Gelingender Unterricht in Flüchtlingsklassen - wie geht das?
Erfahrungsbericht Flüchtlingsklasse VABO
Bernd und Hiltrud Hainmüller
1.Ziele:
„Entgegen der übrigen Bildungsgänge des Beruflichen Schulwesens intendiert das Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit dem Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen (VABO) keinen Schulabschluss, sondern will in allen Fächern den Deutschspracherwerb strukturieren und unterstützen. Das bedeutet, dass Sprachförderung die Aufgabe aller Unterrichtenden in allen Unterrichtsfächern ist. Als Antwort auf die spezifischen Bedingungen von Migration und Flucht soll das pädagogische Grundprinzip SAVE die Arbeit der Lernenden und Unterrichtenden begleiten. In einer mitunter belastenden und ungewissen Lebenssituation können die Schülerinnen und Schüler durch den Besuch des VABO einen geschützten Raum betreten, der ihnen durch verlässliche Personen und Strukturen in einer Atmosphäre der Offenheit und des angstfreien Miteinanders ermöglicht, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die eigene Zukunft zu entwickeln. Dabei spielen wertschätzende und empathische Beziehungen aller am Unterricht Beteiligten eine erhebliche Rolle. So kann ausgehend vom Klassenzimmer eine Einbindung in das soziale Leben in der Schule sowie vor Ort angebahnt werden“. (Leitfaden des Kultusministeriums Baden-Württemberg, 2015, S. 1)
2.Bestandsaufnahme:
Die VABO 2 an der WARA (Walther-Rathenau-Gewerbeschule Freiburg) hatte ihren Schulbeginn am 14. 12. 2015. Von den damals 13 Schülern ist die Klasse monatsweise gewachsen und hat inzwischen 20 Schüler/innen. Davon sind 14 Jungen und 6 Mädchen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren. Die Schüler stammen aus dem Nordirak, Syrien, Eritrea und Afghanistan und befinden sich seit ca. 6 Monaten in Baden-Württemberg und leben überwiegend in Flüchtlingswohnheimen. Die meisten Schüler sind nur mit Teilfamilien in Freiburg, einige sind unbegleitet, das Jugendamt hat Ihnen einen Vormund zugeteilt. Nur zwei Schüler haben ihre Herkunftsfamilie komplett bei sich. Die Konstellationen ihrer Hauptbezugspersonen reichen von Onkel und Tanten, der älteren Schwester, des älteren Bruders, der Oma, des Opas bis hin zu Freunden, die auf dem langen Weg nach Deutschland zu Vertrauten geworden sind.
3.Einige „Gesichter“ in der Menge (Namen wurden anonymisiert)
A. stammt aus der Provinz Kandahar in Afghanistan. Die Taliban haben weite Gebiete der Provinz zurückerobert. Sein Vater, ein Armeeoffizier in Qalat-e Gilzay, wurde vor seinem Haus von Taliban erschossen, A. war nicht zu Hause, aber die Botschaft, die man ihm übermittelte, lautete: „Du bist der Nächste aus deiner Familie“. Ohne sich von der Familie verabschieden zu können, begann er seine Flucht. Sein Fluchtweg führte über den Iran, Azerbaijan, die Türkei, Nordgriechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich. Er war ca. 1 ½ Jahre unterwegs. Er spricht Pashto. Kontakt zu seiner Familie hat er nach wie vor nicht; er lebt mit drei anderen afghanischen Flüchtlingen in einem kleinen Zimmer im Flüchtlingsheim in Freiburg.
B. stammt aus der syrischen Stadt Hama. Diese Stadt war einer der ersten Brennpunkte des Bürgerkriegs und ist weitgehend zerstört. Seit Oktober 2015 sind hier über 600 Menschen durch russische Bombardements ums Leben gekommen. B. spricht arabisch. Er ist mit seiner Familie gekommen – über die Türkei mit dem Boot nach Griechenland und die Balkan-Route. Inzwischen hat die Familie eine Wohnung gefunden.
C. stammt aus der Hauptstadt Eritreas, Asmara. In Eritrea gibt es einen unbegrenzten Militärdienst, Folter und eine Diktatur. Sein Fluchtweg führte über den Sudan, quer durch die Sahara nach Libyen, von dort mit dem Boot nach Lampedusa, Italien, Österreich. Er war ca. 2 Jahre unterwegs, wurde unterwegs beraubt und von Banditen gefangen gehalten. Er spricht Tigrinya. Er hat keine oberen Schneidezähne mehr. Wir suchen einen Zahnarzt, der ihm eine Prothese einsetzt, weil er nur nuschelnd spricht und dies die Verständigung erheblich behindert.
D. stammt aus Sindjal im Nordirak. Er gehört zur religiösen Minderheit der Jesiden. Im Oktober 2015 hat DAESCH (IS) das Siedlungsgebiet der Jesiden erobert und an ihnen ein Genozid verübt (so Ministerpräsident Kretschmann). Viele Männer wurden vom IS ermordet, Frauen und Kinder als Sklaven nach Mossul und Rakka verschleppt und dort als Ungläubige für 600 Dollar verkauft. Wo seine Eltern sind, weiß er nicht. Er lebt bei einem Verwandten in Freiburg, der auch Vormund ist. Er spricht Kurmanci, einen kurdischen Dialekt und Arabisch.
E. stammt aus der Nähe von Kobane in Nordsyrien an der türkischen Grenze. Die Kämpfe um diese Stadt gehören zu den brutalsten Schlachten gegen DAESH. A. ist Kurde. Er hat in der Schule arabisch gelernt, spricht aber das unter Assad verbotene Kurmanci. Kurdisch schreiben kann er aber nicht. Er will irgendwann als Kämpfer zurück in die autonome Region Westkurdistan (Rojava) , so werden von kurdischen Organisationen die de facto autonomen kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien bezeichnet. Am 17. März 2016 rief eine Versammlung von kurdischen, assyrischen, arabischen und turkmenischen Delegierten die autonome Föderation Nordsyrien – Rojava aus, bestehend aus den drei Kantonen Rojavas. die von kurdischen Syrern um Kobane herum gegründet wurden. Ob sie nach Ende des Krieges noch existiert, ist ungewiss. A. hat einen Vormund und einen Erziehungsbeistand. Seine einzige Bezugsperson hier ist seine ältere Schwester, die auch geflohen ist. Er lebt mit ihr in einem Flüchtlingswohnheim.
F. stammt aus der Stadt Halabja an der iranischen Grenze. Er hat in der Schule arabisch gelernt, spricht aber die zweite kurdische Sprache, das unter Saddam Hussein verbotene Sorani. 1988 ermordete Saddam Hussein in Halabja rund 20.000 Kurden mit Giftgas.
G., H., I., J., K. und L. – sechs Mädchen im Alter zwischen 16 und 17 Jahren - wurden von Dohuk (Autonome Provinz Kurdistan -Nordirak) aus, wohin sie vor dem IS geflohen waren, im Dezember 2015 nach Baden-Württemberg ausgeflogen. Sie leben mit ihren Müttern und Geschwistern in Freiburg. Die Väter sind noch im Nordirak und versuchen die Befreiung ihrer vom IS in Mossul gefangengehaltenen Angehörigen. Viele unserer jesidischen Schülerinnen sind traumatisiert durch die Flucht, Gefangenschaft oder durch das ungewisse Schicksal vieler ihrer Familienangehörigen.
M. – kam direkt aus der Gefangenschaft des IS in die Klasse. Sie hat schon mehrere traumatisch bedingte Zusammenbrüche erlitten, die auch in der Klasse den Einsatz eines Notarztes nötig machten. Das Schicksal ihrer beiden Eltern ist völlig unklar.
4.Rechtsstatus der Schüler/innen
Schulpflicht besteht in Baden-Württemberg für alle Kinder und Jugendlichen, die im Land ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Ausbildungs- oder Arbeitsstätte haben (§ 72 SchG). Diese Pflicht besteht unabhängig von der Nationalität, gilt also auch für alle Kinder und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft oder Staatsangehörigkeit. Schulpflichtig ist auch, wem aufgrund eines Asylantrags der Aufenthalt in Baden-Württemberg gestattet ist oder wer hier geduldet wird, unabhängig davon, ob er selbst diese Voraussetzungen erfüllt oder nur ein Elternteil; die Schulpflicht beginnt sechs Monate nach dem Zuzug aus dem Ausland und besteht bis zur Erfüllung der Ausreisepflicht fort. In einer Verwaltungsvorschrift vom 25. 3. 1999 (Nr.IV/1-6601/259) wird die Schulverwaltung auf eine lntegrierung der ausländischen Kinder und Jugendlichen verpflichtet. Das KM hat darin u.a. festgelegt: „Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Herkunftssprache besuchen so weit wie möglich die ihrem Alter und ihrer Leistung entsprechende Klasse der in Betracht kommenden Schulart“. Soweit sie nicht wegen fehlender Deutschkenntnisse oder aufgrund besonderer Sprachschwierigkeiten zunächst Vorbereitungsklassen und –kurse besuchen, bleibt das Ziel des Schulbesuchs der Besuch des Unterrichts in regulären Schulklassen. Für das VABO als Vorbereitungsklassen im Beruflichen Schulwesen wäre das letztliche Ziel die Einmündung in das Berufsschulsystem und seine weitgefächerten Möglichkeiten z. B. einer dualen Ausbildung, einer Berufsfachschule oder eines technischen Gymnasiums. Die Verwaltungsvorschrift weist ausdrücklich darauf hin, dass es unzulässig ist, diese Kinder und Jugendlichen grundsätzlich und ohne Ansehen ihrer Bildungsvoraussetzungen zunächst in Vorbereitungsklassen und ähnliche Maßnahmen „abzuschieben“, bis die Berufsschulpflicht erfüllt ist. Davon wird in Punkt 11 noch zu sprechen sein.
5.Lernstand der Schüler/innen
Von den 20 Schüler/innen sind derzeit 11 Schüler/innen dem Status der Primär- Analphabeten zuzurechnen. Primärer Analphabetismus liegt vor, wenn ein Mensch weder schreiben noch lesen kann und beides auch nie gelernt hat. Diese Beschreibung trifft vor allem auf die Schüler/innen mit jesidischer Religion zu, deren Lebensweise im Sindjar-Gebirge bisher überwiegend durch Schriftlosigkeit, religiöse Mündlichkeitskultur bzw. Oralität geprägt war. Auch einige syrische Schüler gehören in dieses Umfeld. Erschwerend für den Unterricht im Klassenzimmer kommt hinzu, dass kaum ein Schüler eine andere Sprache als seine Herkunftssprache spricht, von einigen Brocken Englisch abgesehen. Die vorherrschenden Sprachen sind Pashto (Afghanistan), Tigrinya (Eritrea), Arabisch (Syrien), Kurmandji (Kurdischer Dialekt aus dem Nordirak ohne Kenntnis der kurdische Schriftsprache), Sorani (Kurdischer Dialekt aus dem Grenzgebiet zum Iran ohne Kenntnis der kurdische Schriftsprache) Die spezielle Situation der nordirakischen Kurden hinsichtlich Sprache erklärt sich aus der Situation unter Saddam Hussein. Er verbot die kurdischen Dialekte, die eigenen Schulen und die eigene Kultur, so dass es nur die mündliche Sprachübertragung in Kurmandji, Sorani oder Badini gibt, aber keine Kenntnis der kurdischen Hochsprache (mit einem lateinischen Alphabet). Wer in die Schule gehen konnte und das waren nicht viele, erlernte als „Fremdsprache“ Arabisch mit dem entsprechenden arabischen Alphabet. Die bei einigen kurdischen Schülern rudimentär vorhandene arabische Sprache erleichtert zwar den Umgang mit den syrischen Schülern, hilft aber nicht in der Kommunikation mit dem Pashto der afghanischen Schüler und dem Tigrinya des eritreischen Schülers. Die einzig verbindende Sprache ist letztlich Deutsch, das alle erlernen müssen.
6. Lehrpersonen/Fächer
Die Klasse erhält derzeit Unterricht in Mathematik, Computer, Sport und Deutsch. Im Deutschunterricht sind die Stunden von der Lehrerbesetzung her gedoppelt, d. h. zwei Lehrer unterrichten die Klasse gleichzeitig. 4 Stunden steht uns ein arabisch sprechenden Lehrer zur Verfügung, den wir für die Klasse gewinnen konnten. Er kommt einen Vormittag in der Woche und leistet für die Klasse in mehrerer Hinsicht unschätzbare Dienste . In Konfliktfällen können wir mit seiner Hilfe Problemgespräche führen, die ohne Dolmetscher nicht möglich wären. Er ist mit beiden „Welten“ vertraut und kann bei allen interkulturellen Herausforderungen wechselseitig hilfreiche Informationen beisteuern. Darüber hinaus kann er bei der individuellen Beratung über die jeweilige Zukunft einzelner Schülerinnen und Schüler hilfreich zur Seite stehen. Er nimmt dadurch eine unverzichtbare Gelenkstellung ein. Dasselbe gilt für unseren stellvertretenden Schulleiter, Herrn Nazar, der neben dem Computerunterricht speziell für die Schüler aus Afghanistan wertvolle Übersetzungsarbeit leistet. Aufgrund seiner Biographie ist er mit den Problemen der Schüler vertraut und steht ihnen auch bei der Alltagsbewältigung hilfreich zur Seite.
Räumlich stehen der Klasse ein festes Klassenzimmer und ein daneben liegender Besprechungsraum zur Verfügung, der Platz für etwa 10 Schüler enthält. Dieser wird für die "Schreibschule" - den Unterricht für die Analphabeten - benutzt. Werkunterricht kann derzeit nicht stattfinden, da an der Walther-Rathenau-Gewerbeschule PTA und CTA, Elektrotechnik, IT und Chemieberufe ausbildet, deren Labore und Werkstätten aus Sicherheitsgründen nicht benutzt werden dürfen. Klassenlehrer ist das Ehepaar Hainmüller, das, dem Aufruf des KM folgend, aus der Pensionierung zurückgekehrt ist und sich für diese Arbeit zur Verfügung gestellt hat. Es unterrichtet das Fach Deutsch gemeinsam den Hauptteil des Faches des Faches Deutsch. Die übrigen Deutschstunden werden von zwei nebenamtlichen Lehrkräftern ebenfaslls im team teaching erbracht. Dass ein Ehepaar gemeinsam Regie führt, ist auch für die Frage der Geschlechtergleichheit von nicht unerheblicher Bedeutung. Die Schüler erleben so Mann und Frau, Opa und Oma, Chef und Chefin in vielfältigen Facetten.
7. Lernsituation – Spracherwerb - Binnendifferenzierung
Aufgrund eines vor dem 14. 12. nicht durchgeführten Aufnahmeverfahrens wurde die Klasse zunächst so zusammengesetzt, dass die VABO 2 die ersichtlich nicht - deutsch und nicht- englisch sprechenden Schüler aufnahm. Eine nachträgliche Lernstandserhebung ergab gravierende Unterschiede zwischen den Schülern innerhalb von VABO 2 in Hinsicht auf Analphabetismus. Daraufhin wurde die Klasse in eine „Schreibschule“ (um den Begriff des Analphabetismus zu vermeiden) im zweiten Raum und eine „Anfänger-Gruppe“ im Klassenzimmer verteilt. Diese Aufteilung, bzw. Doppelung vor allem des Deutschunterrichts hat sich bewährt und entspricht auch den Intentionen des Leitfadens des Kultusministeriums für VABO-Klassen. „ Im Zentrum allen pädagogischen und didaktischen Handelns im VABO steht der Erwerb deutscher Sprachkenntnisse. Sprache als Mittel der Kommunikation leistet einen essentiellen Beitrag zur Orientierung in Deutschland und zur Verständigung. Durch die Erweiterung ihrer Deutschkenntnisse werden die Schülerinnen und Schüler befähigt, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu artikulieren sowie aktiv am sozialen Leben in Deutschland teilzunehmen…..Im Hinblick auf die Sprachkompetenz muss auch die Alphabetisierung der Schülerinnen und Schüler gewährleistet werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Lernenden mit dem lateinischen Alphabet samt der drei deutschen Umlaute (ä, ö, ü) und des Eszett (ß) vertraut sind. Auch kann es notwendig sein, den Schriftspracherwerb selbst anzubahnen oder das Lesen und Schreiben zu trainieren“. (Leitfaden des Kultusministeriums Baden-Württemberg, 2015, S. 6ff.)
Die Schüler der Klasse werden da, wo es sinnvoll ist, gemeinsam unterrichtet. Das trifft auch partiell auf den Sprachunterricht zu, da die Schüler der „Schreibschule“ ja durchaus in der Lage sind, auch ohne Verschriftlichung zu kommunizieren und dabei auch gefördert werden müssen. Ein Teil des Sprachunterrichts erfolgt in getrennten Gruppen. Mit der Gruppe der „Fortgeschrittenen“ wird verstärkt an der Grammatik, Lese- und Schreibkompetenz gearbeitet, während in der „Schreibschule“ die Alphabetisierung erfolgt. Grundsätzlich gilt aber für beide Gruppen, dass sie auch in sich sehr heterogen sind, sodass ein individualisierter Unterricht notwendig ist, in welchem Binnendifferenzierungen vorgenommen werden müssen. Das verlangt viel Flexibilität von Seiten der Lehrer und ist mit traditionellem Sprachunterricht nicht zu vergleichen. Zwar gibt es inzwischen eine Flut von Sprachbüchern, die den didaktischen Ansatz „Deutsch als Zweitsprache“ verfolgen, dennoch erweisen sich die meisten dieser Werke als ungeeignet in der Praxis, da sie viel zu wenig an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientiert sind und auch in methodischer Hinsicht zu wünschen übrig lassen. Wichtig beim Spracherwerb sind die menschlichen Beziehungen, die Kommunikation und das praktische Tun. Gerade die Schüler, mit denen wir es zu tun haben, tun sich mit Grammatik äußerst schwer. Bücher können nur ergänzend zum Sprachunterricht herangezogen werden. Das Lehr- und Lernmaterial wird vorwiegend von den Lehrern selbst erstellt. Wir plündern Illustrierte, Zeitungen, bebilderte Medien und Szenen aus dem Internet, die wir unterrichtlich aufbereiten. Eine ganz besondere Funktion kommt den Lerngängen und außerunterrichtlichen Projekten ( siehe Punkt 10) zu, in denen die Schüler in die Lebenswelt eintauchen. Auch diese Projekte werden sorgfältig vorbereitet, dokumentiert und anschließend unterrichtlich aufbereitet. Auf diese Weise erhalten auch Grammatik und Verschriftlichung ein lebendiges Gesicht, weil die Authentizität gegeben ist, der konkrete Bezug zum Schüler und dem, was er erfahren und erlebt hat. Es ist nicht „Frau Costa“ aus dem Lehrbuch, die eine Pizza herstellt, sondern es ist der Schüler selbst, der die Zutaten einkauft, den Teig anrührt, knetet, ausrollt, belegt und in den Ofen schiebt, die Arbeitsgänge benennen lernt und hinterher weiß, wovon die Rede ist. Es versteht sich von selbst, dass sich diese Art der Unterrichts-organisation viel aufwändiger gestaltet als ein „Buch – und Kärtchen-Lernen“.
8. Lernpaten – Begleiter für den außerschulischen Alltag
Zusätzlich zum Unterricht wurde ein Netz von Lernpaten aufgebaut, die auf ehrenamtlicher Basis arbeiten und jeweils einen Schüler betreuen. Wir haben inzwischen für jeden Schüler, jede Schülerin eine Lernpatin / einen Lernpaten gefunden. Das Finden der Lernpaten, der beständige Abgleich mit ihnen und die Kooperation hinsichtlich der Unterrichtsfortschritte, auf die sie sich beziehen sollen, sind sehr aufwendig – aber es lohnt sich. Sie ergänzen mit zusätzlichem Unterricht zu Hause oder im Klassenzimmer den Deutschunterricht und bieten auch Anschlussmöglichkeiten an die fehlenden Familienstrukturen (soweit von den Schülern gewünscht). Die Arbeit der Lernpaten ist gar nicht hoch genug zu schätzen. Sie können individuell auf Lerntempo und Bedürfnisse der Schüler eingehen. Zu einigen Lernpaten sind bereits intensive Beziehungen entstanden und die Schüler, die in dieser Weise aufgehoben sind, zeigen deutliche Lernfortschritte. Manche Paten haben sich zu einem „Selbstläufer“ entwickelt, die eigene Ideen einbringen und auf wirklich hervorragende Weise den Schülern zur Seite stehen. Der Kontakt zwischen Lernpaten und Lehrern ist dadurch gekennzeichnet, dass wir unterstützen, wo dies gewünscht wird, dass wir einander wechselseitig wahrnehmen und im Austausch bleiben. Lernpaten können auch manchmal ihre Netzwerke nutzen, zu denen wir keinen Zugang haben.
9. Zusammenarbeit mit den Sozialeinrichtungen
Da die meisten unserer Schüler noch in Flüchtlingsunterkünften wohnen, ist der Kontakt zu den dortigen Sozialbetreuern der freien Wohlfahrtsverbände (in Freiburg sind dies u. a. das DRK, die Stadtmission, die Diakonie, der Caritasverband Stadt und weitere Verbände) unerlässlich. Ein Teil ihrer Aufgabe ist es, gemäß § 13 Absatz 1 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) gemeinsam mit den Aufnahme-behörden bei den Landratsämtern und den Bürgermeisterämtern der Stadtkreise während der Dauer der vorläufigen Unterbringung (bis zum Abschluss des Asylverfahrens) den Schulbesuch der unter-gebrachten Personen, soweit diese schulpflichtig sind, sicherzustellen. Darüber hinaus sind die Jugendämter und die Familiengerichtshilfe vor allem in Fällen von In-Obhutnahmen und Vormund-schaftsregelungen wesentlicher Teil des Betreuungsnetzwerkes neben den Schulen. Dieses Geflecht ist nicht immer durchsichtig und wird dadurch zusätzlich erschwert, dass Familien oder einzelne Schüler/innen die Unterkünfte wechseln (müssen), wodurch sich die Betreuungsperson wiederum ändert.
Mit einigen Sozialarbeitern und Betreuern stehen wir in sehr guten, produktivem Austausch – eine Reihe von Konflikten und Unklarheiten konnten so geregelt werden. Teilweise haben wir Schüler in den Unterkünften besucht und – soweit vorhanden – auch Kontakt zu den Eltern aufgebaut. In manchen Fällen gestaltet sich jedoch der Kontakt zu den Betreuenden Institutionen als schwierig, wenn Sozialarbeiter nicht oder kaum erreichbar sind und mit verschiedenen Betreuungsaufgaben nicht nachkommen. Da, wo eine gute Zusammenarbeit zwischen Schulsozialarbeit, Lehrern, Sozialarbeitern in den Unterkünften und Betreuern , bzw. Vormündern stattfindet, sind die Bedingungen, Schülern den notwendigen Schutz und die notwendige Sicherheit zu gewähren am besten gegeben.
10. Projekte und projektartige Vorhaben
Aufgrund fehlender Kapazitäten und Laborbedingungen in der WARA wurden durch die beiden Klassenlehrer von Anfang projektartige Vorhaben und Projekte initiiert und durchgeführt, die diesen Umstand ausgleichen sollen im Sinne des Leitfadens: „Zufriedenstellende Deutschkenntnisse bilden den Schlüssel für eine weitere schulische bzw. berufliche Qualifizierung und für eine erfolgreiche Integration in die Arbeitswelt und die Gesellschaft. Daher will das VABO jungen Migrantinnen neben der Sprachförderung auch Orientierung für die weitere schulische Laufbahn und eine Perspektive im Hinblick auf die Berufswelt ermöglichen“. Insgesamt wurden in den sechs Monaten längerfristige ganz- oder mehrtägige Kooperationsprojekte durchgeführt, die auch einen Ausgleich zu dem fehlenden Werkstattunterricht herstellen sollen, denn es ist nicht möglich, eine ganze Woche lang jeden Vormittag ausschließlich Theorieunterricht anzubieten
Hanne Shah. Fachberaterin für Psychotraumatologie, referierte im Februar 2016 im Freiburger Audimax unter dem Titel "Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge: Was Lehrkräfte (und wir alle) über ihre Situation wissen sollten" über einen angemessenen Umgang mit Traumatisierung und Trauer. Sie ist zugleich Autorin einer Broschüre „Flüchtlingskinder und Jugendliche in der Schule“, vom Kultusministerium herausgegeben wurde. In dieser Broschüre entwickelte Frau Shah unter der Überschrift „Was Sie beachten und tun können“ Vorschläge, die für uns zu einer Art Leitlinie der Arbeit in unserer Klasse wurden. Da der Spracherwerb am besten über bedeutungsrelevante Inhalte und in der Beziehung mit freundlichen Menschen, zugewandten Erwachsenen und vor allem auch Gleichaltrigen erfolgt, haben wir folgende Projekte durchgeführt und planen weitere:
A. Phantasie als wichtige Kraftquelle – ein Kreativprojekt
Das Kreativprojekt wurde auf Anfrage der Schulleitung der Walther-Rathenau-Schule mit den Leiterinnen der „Weiterbildung Sozial- und Heilpädagogische Kunsttherapie“ des Instituts für angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung der Katholischen Hochschule Freiburg, Frau Prof. Dr. Monika Wigger und Frau Dr. Henriette Schwarz sowie zwei Praktikantinnen (Frau Tanja Schmider und Frau Christine Kilian) durchgeführt. Im Vorfeld wurde gemeinsam mit Lehrern über geeignete Themenstellungen nachgedacht. Wodurch können möglichst alle Schüler angesprochen und eingebunden werden? Wie kann der Einzelne angeregt werden, mit künstlerischen Mitteln etwas zu gestalten, was ihn ganz persönlich berührt, was ihm etwas bedeutet, was ihn selbst, seine Persönlichkeit ausmacht? Aus diesen Fragen entwickelten die Kunsttherapeutinnen einen Plan für Übungen, der sich als sinnvoll und in der Durchführung erfolgreich erweisen sollte. In insgesamt sechs 3-stündigen Sequenzen bis Juli 2016 arbeiten zwei Praktikantinnen des Instituts für angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung der Katholischen Hochschule Freiburg in regelmäßigen Abständen mit den Klassenlehrern zusammen im Klassenraum als „Kunstraum“. Themen waren bisher:
- Du bist gefragt
- -Händefries – wir gehören alle zusammen
- -Collagen zum Selbstbild - Wer bin ich? Was gehört zu mir? Was will ich von mir zeigen?
- Zwei weitere 3 stündige Sequenzen sind inzwischen durchgeführt worden unter der Themenstellung:
- -Ein Ort, an dem ich mich geborgen fühle
- -Erstellen eines „Glücksbuchs“ (mit dem Ziel, positive Erlebnisse zu sammeln)
- -Freiheit –was ist das?
Die Schüler/innen lieben diese Stunden, in denen sie konzentriert malen, zeichnen, mit Ton arbeiten, und gestalten, d. h. ihre Wünsche, Bedürfnisse, Träume und Ängste frei und non-verbal artikulieren können. Mit diesem Unterrichtsangebot haben wir Hanne Shahs Überlegungen folgend Übersetzungswege und Ausdrucksmittel gefunden, die nicht-sprachlicher Natur sind und so ein wesentliches Hilfsangebot für traumatisierte Schüler darstellen. Ein gesonderter Bericht über das Kreativprojekts befindet sich in der Sparte "Gemeinsame Veröffentlichungen" der homepage an anderer Stelle.
B. Mit meinen Augen Freiburg sehen – ein Fotoprojekt
Durch die Verbindung mit Reinhild Dettmer-Finke, einer bekannten Freiburger Filmemacherin, die das Stadtfotografenprojekt der Freiburger Bürgerstiftung seit vielen Jahren ehrenamtlich betreut und Britt Schilling, Fotografin in Freiburg, die schon viele partizipative Fotoprojekte betreut hat, konnten wir insgesamt vier Schüler/innen für das Stadt-Fotografen-Projekt gewinnen. Ziel ist es, „mit dem Blick von außen“ keine touristischen Idyllen, sondern Bilder vom Leben in Freiburg festzuhalten. Mehr dazu: (http://www.freiburgerbuergerstiftung.de/stadtfotograf.html) Für 2016 wurde das Stadtfotografenprojekt auf die Zusammenarbeit mit Geflüchteten ausgeweitet. Das Projekt will gemeinsam mit Menschen mit Fluchterfahrung, die es nach Freiburg verschlagen hat, eine Stadtfotografen-Ausstellung zum Thema HEIMAT erarbeiten. Entstehen sollen Fotoarbeiten, die sowohl die verlorene Heimat und die Flucht als auch das Bild von Freiburg und seinen Menschen thematisieren. Am Ende steht eine Ausstellung im "Museum Natur und Mensch“ vom 16.9. bis 5.11.2016. Das konkrete Thema wird sein: HEIMAT/ 1qm DEUTSCHLAND, weil jedes Team 1qm bei der Ausstellung gestalten kann. Für unsere teilnehmenden Schüler konnten 5 Medien-Designer der Gertrud Luckner Schule als "Paten" gewonnen werden. Die bisherigen Ergebnisse sind für unsere teilnehmenden Schüler/innen sehr ermutigend. Im Schnitt hat jeder Schüler mit seinem Paten über 100 Fotografien gefertigt, die jetzt ausstellungsgerecht aufgearbeitet werden müssen. Die Schüler sind mit großen Eifer am Werk und haben auch bisher keinerlei Probleme mit den Samstagsveranstaltungen. Eine große Hilfe bei diesem Projekt sind die Dolmetscher, die bei jeder Veranstaltung in Kurmandji, Arabisch und Pashto Hilfestellungen geben.
C. Interesse am Jugendlichen und seinem Leben bekunden, Essen und Trinken, Eltern einbeziehen
1. "Kochstudios"
Hierzu wurden zwei halbtägige „Kochstudios“ durchgeführt, einmal in der Kath. Familienpflegeschule – einer Berufsfachschule für angehende Familienpfleger/innen mit einer entsprechenden Lehrküche und beim zweiten Mal in der Gemeindeküche der kath. St. Albert Gemeinde in Freiburg-Bischofslinde. Bei beiden Kochstudios stand im Mittelpunkt, dass die Schüler die Gerichte aussuchten, die Rezepte zusammenstellten und gemeinsam kochten. Da es aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse beim ersten Mal das gemeinsame Einkaufen für die Gerichte nicht möglich war, wurde von den Lehrern eingekauft; beim zweiten Mal mußten die Schüler/innen neben den o.g. Aufgaben auch in Gruppen das Einkaufen und Abrechnen übernehmen. Die „Küchenchefin“ war beim ersten Mal die Mutter eines Schülers aus Damaskus, beim zweiten Mal die Mutter eines Schülerin aus Sindjar. Die vorbereitenden Gespräche fanden jeweils mit den Müttern und Dolmetschern statt. Es ist bekannt, dass die arabische Küche vorzüglich ist und so bedeutete es für alle eine Bereicherung, das Essen zu genießen.
2. Ethikunterricht als Dialog zwischen den Religionen
Da wir in der Klasse verschiedene Religionszugehörigkeiten haben (Sunniten, Schiiten, Jesiden, Aleviten, orthodoxe Christen, Katholiken) hat es sich als sinnvoll erwiesen, einen Raum zu schaffen, in welchem ein Austausch über religiöse Fragen und Wertvorstellungen stattfinden kann. Gemeinsam mit unserem arabisch sprechenden Lehrer, der zugleich Islamwissenschaftler ist, unterrichtet Frau Hainmüller als ehemalige Fachberaterin für das Fach Ethik eine Doppelstunde pro Woche Ethik. Die Schüler haben die Möglichkeit, zu Fragen der Religion Stellung zu nehmen, ihre Wertvorstellungen und Gefühle zu beschreiben. Wir thematisieren auch das, was allen Religionen und wohlwollenden Menschen gemeinsam ist,
wie z.B. die goldene Regel, gegenseitige Hilfe, Mitgefühl, Respekt, Anerkennung. Unsere Schüler sitzen oftmals zwischen mehreren Stühlen. Nicht selten erleiden sie einen Kulturschock, der zu vielfältigen Spannungen – nicht nur mit der fremden Umgebung, sondern auch mit eigenen Verwandten - führt. Sie müssen einen Spagat vollziehen, der äußerst schmerzhaft ist und eines guten Trainings bedarf. Im Ethikunterricht ist Gelegenheit, darüber zu sprechen, weshalb er gerne von den Schülern angenommen wird. Er dient auch dazu, Konflikte zu schlichten, die mit religiösen Argumenten ausgefochten werden. Wichtig ist, dass wir hier einen Lehrer haben, der - wie bereits oben erwähnt – in beiden Welten zuhause ist. Ein nicht ganz unbedeutender Nebeneffekt besteht darin, dass der Unterricht gemeinsam von einem Mann und einer Frau erteilt wird. Schüler erleben so interkulturelle Begegnung und Gleichberechtigung hautnah.
3. Kontakt Mensch-Tier
Zum selben Themenbereich C. haben wir auch zwei Kooperationsveranstaltungen mit KONTIKI (Kontakt Tier-Mensch) im Freiburger Tiergehege Mundenhof durchgeführt. Dies kam zustande durch die Bereitschaft des dortigen Leiters, Till Meinrenken, der sich spontan bereit erklärte, den schon vollen Kalender etwas so zu verändern, dass wir noch in die Angebotspalette hineinpassten. Die dort zusammen erarbeiteten Themen basieren auf den Erfahrungen der Schüler/innen aus ihrer Herkunftsfamilie und der Alltagsgestaltung ihres Lebens in den Heimatländern. Viele unserer Schüler stammen aus landwirtschaftlich genutzten Gebieten mit Vieh- und Weidewirtschaft, Nomadentum und kleiner handwerklicher Produktion. Insofern haben wir das Thema: Vom „Schaf zur Wolle“ an einem Termin bearbeitet, beim zweiten Termin stand das Thema: „Backen in traditionellen Backöfen“ im Vordergrund. Es war nach Ansicht aller Beteiligten unstrittig, dass wir mit dem Thema richtig lagen: Die meisten Schüler waren mit Tieren (Schafe, Ziegen, Alpakas weniger) vertraut, kannten die Pflege und das Füttern der Tiere aus ihrer eigenen unmittelbaren Anschauung. Auch der Lehmbackofen, der angefeuert wurde und in dem Pizzas zubereitet wurden, war ein vertrauter Alltagsgegenstand – für die Schüler ein emotionales Entlastungsmoment in einer weitgehend industriell geprägten Stadt wie Freiburg, in der an die primären Erfahrungen unserer Schüler nur schwer anzuknüpfen ist. Man spürte förmlich, wie dankbar die Schüler dieses Angebot annahmen, weil sie sich für einige wenige Momente in ihrer „alten“ Heimat wiederfanden.Im Kunstprojekt gestaltete ein Schüler unter der Themenstellung „Ein Ort, an dem ich mich wohl-fühle“ einen Stall, eine Wiese mit Tieren und Geräten; er erklärte dazu: „Es ist wie Mundenhof“.
4. Vorberufliches Praktikum auf dem Abenteuerspielplatz Freiburg
Mehr aus der Überlegung heraus, zu Beginn der Klasse mit Hilfe von teambuilding activities eine konstruktive Arbeitsatmosphäre in der Klasse zu erreichen, starteten wir eine Kooperation mit dem Abenteuerspielplatz Dietenbachpark der Stadt Freiburg. Der erste Vormittag auf dem Gelände, der vor allem der spielerischen Zusammenarbeit der Schüler mit erlebnispädagogischen Mitteln gewidmet war, zeigte uns, dass in der Zusammenarbeit mit dem Abenteuerspielplatz noch mehr Potentiale hinsichtlich zukünftiger Projekte vorhanden waren.
In einem zweiten Schritt vereinbarten wir deshalb mit dem ASP, dass sechs Schüler dort ein einwöchiges „Vorberufliches Praktikum“ durchführen konnten. Das VP hatte zum Ziel, diejenigen Schüler, denen wir am ehesten zutrauten, sich auf Deutsch verständigen zu können, an ein Arbeitsprojekt heranzuführen, das zu diesem Zeitpunkt auf dem ASP in Angriff genommen wurde: Der Neubau einer alten Schmiedeeinrichtung. Nach einer gemeinsamen Besprechung zwischen der Schulleitung, der Leitung des ASP und den Klassenlehrern wurde ein Vertrag vereinbart, der analog zu herkömmlichen Vereinbarungen zwischen Schulen und Betrieben Regelungen für ein vorberufliches Betriebspraktikum vorsah. Die Grundidee dabei war, in einem rechtlich klar definierten Rahmen (Betriebspraktikum auf der Basis einer Kooperationsvereinbarung Schule-ASP) ein Modell für ein „Schnupperpraktikum“ im vorberuflichen Bereich auf dem Gelände des ASP anzubieten. Dazu wurde im Vorfeld ein Vertrag zwischen der Schule und dem Verein Abenteuerschule abgeschlossen, der die Grundlagen des Praktikums regelte. Parallel dazu wurde mit jedem teilnehmenden Schüler ein Praktikumsvertrag abgeschlossen (siehe dazu den Artikel in derselben Sparte Gemeinsame Veröffentlichungen -Vorberufliches Praktikum VABO mit pdf download der Verträge).
In der ersten Phase dieses Vorberuflichen Praktikums nahmen sechs Schüler in der Woche vom 11. – 15. April teil. Besonderes Augenmerk wurde gelegt auf das pünktliche Erscheinen der Schüler am Arbeitsplatz, ihre Arbeitshaltung, Belastungsressourcen und der Umgang mit Mitarbeitern/Kollegen etc. Für drei Schüler lief dieses Praktikum sehr erfolgreich. Sie waren an allen 5 Tagen pünktlich und regelmäßig anwesend und wurden auch mit schwierigen Aufgaben betreut. Sie trotzten sowohl der Kälte als auch dem Dauerregen. Ein Schüler kehrte nach dem zweiten Tag wegen Rückenschmerzen in die Schule zurück. Zwei weitere Schüler verließen unentschuldigt die letzten beiden Tage das Praktikum. Ihre später nachgelieferte Begründung lautete: Es habe geregnet. Die Bilanz dieser ersten Blockmaßnahme ist so eher ernüchternd ausgefallen: für 3 Schüler kämen Betriebspraktika in Betrieben unter den dortigen Bedingungen jederzeit in Frage; für die drei anderen Schüler zum derzeitigen Zeitpunkt eher nicht, da sie von industrieller Arbeitsweise entweder nichts verstehen oder kulturell nicht über ihren Schatten springen können. Dennoch werden wir das VP mit zwei weiteren Wochenblöcken im Juni/Juli weiterführen; darunter einen Block, der speziell für die Mädchen ausgerichtet sein wird.
5. Kennenlernen von Gleichaltrigen – Begegnung mit Schülern aus der 11. Klasse des Technischen Gymnasiums der Nachbarschule Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule
Einige Schüler aus einem Ethikkurs der IT-Klasse (Informationstechnik) des Technischen Gymnasiums der benachbarten Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule zeigten Interesse an unserer Klasse. Wir organisierten eine Begegnungsstunde, aus der bereits folgende Aktivitäten erwachsen sind: Ein Schüler organisierte für interessierte Schüler unserer Klasse einen Computerkurs. Darüber hinaus nahmen diese Schüler an einem Fußballturnier der VABO-Klassen teil, über das sie einen Film drehten. In Planung sind weitere Aktivitäten, wie gemeinsames Fußballspiel, Kochen und weitere Freizeitaktivitäten. Mit der Lehrerin der Ethikklasse ist ein gemeinsames Frühstuck mit beiden Klassen geplant, in welchem der Film gezeigt und miteinander gespielt wird.
Dieser Austausch mit Gleichaltrigen ist besonders wichtig, da viele unserer Schüler außerhalb der Schulzeit weitgehend in den Flüchtlingsunterkünften unter sich sind. Auch zum Spracherwerb können Gleichaltrige enorm viel beitragen. Die Jugendlichen nehmen diese Angebote mit ganz besonderem Interesse war.
D. Bewegung, Sport und Spiel
1. Klettern beim DAV
Durch eine Kooperation mit dem DAV-Kletterzentrum, Sektion Freiburg-Breisgau und unserem Partner Dietmar Steinle, Dietmar konnten wir ein ehrenamtliches Team von Mitgliedern gewinnen, die mit unseren Schülern in der Kletterhalle Lörracherstrasse einen Vormittag klettern übten; darüber hinaus haben wir Kontakte geknüpft zu den Jugendgruppen des DAV, um die Teilnahme einiger besonders talentierter Schüler/innen beim regelmäßigen Klettertraining zu ermöglichen. Derzeit besteht für drei Schüler/innen an den Jugendgruppen des DAV kostenlos teilzunehmen; die Kosten werden über engagierte Mitglieder des DAV gedeckt.
2. Fußballturnier der Freiburger VABO-Klassen auf dem Gelände des FFC Freiburg
Am 13. Mai hat eine Fußballmannschaft unserer Klasse am Fußballturnier der VABO-Klassen – ausgestaltet von einer VABO-Klasse der Getrud-Luckner-Gewerbeschule teilgenommen. Die Mannschaft, die bisher keine fußballerische erfahrung besass, kam immerhin in die zweite Runde, wo sie im Viertelfinale durch den Sieg einer anderen VABO-Klasse am Weiterkommen gehindert wurde.
3. Weitere geplante Projekte
- Move and groove – ein Musikprojekt mit der Jazz- und Rockschule Freiburg
Wir haben uns über das Amt für Schule und Bildung Stadt Freiburg für die Durchführung von Move & Groove in unserer Klasse angemeldet. Das Projekt wird von den Jazz & Rock Schulen seit vielen Jahren als Vormittagsveranstaltung/Klassenausflug für Schulklassen angeboten. In diesem Schulhalbjahr wird es vom AfSB Freiburg und dem Deutschen Musikrat unterstützt, um das Projekt mit Vorbereitungsklassen durchzuführen und weiter zu evaluieren. Die bisherigen Projekte haben gezeigt, dass der kreative Umgang mit Text und Musik den Schülern nicht nur Spaß macht, sondern dazu beitragen kann Erlerntes zu vertiefen und selbstbewusst anzuwenden.
- Erste - Hilfe-Kurs mit Zertifikat für Führerschein durch die Johanniter-Unfallhilfe mit 9 Unterrichtseinheiten a 45 Minuten zum Erwerb des Zertifikats für den Führerschein;
- Fahrradtraining mit dem ADAC Südbaden auf dem Alfred-Döblin-Platz im Vauban
- Der Bau eines Roboters mit Schülern aus der IT-Klasse
- Ein Theaterprojekt mit professioneller Begleitung
- Werkstatt-Unterricht (Fahrradwerkstatt, Reparaturen etc.)
11. Perspektiven für das Schuljahr 2016/17
In unserem speziellen Fall der VABO 2 wurde ein Lernsetting implementiert, welches sich nach sechs Monaten Unterricht als sinnvoll erwiesen hat: Ein Teil der Stunden sowie die außerunterrichtlichen Vorhaben und Projekte werden mit allen Schülern gemeinsam durchgeführt, der Sprachunterricht sowie die sprachliche Aufarbeitung der Projekte erfolgt in getrennten Gruppen. Durch diese Kombination wird eine Stigmatisierung der „Analphabeten“ vermieden und sie kommen in den Genuss kommunikativer Situationen, in denen sie unabhängig von Lese- und Schreibkompetenz gemeinsam mit ihren Peers ihren sprachlichen Ausdruck verbessern können.
Es ist pädagogisch geboten, im 2. Jahr der Klasse diese Konzeption fortzusetzen. Wie anders könnte sonst gewährleistet werden, dass das VABO Grundprinzip SAVE („geschützter“ Raum, haltende Strukturen, vertraute Bezugspersonen) durchgeführt werden kann? Das oben geschilderte bisherige Lernsetting SAVE zu implementieren, ist verbunden mit einer großen Anzahl an Arbeitsstunden, die weit über das Stundendeputat insbesondere der Klassenlehrer hinausgeht.
Diesen Erfolg zu gefährden, widerspricht dem pädagogischen Ethos des Leitfadens des KM für VABO-Klassen. Offenbar liegen dazu den Schulbehörden Pläne vor, die wie folgt für das neue Schuljahr aussehen sollen:
- Deutschunterricht nur noch 15 Schülerwochenstunden
- Lebensweltbezogene Kompetenz (Gemeinschaftskunde, Religion, Ethik etc.) 2-4 Schülerwochenstunden
- Berufliche Kompetenz 0-4 Schülerwochenstunden
- Ergänzende Allgemeinbildung Mathematik, Englisch 0-5 Schülerwochenstunden
- Individuelle Förderung 0-3 Stunden
Dies ergibt im minimalsten Falle 20 Schülerwochenstunden, im günstigsten Falle 22-25 Schülerwochen-stunden, die aber von den Lehrerstunden her nicht gedoppelt werden. Im Vergleich dazu hat eine „normale“ BEJ oder BVJ-Berufsschulklasse 35 Stunden pro Woche Unterricht. Nicht nur, dass überhaupt kein Werkstattunterricht für die VABO-Klassen mehr vorgesehen ist; schlimmer ist, dass die allgemeinbildenden Fächer, die den Anschluss der VABO - Flüchtlingsjugendlichen an die Regel-schulformen des Beruflichen Schulwesens sichern, gänzlich auf den Deutsch-Unterricht und einiges „Beiwerk“ reduziert werden. Offenbar ist man der Meinung, dass die „Marginalisierten“ auch nur „marginalen Unterricht“ brauchen – ein krasser Widerspruch zu den Leitlinien VABO, die vor wenigen Monaten erst erarbeitet wurden. In Freiburg gibt es derzeit 14 VABO-Klassen, d. h. allein hier wäre eine Schülerpopulation von rund 280 Schülern ins Abseits gesteuert; landesweit dürften es mehr als 10.000 sein. Wo der Unterschied dieses im Fachjargon „VAB-I“ (I für „Integrativ“) genannten neuen VABO-Modells zu den Integrationskursen von BAMF und Arbeitsverwaltungen liegen soll, weiß wahrscheinlich nicht einmal die neue Kultusministerin. Es ist belegbar, dass die pädagogische Arbeit in unserer VABO 2 vollumfänglich dem Leitfaden des Kultusministeriums für den Aufbau und die Unterhaltung einer VABO – Klasse entspricht. Insoweit bestehen gute Aussichten für eine gelingende Integration in das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik. Von Kollegen/innen wissen wir, dass sie in ihren VABO-Klassen ähnlich arbeiten. Hinzu kommt, dass neben den vorgegebenen Leitlinien eine Erweiterung der Fördermöglichkeiten durchaus vorgesehen war. Dies geht zumindest aus einem Brief des damaligen Kultusministers Stoch an den Vorsitzenden des Berufsschullehrerverbandes hervor, in dem Stoch mitteilte: „Die Möglichkeiten der zusätzlichen Förderung der jugendlichen Migrantinnen und Migranten wurden erweitert, indem Förderkurse, die über die Definition der VwV "Grundsätze zum Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit Sprachförderbedarf an allgemein bildenden und beruflichen Schulen" hinausgehen, legitimiert wurden. Wie im Schreiben von Herrn Ministerialdirektor Dr. Schmidt vom 23. Juli 2014 dargelegt, können die Schulen damit Förderkurse auch als zusätzliches Förderangebot für VABO-Schülerinnen und Schüler mit besonderen Problemlagen (z.B. sehr geringe schulische Vorbildung, Analphabetismus, Unkenntnis der europäischen Schriftzeichen) oder ggfs. als Überbrückungs- oder Einführungsangebot für berufsschulpflichtige Jugendliche, für die erst zeitversetzt ein Schulplatz in einer VABO-Klasse angeboten werden kann (z.B. zum Halbjahr), zeitlich befristet einrichten. Die Mindestschülerzahl für einen Förderkurs beträgt für Zusatzangebote im VABO vier, für Förderkurse ergänzend zur Berufsschule oder anderen beruflichen Vollzeitbildungsgängen acht Schülerinnen und Schüler, die auch klassen- oder schulartübergreifend organisiert werden können. Die statistische Verbuchung der Förderkurse erfolgt über eine "Klasse" der nachrichtlichen Schulart "MIGD". (Quelle: http://blv-bw.de/wp-content/uploads/2015/01/KM-Stoch-an-HH-2015-01-18-Forderungen-zum-VABO.pdf)
Alles Schnee von gestern?
Herr Stoch sprach hier das uns betreffende Problem der zu alphabetisierenden Schüler an, die in VABO 2 etwa die Hälfte der Schülerpopulation darstellen. Die Voraussetzungen unter den Analphabeten selbst sind sehr verschieden, auch das Lerntempo ist unterschiedlich. Aus der Lernpsychologie ist bekannt, dass eine späte Alphabetisierung ungleich schwerer durchzuführen ist als bei Grundschülern. In den VABO-Klassen sitzen aber Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren, sind Teil unseres Qualifizierungsnachwuchses. Aufgrund dieser Tatsache und der großen Heterogenität fällt diese Gruppe in jeder VABO -Klasse in Baden-Württemberg unter einen besonderen Förderungsbedarf und muss dementsprechend versorgt werden. Wir meinen, dass im Schuljahr 2016/17 das bisherige Modell VABO 2 beibehalten werden sollte unter Einbeziehung der offenbar gegebenen Förderungsmöglichkeiten nach MIGD. Wir hoffen, dass wir mit dieser Meinung nicht alleine stehen. Wir haben vor zwei Monaten dem jetzigen Fraktionsvorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Herrn Stoch - vormals Kultusminister - persönlich ein Exemplar dieses Textes an sein Büro in Stuttgart geschickt, mit der Bitte, zu seinen obigen Ausführungen zu stehen. Bis heute, Anfang Juli 2016 haben wir keine Antwort erhalten.
Freiburg, 15. 5. 2016
Bernd und Hiltrud Hainmüller
Klassenlehrer VABO 2 Walther-Rathenau-Gewerbeschule Freiburg
Postscriptum:
Wenn Sie die Aktivitäten, die wir durchgeführt haben und durchführen, gelesen haben, werden Sie vielleicht die Frage stellen: Wie wird das alles finanziert? Antwort: Eigentlich gar nicht. Normalerweise zahlen Eltern am Anfang des Schuljahres in eine Klassenkasse...wo aber keine Eltern sind, gibt es keine Klassenkasse..ganz einfach.Ein hochherziger Freund hat aus seiner Stiftung 1.200 Euro für uns abgezweigt als Klassenkasse. Damit ist einiges möglich geworden. Eine Lernpatin hat ihren Rotary-Kreis dafür gewonnen, unseren Schülern Sportschuhe zu kaufen, weil sie barfuss nicht in der Halle Fussball spielen können; einige Institutionen haben auf einen Eigenanteil der Schüler verzichtet...aber die Kasse wird bald leer sein. Um ihnen ein Bild zu vermitteln, warum Sie uns spenden sollten, hier ein kleines Beispiel: die beiden Vormittage auf dem städtischen Mundenhof bei Kontiki haben 116 Euro gekostet. Die Mitarbeiter mussten die Rechnung stellen. Weil es eine städtische Einrichtung ist und wir wissen, dass es sog. Gutscheine für "Bildung und Teilhabe in der Stadt Freiburg" gibt, haben wir die bezahlte Rechnung an das Amt für Soziales und Senioren der Stadt Freiburg geschickt, mit der Bitte, uns diese Kosten zurückzuerstatten. Die Kosten waren 7 Euro pro Schüler für 2 Vormittage. Am 23. 5. 2016 schreibt das Amt zurück:
"Um Ihnen die Kosten erstatten zu können, benötigen wir Gutscheine für eintägige Ausflüge aus dem Bildung und Teilhabe Paket. Die Eltern der Kinder erhalten auf Antrag für ihre Kinder.... auch die Leistungen für "Bildung und Teilhabe". Alg II Bezieher können den Antrag beim Jobcenter abgeben. Bezieher von Wohngeld beim Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen. Sozialhilfeempfänger stellen ihren Antrag beim Amt für Soziales und Senioren. Zusammen mit dem Bewilligungsbescheid erhalten die Familien die entsprechenden Gutscheine für eintägige Ausflüge. Mit diesen können die Kosten z. B. für Kontiki für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre mit dem ASS abgerechnet werden. Setzen sie sich bitte mit dem Sozialarbeiter der Flüchtlingsunterkunft in Verbindung, dass die Eltern die entsprechenden Anträge stellen". Offenbar hat noch niemand vom Amt bemerkt, dass jugendliche Bürgerkriegsflüchtlinge entweder alleine, mit halben Familien, mit Onkeln, Schwestern, Brüdern kommen, die Eltern nach den Fluchtwirren oft erst gefunden werden müssen, wenn sie noch leben....und manche unserer Schüler auch älter als 18 Jahre sind. Es ist grotesk, dass die Klassenlehrer einer Flüchtlingsklasse nicht einen pauschalen Antrag stellen können für solche Aktivitäten. Müssen Stadträte auch einen Gutschein beantragen für die Verpflegung bei Stadtratssitzungen? Solange St. Bürokratius umgeht, zahlen wir die Kosten lieber aus den Spenden von Menschen, die unsere Arbeit zu schätzen wissen. Wenn sie uns da beipflichten, können sie uns unterstützen durch ihre Spende auf das Schulkonto Schulgemeinschaft Walther-Rathenau-Gewerbeschule DE5868090000 0001395009 Stichwort "VABO 2"