aus der ganzen Schweiz, die die nächsten vierzehn Tage das »Wilhelm-Gustloff-Gedächtnislager« im Universitätsstadion und auf dem Gelände der FT 1844 bevölkern würden. Es war das größte auslandsdeutsche Lager der HJ, das in diesem dritten Kriegsjahr im Reichsgebiet stattfand. Nur Wenigen hat sich damals der Zweck enthüllt, den dieses Lager hatte und für das die Stadt eine hohe Summe aus dem schon kriegsbedingt kargen Stadtsäckel aufwenden musste. Wilhelm Gustloff hatte schon 1930 in Davos die erste Schweizer Ortsgruppe der NSDAP gegründet, 1932 wurde er Landesgruppenleiter der NSDAP in der Schweiz. Sein Ziel: Möglichst viele in der Schweiz lebende »Reichsdeutsche« für den Nationalsozialismus zu gewinnen und gemeinsam mit der schweizerischen »Nationalen Front« Stimmung für den Anschluss der Schweizer »Blutsbrüder« an das Reich zu machen. Am 4. Februar 1936 wurde Gustloff von David Frankfurter, einem 25jährigen jüdischen Medizinstudenten, ermordet. Hitler, ein Duzfreund Gustloffs, ließ den Sarg in einem Sonderzug quer durch Deutschland nach Schwerin bringen, wo eine pompöse Trauerfeier stattfand. Die Namensgebung des Lagers 1942 in Freiburg war also kein Zufall. Auch der Aufenthalt einer derart großen Zahl von Jugendlichen in Freiburg, deren Eltern in der Schweiz lebten, war etwas ganz anderes als ein normaler Ferienaufenthalt. In den Jahren zwischen 1933 und 1938 war die Saat der Arbeit Gustloffs in der Schweiz aufgegangen. Im deutschsprachigen Teil der Schweiz lebte eine deutsche »Kolonie« von etwa 72 000 deutschen Staatsangehörigen, von denen die alliierten Geheimdienste rund 44 000 als eindeutige Nazi-Sympathisanten einstufte. Ende 1938 waren in den 45 NSDAP-Ortsgruppen in der Schweiz rund 30 000 Parteimitglieder registriert. Ihr Zentrum hatte die Partei im »Braunen Haus«, dem Hotel Savoy in Davos. Gelenkt wurde die Arbeit im Wesentlichen über die deutsche Botschaft in Bern, wo die Nazi-Funktionäre als »Diplomaten« ausgewiesen waren, um Schwierigkeiten zu umgehen. Da der »Paten-Gau« der Reichsdeutschen Jugend (RDJ) in der Schweiz die HJ - Südbaden war, waren enge Verbindungen zwischen Freiburg, Basel und Davos bereits vorhanden. Diese verstärkten sich noch, als der Freiburger Bannführer der Hitler- Jugend, Heinrich Bieg, im November 1941 in die Auslandsabteilung der Reichsjugendführung berufen und als Oberbannführer Landesjugendführer der Reichsdeutschen Jugend in der Schweiz wurde. Biegs Aufgabe: Kanonenfutter unter den Jugendlichen der Reichsdeutschen für die Wehrmacht anzuwerben. Dies ging am besten dadurch, dass man ihnen das Reich und seine kriegs- und führerbegeisterte Bevölkerung vorführte. Daher die Reise so vieler Jugendlicher aus allen Teilen der Schweiz in das Freiburger Lager. »All die Jungen und Mädels werden, wenn sie wieder zurückkehren, ihren Eltern, Brüdern und Schwestern ein Bild geben können, mit welcher Kraft das deutsche Volk dasteht und mit welch ungeheurem Willen es dem Endsiege entgegensieht.«[37]
Mit diesen Worten hatte beim ersten Lagerappell der Jugendführer der Auslandsorganisationen der HJ, Antoni, das Ziel des Gustloff-Lagers klar umrissen. »Blumengeschmückt in Freiburg eingerückt«, betitelte die Freiburger Zeitung vom 20. Juli 1942 ihre Stadtseite.
In der Tat hatte das Gartenamt der Stadt Freiburg unter der Leitung des Direktors Robert Schimpf ganze Arbeit geleistet. Am Lagereingang an der Schwarzwaldstraße war ein hölzernes Siegestor errichtet worden. 58 Großzelte für das Jungenlager und 52 Zelte für das Mädchenlager standen bereit, Gulaschkanonen für das Essen und Waschgelegenheiten - alles von der Stadt finanziert in einer Zeit, wo der »normale Freiburger« schon froh war, wenn die Lebensmittelrationierung in dieser Kriegszeit halbwegs funktionierte. Am Sonntag, den 19. Juli fand vor großer Kulisse unter dem extra errichteten Gustloff-Mahnmal die Lagereröffnung statt. Die folgenden zwei Wochen waren stramm verplant: Eine Stadtbesichtigung, eine Festveranstaltung im Stadttheater mit der Aufführung des »Fliegenden Holländers«, ein Abend mit dem Heimatdichter Hermann Burte, Geländesportübungen, weltanschauliche Schulungen jeden Nachmittag, ein Heimatabend (organisiert vom BdM) und einiges mehr. Den propagandistischen Höhepunkt bildete der Besuch hochrangiger Mitglieder der Reichsjugendführung am Freitag, den 24. Juli 1942. Es war Bieg gelungen, den Nachfolger Baldur von Schirachs, Arthur Axmann, nach Freiburg zu holen, der den »Lagerappell« abnahm. Zu seiner Delegation gehörten neben dem deutschen Botschafter in der Schweiz, Dr. Köcher, der Gauleiter der NSDAP-Auslandsorganisationen, Erich Bohle, der Landesgruppenleiter in der Schweiz, Freiherr von Bibra, und ca. 20 weitere Kreisinspekteure und Hoheitsträger konsularischer Vertretungen. Nachdem diese Delegation den Lagerappell abgenommen hatte, richtete die Stadt einen Empfang auf ihre Kosten für die NS-Prominenz und geladene Freiburger Gäste im »Römischen Kaiser« aus - eine mehr als spendable Geste in Kriegszeiten! Selbst das wurde der Stadt seitens der Lagerleitung nicht gedankt: Als der Stadtrat zwei Tage eine Lagerbesichtigung vornehmen wollte, war es leer, weil alle Teilnehmer »im Gelände« waren. Man hatte den Termin schlichtweg vergessen.
Das Freiburger Lager erregte aus drei Gründen internationales Aufsehen:
- Der Auslandspresse erschien es unglaublich, dass die Schweiz die Ausreise und die Wiedereinreise von 130 1 300 »Reichsdeutschen« erlaubte, zu einem Zeitpunkt, an dem alle europäischen Flüchtlinge, die versuchten, vor den Nazis in der Schweiz Zuflucht zu suchen, rigoros zurückgewiesen und der Gestapo überstellt wurden.
- Der Schweizer Presse missfiel, dass im Lager massive Hetzreden gegen die Schweiz gehalten wurden. Hauptredner der Abschlussveranstaltung war Hermann Burte, der alemannische Blut- und Bodendichter, der u.a. formulierte: »Wir werben, wenn wir wissen, dass sie unsere Sprache sprechen, dass sie unseres Blutes sind. Wir werben um ihre Liebe, selbst, wenn sie verschmäht wird. Aber die große Mutter Germania will auch ihren unartigen Kindern nachgehen, will auch die verlorenen Söhne zu sich zurückholen. Freilich, in Deutschland lebt man nicht behaglich! Dort hat der weltentbrannte Krieg jeden Menschen bis ins Innerste erfasst. Opfermütig, einsatzbereit, leidgeprüft, so wartet Deutschland, dass man sich zu ihm bekennen müsste, wenn man seinem Stamme angehört. Die das aber wissen und fühlen, die offenbaren den wesenhaften Zug des deutschen Menschen, den es dorthin zieht, wo die Gefahr ist, der Kampf, der Sieg...« [38]
- Der Regierung in Bern missfiel, dass erstmals öffentlich deutlich geworden war, dass die »neutrale Schweiz« so gut wie nichts gegen die Braunhemden im eigenen Land unternahm. Auszunehmen davon ist der sozialdemokratisch geführte Kanton Basel, der sich überlegte, ob man den 1 300 Jugendlichen die Wiedereinreise nicht verwehren sollte. Um diplomatische Verwicklungen mit dem Reich zu vermeiden, verzichtete man auf diese Maßnahme.
Für den Führer der Reichsdeutschen Jugend in der Schweiz, Bieg, war das Freiburger Lager der Höhepunkt seines Wirkens. »Galten die vergangenen Jahre der Schaffung der Organisation als solcher, so ist es nunmehr unsere Aufgabe, in diesem Jahr die Erfassung der in der Schweiz lebenden reichsdeutschen Jugendlichen hundertprozentig durchzuführen «,[39] hieß es im internen Befehlsblatt der RDJ vom Januar 1942. Wie in Freiburgs HJ überzog Bieg die Reichsdeutsche Jugend mit einem dichten Netz an Aktivitäten: Heimabende, Schulungen, Singen, sportliche Ausbildung und Großveranstaltungen, wie z.B. ein RDJ-Leichtathletik-Sportfest im Züricher Förrlebuck- Stadion, wo Anfang Juli 1942 vor 14 000 Zuschauern der Aufmarsch von 2 000 reichsdeutschen Jugendlichen und 680 italienischen Jugendlichen stattfand. Mit der Organisation des Gustloff-Gedächtnis-Lagers in Freiburg war er dieser Aufgabe der Erfassung, Schulung und Werbung für den Dienst in der Wehrmacht als Kriegsfreiwillige im Reich ein großes Stück nähergekommen. Er bekam dafür ein für damalige Verhältnisse fürstliches Gehalt, im Monat 2 050 Schweizer Franken. Freilich leistete er auch »Schwerstarbeit«. 1946 stellte ein Untersuchungsbericht des Regierungsrates des Kantons Basel fest, dass ab Ende 1941 die Militarisierung der RDJ zunahm. Das war genau der Zeitpunkt, zu dem Bieg seinen Dienst in der Schweiz antrat. Es ging wie in Freiburg beim Militärmanöver 1938 um das »Scharfmachen der Jugendlichen«. Der Regierungsbericht führte aus: »Junge Deutsche, die in der Schweiz aufgewachsen waren, führten sich wie ausgewachsene Obersturmführer der SS auf Bei den Kommandos trat jenes »Zackige« und »Eckige« in Reinkultur hervor, das von den angehenden Führern der Hitlerschen Stammtruppe verlangt wurde. Außer militärischem Vorunterricht mit Ausmärschen und Geländeübungen fehlte es selbstverständlich auch nicht an der weltanschaulichen Beeinflussung.«[40]
Wie ein Hohn muss es auf die in die Schweiz geflüchteten Juden aus aller Herren Länder gewirkt haben, dass sie nun auf neutralem Boden erneut ihren Peinigern in Marschkolonnen auf der Straße begegnen konnten. Nur das Tragen von HJ-Uniformen in der Öffentlichkeit war verboten - das Tragen des schwarzen Leibgurtes mit dem Koppelschloss mit der Aufschrift »Blut und Ehre« zur schwarzen Hose und dem weißen Hemd in geschlossenen Räumen bei Anlässen der RDJ hingegen nicht. In den Jahren von 1942 bis 1944 meldete sich eine große Anzahl von männlichen RDJ-Jugendlichen 1938 freiwillig für die SS und Wehrmacht ins Reichsgebiet zurück. Allein ihre Zahl war so groß, dass eine spezielle Einheit der Waffen-SS und ein SS-Bataillon gebildet werden konnte.[41] Das Freiburger Wilhelm-Gustloff-Lager im Juli 1942 markierte zweifellos einen Höhepunkt der Infiltration der Schweiz durch die Nationalsozialisten. Neben der Frage, warum die Schweiz diesem Treiben tatenlos zusah, obwohl ersichtlich war, dass die Nazis unter den Augen der Welt in einem neutralen Land junges Kanonenfutter für ihren sinnlosen Krieg organisierten, bleibt die Feststellung, dass auch die Stadt Freiburg dieses Ziel mit der massiven Unterstützung für das Lager gebilligt hat. Wie viele Jugendliche dem »Heim ins Reich«-Geschrei gefolgt sind und dies mit ihrem Leben bezahlten, wissen wir nicht. Aber jeder einzelne war einer zu viel.
Erst sehr spät, nachdem Nazideutschland im Mai 1945 kapituliert hatte, schien der Schweizer Bundesanwaltschaft gedämmert zu haben, welchen Zweck das Riesenlager in Freiburg gehabt hatte. Am 15. Mai 1945, eine Woche nach der deutschen Kapitulation, wurde in den Räumen der RDJ eine ·Hausdurchsuchung durchgeführt und Heinrich Bieg durch die Sicherheitspolizei Bern verhört. Gefunden wurde diplomatisches Kuriergut in Form von 14 000 HJ-Achselklappen mit der Kennzeichnung der RDJ, die, laut Vermutung der Schweizer Bundesanwaltschaft, dazu gedient hätten, bei einem deutschen Überfall auf die Schweiz die »Reichsdeutschen« einigermaßen zu uniformieren und kenntlich zu machen. Infolge des Verdachtes, im Falle eines Überfalls auf die Schweiz eine herausragende Rolle gespielt und diese vorbereitet zu haben, wurde Bieg als unerwünschter Ausländer gemeinsam mit 3 000 deutschen Gesinnungsgenossen aus der Schweiz ausgewiesen und am 10. Juli 1945 über die Grenze Basel-Riehen den französischen Besatzungsbehörden übergeben. Bieg saß von 1945 bis 1948 dreieinhalb Jahre in der ldingerstr. 1 in Freiburg im französischen Internierungslager - sein Zellengenosse war der spätere Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer.[42] Am 30. August 1987 starb Bieg in Freiburg.
Anmerkungen
[1] Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Bd. 3: Von der badischen Herrschaft bis zur Gegenwart. Hrsg. von Heiko Haumann und Hans Schadek. Stuttgart 1992.
[2] Bechtold, Gretel: Ein deutsches Kindertagebuch in Bildern. 1933-1945. Freiburg im Breisgau 1997; Huber, Hans Friedel: Erinnerungen an eine Freiburger Kindheit im Kriege. Die erste Zeit. Freiburg 1984.
[3] »Es zittern die morschen Knochen«; Regisseur: Peter Adler, Länge 30 Minuten; Erstausstrahlung am 25. 7. 1998 in Südwest 3 Landesschau unterwegs, erhältlich bei der Media GmbH des SWR, 76522 Baden-Baden.
[4] Hainmüller, Bernd: Erst die Fehde-dann der Krieg. Jugend unterm Hakenkreuz. Freiburg 1998.
[5] Vordtriede, Käthe: »Es gibt Zeiten, in denen man welkt.» Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Detlef Garz. Lengwil/CH 1999; Vordtriede, Käthe: »Mir ist es noch wie ein Traum, dass mir diese abenteuerliche Flucht gelang«. Briefe nach 1933 aus Freiburg im Breisgau, Frauenfeld und New York an ihren Sohn Werner. Lengwil/CH 1998.
[6] »Fehde ist angesagt- 1 100 marschieren«. Erlebnisberichte der Hitler-Jugend des Bannes 113. Hrsg. von der Pressestelle des Bannes 113 Freiburg (Pressestellenleiter Hans Joachim Köhler). Freiburg 1938. (Damalige Auflage 5000 Exemplare). S. 27.
[7] Ebenda, S. 24
[8] Ebenda, S. 26
[9] Ebenda, S. 10
[10] Ebenda, S. 6
[11] Ebenda, S. 20
[12] Ebenda, S. 6
[13] Friedhelm Kemper, geb. am 24.11.1906 in Pyritz, ab 1926 Reichsredner der NSDAP, ab 1930 Kreisleiter der NSDAP in Mannheim, ab 1931 Führer der HJ in Baden; ab 12. 11. 1933 Mitglied des Reichstages, Wahlkreis Baden; 1943 zum HJ-Obergebietsführer in Baden ernannt.
[14] Fehde ist angesagt (Anm. 6), S. 6.
[15] Ebenda, S. 8
[16] Führerdienst. Lagerausgabe 1938 des Gau Baden. Nur zum internen Dienstgebrauch. S. 4.
[17] Fehde ist angesagt (Anm. 6), S. 7.
[18] Führerdienst (Anm.16).
[19] Führerdienst (Anm. 16), S. 14.
[20] Fehde ist angesagt (Anm. 6), S. 33.
[21] Brief von Dr. Hans Kiskalt, Baden-Baden, an den Verfasser, 5. 8. 1998.
[22] Geschichte der Stadt Freiburg, Bd. 3 (Anm. 1), S. 343 ff.
[23] Der Alemanne, Zeitung der NSDAP Freiburg, 17.Juni 1933,S.6.
[24] Brief von Dr. Hans Kiskalt (Anm. 21). Zur Geschichte von Fritz Kölli (1900-1942), s. auch Rübsam, Dagmar/ Schadek, Hans (Hrsg.): Der Freiburger Kreis. Widerstand und Nachkriegsplanung 1933- 1945. Katalog einer Ausstellung. Freiburg 1989. S. 39 ff.
[25] Siehe hierzu auch Armin Nolzen: Der Streifendienst der Hitlerjugend und die „Überwachung der Jugend 1934-1945“ in: „Durchschnittstäter, Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus Nr. 16, hrsg. von Thomas Sandkühler, Berlin, 2000, S. 13 ff.
[26] StadtAF, C4, 11,6. Nr. 6.
[27] Tagebuchaufzeichnung von Käthe von Lüpke-Bahlke, 28.10.1936, unveröff. Ms.
[28] StadtAF, C4, 11/4, Nr. 1.
[29] Der HJ-Streifendienst war eine Art Jugendpolizei und arbeitete deshalb eng mit der SS und der Polizei zusammen. Die Ausbildung der »Jugendpolizisten « übernahm die SS. Zu den Aufgaben des Streifendienstes gehörte die Überprüfung der vorschriftsmäßigen Uniform der HJ-Angehörigen bei öffentlichen Veranstaltungen, die Kontrolle von Landstraßen und Wanderwegen per Fahrrad, das Aufspüren und Melden von als vermisst gemeldeten Jugendlichen (Ausreißern). Während des Krieges kam die Aufgabe dazu zu kontrollieren, dass sich nach Einbruch der Dunkelheit keine Jugendlichen auf der Straße aufhielten. Siehe auch Anmerkung 25
[30] Keller, Erwin: Conrad Gröber. Erzbischof in schwerer Zeit. Freiburg 1981. S. 211.
[31] Vordtriede, Es gibt Zeiten (Anm. 5), S. 182 ff.
[32] Vordtriede, S. 198
[33] Vordtriede, S. 177
[34] Verhandlungspartner auf Seiten des Deutschen Reiches war der deutsche Gesandte in der Schweiz, Dr. Kröcher, der 1942 auf Einladung von Heiner Bieg das Freiburger »Wilhelm-Gustloff-Gedächtnis-Lager« inspizierte.
[35] Heiber, Helmut/Heiber, Beatrice: Die Rückseite des Hakenkreuzes. München 1993. S. 61.
[36] StadtAF, C4, 11/4, Nr. 1.
[37] Freiburger Zeitung, Nr. 198 vom 20.7.1942
[38] Der Alemanne, Nr. 207 vom 29.7.1942
[39] Rapport in Sachen Schweiz. Bundesanwaltschaft, Polizeidienst gegen Bieg, Heinrich, Sicherheits- und Kriminalpolizei der Stadt Bern vom 17. 5. 1945 mit Anlagen.
[40] Bericht des Regierungsrates über die Abwehr staatsfeindlicher Umtriebe in den Vorkriegs- und Kriegsjahren, sowie die Säuberungsaktion nach Kriegsschluss, dem großen Rat des Kantons Basel vorgelegt am 4.7.1946. S. 50.
[41] Bower, Tom: Das Gold der Juden. Die Schweiz und die verschwundenen Nazi-Milliarden, München 1997. S. 54.
[42] Hanns-Martin Schleyer (geboren 1915, ermordet 1977) stammte aus Offenburg, trat 1931 der Hitlerjugend und noch vor Aufnahme seines Studiums in Heidelberg der SS bei, in der er bis zum Hauptsturmführer aufstieg. Ab 1937 übernahm er Leitungsfunktionen im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund und Studentenwerk, ab 1938 im Sicherheitsdienst der SS an der Hochschule. Seit 1941 leitete er im Auftrag des Sicherheitsdienst-Chefs Reinhard Heydrich das Präsidialbüro des Zentralverbands der Industrie in Böhmen und Mähren in Prag. Starke Indizien, die Bernt Engelmann in Gesprächen mit Prager Zeitzeugen erst 1987 recherchierte, und die daher nicht mehr gerichtlich überprüft werden konnten, legen nahe, dass Schleyer am 6. Mai 1945 als letzter Kampfkommandant von Prag aus Rachsucht ein Massaker an 41 Zivilisten verübt hat (vgl. Köhler 1992). Interessanter für diesen Zusammenhang ist aber die Tatsache, dass Schleyer 1935 das Corps Vandalia Heidelberg scharf angriff, weil dieses als einziges Corps in Heidelberg den Ausschluß von Juden ablehnte. Kurze Zeit später trat er unter Protest aus dem Corps Suevia aus, weil den Corps "der Wille zur nationalsozialistischen Leistung" fehle (Köhler 1992: 288 f.). Dennoch schrieb 1977 der Vorort des Kösener Senioren Convents-Verbands: "Hanns Martin Schleyers Verdienste um sein Corps Suevia in Heidelberg sind Verdienste um das Corpsstudententum in schwieriger Zeit gewesen! Wo er seine Spuren hinterlassen hat, werden sie unauslöschlich bleiben. Sein Tod muß uns Mahnung sein für die Verwirklichung des Menschseins in diesem Staat" (zit. nach Köhler 1992: 286). Schleyer brach also zwei Jahre nach dem geschlossenen, begeisterten Bekenntnis der Corps zum Nationalsozialismus mit seiner eigenen Verbindung, die offenkundig nicht einmal die gemäßigteste am Ort war, weil sie ihm immer noch nicht radikal genug nationalsozialistisch ausgerichtet erschien. Und ein solches Verhalten scheint weder mit dem corpsstudentischen Verständnis von "Toleranz" noch von "Freundschaft" in Widerspruch zu stehen, sondern es lässt im Gegenteil Raum für die Würdigung seiner "Verdienste um das Corpsstudententum" - und für seinen Einsatz zur Mitgliederwerbung in Siegen.