StartseitePublikationenBernd HainmüllerFranz Kerber (1901-1945) -der NS-Oberbürgermeister

Franz Kerber (1901-1945) -der NS-Oberbürgermeister

Bernd Hainmüller

Am 4. September 1945 fand ein Pilzsammler im Wald am Schauinsland ca. 100 Meter südwestlich der Weissenfelskurve die Leiche eines Mannes. Er war mit Ästen und Steinen zugedeckt und erst nach seinem Tod an dieser schwer zugänglichen Stelle versteckt worden. Ein gerichtsmedizinische Untersuchung ergab sehr schnell, dass es sich um einen Mord handeln musste: Der Mann war durch zwei Schüsse getötet worden, ein Fernschuss und danach ein Nahschuss auf dem wahrscheinlich schon am Boden Liegenden. Beide Pistolenschüsse hatten den Schädel durchbohrt. Schwieriger gestaltete sich die Frage, wer der Mann war. Erst am 8. November 1945 meldete die Kriminalpolizei Freiburg, auf einem gefundenen Taschentuch habe der Name „Kerber“ entziffert werden können. Seine Frau erkannte kurz danach anhand der ihr vorgelegten Sandalen und eines Restes des Anzugsstoffes, dass es ihr Ehemann war. Als der frühere Zahnarzt schließlich die ihm vorgelegte Prothese einem Patienten zuordnen konnte, gab es keinen Zweifel mehr: Der Erschossene war Dr. Franz Anton Josef Kerber – seines Zeichens Oberbürgermeister der Stadt Freiburg vom 10.April 1933 bis zum 5. April 1945. Von der Staatsanwaltschaft Freiburg wurden die Akten zum Tod entsprechend einer Anordnung der französischen Militärregierung den französischen Dienststellen vorgelegt. Vom Chef des Stabes und dem örtlichen französischen Gerichtsoffizier wurde danach der Befehl erteilt, die Sache „Kerber“ für die deutsche Gerichtsbarkeit abzuschließen und von weiteren Nach-forschungen abzusehen. Am 21. 11. 1945 wurde das Verfahren eingestellt. So ist es bis heute geblieben – nur das „Diplomatische Archiv Frankreichs“ in La Courneuve bei Paris könnte weitere Auskünfte über die Vorgänge um den Tod Kerbers und seine vorangegangenen Verhöre durch die französischen Besatzungsbehörden nach seiner Verhaftung Mitte Mai bis zu seinem Tode geben – hier lagert das „Archiv der französischen Besatzung Deutschlands und Österreichs nach 1945“. Aber die Akten sind nach französischen Archivrecht gesperrt.

Wer war dieser Mann, dessen gewaltsamer Tod bis heute ebenso unklar ist wie die Rolle, die er zwischen 1933 und 1945 als OB der Stadt Freiburg gespielt hat?

Abb. 1:  Der "offizielle" Kerber (Stadtarchiv Freiburg) 

Franz Kerber wurde am 25.02.1901 in Freiburg geboren. Sein Vater war Bahnhofsvorstand in Endingen am Kaiserstuhl. Dort wuchs er auch auf. Nach Abitur in Lahr kam er nach Freiburg, um Volkswirtschaft zu studieren. Mit 20 Jahren wurde er Angehöriger des Freikorps Oberland in Oberschlesien, einer Keimzelle der späteren SA. Nach der Rückkehr aus Oberschlesien engagierte er sich in Endingen und später in Freiburg während seines Studiums in der Deutschvölkischen Freiheitspartei. Diese Partei propagierte mit einem radikal rassistischen, antikommunistischen und antisemitischen Programm eine völkische Diktatur und stand der nationalsozialistischen Bewegung um Adolf Hitler nahe. Der NSDAP selbst trat Kerber erst 1931 bei, nachdem er promoviert hatte und seit 1926 als freier Kaufmann Teilhaber einer alten Weinhandelsfirma geworden war. Sein Aufstieg in der NSDAP begann damit, dass er die nationalsozialistische Presse in Südbaden zu einer aggressiven Propaganda-Maschine transformierte. Als Hauptschriftleiter des „Alemannen“ dem Parteiorgan der NSDAP nutzte er ab 1932 jede Möglichkeit, die politischen Gegner aus dem Lager der Weimarer Parteien, der Gewerkschaften, der Kirchen und des Kulturbetriebs zu diffamieren und als „Volksverräter“ an den Pranger zu stellen: „Die Sprache des Freiburger Naziblatts wurde täglich drohender, die Namensnennung und persönliche Verunglimpfung der Unliebsamen dehnte sich auf bekannte Persönlichkeiten aus…Sie besitzen eine unbeschreiblich gute Registratur“ (Käthe Vordtriede in: Es gibt Zeiten in denen man welkt- Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, 1999 S. 110)

Rücksichtslos an die Macht geputscht

Als Kerber neben der Schriftleitung des „Alemannen“ 1932 auch Kreisleiter der NSDAP in Freiburg geworden war, hatte er damit zwei wichtige Instrumente in der Hand, mit denen er sein nächstes Ziel vorbereiten konnte: den Sturz bzw. Rücktritt des amtierenden Oberbürgermeisters Franz Karl Andreas Bender (1880-1970). Nach der sog. „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 begann Kerber in seiner Position als NSDAP-Kreisleiter und Redakteur des „Alemannen“ eine systematisch angelegte, auf Beleidigungen, Verleumdungen, Vedrehungen und Lügen basierende persönliche Kampagne gegen Bender: „Herr Oberbürgermeister Bender, die Mehrheit der Freiburger Bevölkerung wünscht, dass sie verschwinden“ lautete mehrfach die Schlagzeile des „Alemannen“ , gefolgt von Kommentaren und angeblichen „Leserbriefen der Volksgenossen“ , die es auch an persönlichen Drohungen gegen Bender und seine Familie nicht fehlen ließen. Rückblickend erkennt in einem Brief vom 5. 2. 1949 der letztlich zum Rücktritt gezwungene OB Bender eindeutig seinen Nachfolger Franz Kerber als Drahtzieher dieser Kampagne, die diesen an die Macht im Rathaus brachte: „Als dieser Geist dann im März 1933 unter dem Einfluß des Kampfblattredakteurs und späteren Oberbürgermeisters Dr. Kerber sich auch in Freiburg durchsetzte und man daran ging mit den niederträchtigsten und schließlich durch Drohung mit Gewalt die legal gewählten Vertreter der Stadt aus ihren Ämtern zu entfernen, hat Herr Pressmar diesem Vorgehen energischen Widerstand entgegengesetzt“. Daniel Pressmar war selbst NSDAP-Gemeinderatsmitglied und im Unterschied zu Kerber bereit gewesen, mit OB Bender zusammenarbeiten. Für seinen Widerstand gegen Kerbers Machtübernahme wurde er später aus der Partei ausgeschlossen. Am 10. April 1933 ließ sich der „starke Mann“ Freiburgs durch Gauleiter Robert Wagner erst zum kommissarischen OB berufen und am 19. Mai von dem inzwischen gleichgeschalteten Bürgerausschuss zum OB gewählt. Die jetzt auch in Kerbers Hand befindliche städtische Pressestelle konnte am 14.06.1933 melden: "Stadtrat und Bürgerausschuss marxistenrein!"

Gibt es "gute" und "schlechte" Nazi-Oberbürgermeister?

Die auf seinem Machtantritt folgende zwölfjährige Amtszeit von OB Kerber in Freiburg stellt sich in ihrer Zusammenschau uneinheitlich dar. Hat Kerber in seiner Amtszeit häufig weniger nach ideologischen Argumenten als nach Sach- und Fachkompetenz entschieden und manchmal die Interessen der Stadt über die der Partei gestellt, wie es die Autoren des dritten Bandes der „Geschichte der Stadt Freiburg“ interpretieren? Man könnte auch sagen, dass sein Bemühen um die Belebung des Fremdenverkehrs, die Förderung der alemannischen Kultur (z. B. durch die Veranstaltung von Alemannischen Kulturtagen), die Ankurbelung der Bautätigkeit in Freiburg (neben Wohnbauten für Einkommensschwache entstanden ein neues Gaswerk, ein neues Verkehrs- und Forstamt, das Strandbad im Dreisamtal und das Kammerspielhaus) in völligem Einverständnis mit der nationalsozialistischen Volkswohideologie stand. Auch das von der NS-Führung in Berlin hochgelobte „ Freiburger Arbeitsbeschaffungsprogramm“, das viele Freiburger Arbeitslose zunächst in Lohn und Arbeit brachte, war Teil dieser Strategie nationalsozialistischer Sozialpolitik. Kerber, der in der NSDAP gut verankert war und deshalb 1936 zum Gauamtsleiter für Kommunalpolitik ernannt wurde, war vielleicht ein konsequenterer Vollstrecker dieser Absichten auf kommunaler Ebene als andere OB´s im Gau Baden. Aber dieser Aspekt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er der Freiburger „Führer" eines antidemokratischen und menschenverachtenden Unrechtsregimes war. So war er Mitglied der Gesellschaft für Rassenhygiene, verbot den städtischen Beamten den Einkauf bei Juden oder forderte ein schärferes Vorgehen gegenüber Zwangsarbeitern. Die Auslöschung von Behinderten, Sinti, Roma, Homosexuellen und politischen Widerstandskämpfern war auch in Freiburg an der Tagesordnung, denn die Stadtverwaltung unterschied sich nicht von jeder anderen im „Dritten Reich“, z.B. auch bei der Deportationen der jüdischen Mitbürger des Gaus Baden nach Gurs.

Abb. 2:  Parteisoldat Kerber (links) und der Gauleiter von Baden, Robert (rechts) in der Mitte: Günther Sacksofsky, SS-Obersturmführer , Leiter der Polizeidirektion Freiburg (Stadtarchiv Freiburg)

Seine Frau bereichert sich an den "Volksgenossen"

Auch Kerbers Ehefrau Lore beherzigte nicht immer nationalsozialistische Idealvorstellungen, wenn auch im folgenden Fall auf andere Weise als ihr Ehemann. Im März 1941 wurde sie vom NSDAP-Gaugericht Baden verwarnt, weil sie über Monate hinweg von einem Lebensmittelgeschäft Waren im Gesamtgewicht von etwa 95 Pfund über die ihrer Familie per Lebensmittelkarten zustehenden Mengen hinaus bezogen und bezahlt hatte. Das Amtsgericht hatte sie bereits im Mai 1940 zu einer Geldstrafe von RM 300 verurteilt. Pikant war zum einen, dass Franz Kerber neben seinen sonstigen Ämtern auch das Freiburger Ernährungsamt leitete, also „zum Hüter der Ernährungswirtschaft in seinem Bezirk bestellt“ war, zum anderen, dass Lore Kerbers „Verfehlungen […] in Freiburg allgemein bekannt geworden“ waren. Die „Autorität ihres Ehemannes [sei] ernstlich gefährdet und das Vertrauen der Bevölkerung zumindest in die örtliche Führung geschwächt“ worden. Das Gaugericht merkte an, es könne „nicht nachgewiesen werden“, dass diese Vorgänge dem Oberbürgermeister bekannt gewesen seien. Es verhängte die „dem Ausschluss [aus der NSDAP, RM] nächstniedrigere Strafe“ und stellte fest, die „Angeschuldigte [sei] weder strafgerichtlich noch parteigerichtlich vorbestraft“ (zit. nach Rolf Müller: Franz Kerber: Nationsozialist, Pragmatiker;Freiburger Oberbürgermeister;Soldat, unv. Manuskript).

Späte Einsichten

Als die Stadt während des schweren Luftangriffs auf Freiburg am 27. November 1944 in Flammen aufging, dämmerte es wohl auch Kerber, dass er zu diesem Zerstörungswerk beigetragen hatte. Er tat erst jetzt zumindest etwas, was jedem Oberbürgermeister oberste Pflicht gewesen wäre: an die Zukunft der Kinder Freiburgs nach dem Krieg zu denken. Deshalb wollte er die Kinder des Freiburger Waisenhauses, die ihr Heim verloren hatten und unter Unterernährung und Mängeln jeder Art litten, auf dem Schauinsland im Haus »Luginsland« einquartieren. Das Haus hatte er allerdings Jahre zuvor der Freiburger HJ überlassen. Kerber rechnete wohl mit einer großzügigen Geste der HJ für die unschuldigsten Opfer der Bombardierung, weil er ein ganzes Jahrzehnt lang die HJ unterstützt, gefördert und aus dem Stadtsäckel finanziert hatte. Jetzt mußte er erleben, daß der vorläufige HJ-Bannführer, Volke, dieses Ansinnen kategorisch ablehnte. Nach dem Motto: »Was die HJ hat, gibt sie nicht mehr her« weigerte er sich auch nur die Idee zu diskutieren, das Haus Luginsland für die Waisenkinder zur Verfügung zu stellen. Kerber war über diese schroffe Ablehnung so verbittert, daß es zu einem offenen Schlagabtausch mit dem HJ-Obergebietsführer Kemper in Karlsruhe kam. Dessen Beschwörungen der Begriffe von Ehre, Treue und Kameradschaft konnte Kerber jetzt selbst nicht mehr nachvollziehen, obwohl er sie jahrzehntelang selbst verkündet hatte. Er erklärte, daß niemand seiner nationalsozialistischen Parteigenossen der Stadtverwaltung nach der „Katastrophe“ geholfen habe, die schlimmsten Folgen des Luftangriffes zu beseitigen. Weder von Seiten der HJ, der SA,SS. der Wehrmacht, des Reichsarbeitsdienstes noch von sonstigen übergeordneten Stellen habe man ihm für seine Arbeit gedankt. Es war die Klage eines gescheiterten Oberbürgermeisters, der sich im Auftrag der Partei an die Macht geboxt hatte, ohne Rücksicht auf Verluste. Warum sollte jetzt die Partei Rücksicht auf Kerber nehmen? Dies war im Nero – Befehl, der Deutschland als „verbrannte Erde“ hinterlassen sollte, nicht vorgesehen, nirgendwo. Es war nicht Kerbers Verdienst, dass er in Freiburg nicht vollzogen wurde. Kerber hat zu guter Letzt ein "Testament" für den Wiederaufbau Freiburgs hinterlassen: Mit Anschreiben vom 29.1.1945 hat Kerber dem Städtischen Archivamt einen maschinengeschriebenen Schriftsatz mit dem Titel „Gedanken über den Wiederaufbau der Stadt Freiburg im Breisgau“ übersandt. Kerber wies das Archiv an, das Dokument „luftschutzmäßig sicherzustellen“, und behielt sich vor, „laufend Ergänzungen nachzureich[en]“. Kerbers Konzepte wurden nach Meinung Rolf Müllers (s. o.) in weitreichender Weise von Schlippe bei Planung und Durchführung des Wiederaufbaus der Freiburger Altstadt umgesetzt; auch die Einrichtung und institutionelle Positionierung des Wiederaufbaubüros erfolgte im Sinne Kerbers.

Dieser Beitrag erscheint gekürzt im Begleitbuch zur Ausstellung Nationalsozialismus in Freiburg, 2016. Leider hat man den Hinweis auf eine ausführliche Biografie Kerbers, verfasst von Ralf Müller, Doktorand an der Universität Freiburg, nicht abgedruckt. Sie finden Sie in:

Proske, Wolfgang (Hg.): Täter Helfer Trittbrettfahrer, Bd. 6: NS-Belastete aus Südbaden, Kugelberg Verlag Gerstetten 2017, ISBN 978-3-945893-06-7, 19,99 Euro, erscheint voraussichtlich im Februar 2017. Das Buch erscheint mit Unterstützung der Stadt Freiburg. (Vor-)Bestellungen in jeder Buchhandlung oder (portofrei) beim Kugelberg Verlag über www.ns-belastete.de.