Falling down - Ein ganz normaler Tag
Die Behandlung des Films »Falling Down« - ab Klasse 10
Hiltrud Hainmüller
Themen
- Anerkennung
- Normalität und Wahnsinn
- Gewalt
- kranke Gesellschaft
Falling Down (USA 1993)
Regie: Joel Schumacher
108 Min.
FSK 16
Der Amoklauf von Winnenden und die Tatsache, dass unsere Schule kurz danach aufgrund der An drohung eines Trittbrettfahrers einen Tag geschlossen wurde, waren Anlass genug, im Ethikunterricht über die Frage nach Ursachen von Amokläufen und deren Folgen nachzudenken. Ich ließ die Schüler zunächst Fragen zusammenstellen, die sich aus ihren Eindrücken ergeben haben. Es zeigte sich, dass Schüler die Bedingungen, unter denen sie aufwachsen, nachdrücklich hinterfragen: Einflüsse durch Mobbing, selektive Schule, autistische Eltern, aber auch die hilflosen Helfer, zum Beispiel eine hilflose Psychiatrie. Eindimensionale Erklärungen von Politikern, die nach Amokläufen immer nur gebetsmühlenartig das Verbot von Killerspielen fordern und dabei wesentlichere Ursachen ausklammern, lehnen Schüler vehement ab.
Um den Blick für »eigentliche« Ursachen zu öffnen, eignet sich der Film Falling Down, denn im Zentrum stehen hier wesentliche Fragen wie mangelnde Anerkennung, Demütigungen, Kränkungen, die der Protagonist in seinem Leben erfahren hat. William Forster ist kein Jugendlicher, kein extensi ver Counterstrike-Spieler, sondern ein erwachsener Mann mittleren Alters, der so in Stress gerät, dass er »durchknallt«. Die Ursachen für dieses Ausrasten liegen sowohl in seinem biografischen Hintergrund als auch in der ihn umgebenden Gesellschaft, die er als »krank« wahrnimmt. Da der Film relativ alt ist, kennen ihn nur noch wenige Schüler.
Es wird also nicht schon längst Bekanntes vorgesetzt, sondern eine spannende, ungewöhnliche Geschichte, die neugierig macht. Eine kurze Internetrecherche, die man ohne großen zeitlichen Aufwand betreiben kann, zeigt, dass dieser Film heute noch in verschiedenen Foren diskutiert wird. Alle Beiträge haben erstaunlicherweise eines gemeinsam: Der Film wird durchweg als sehenswert empfohlen - unabhängig davon, ob die Kritik eher negativ oder eher positiv ausfällt.
Viele Rezensionen verweisen auf eine Identifikation (oder zumindest teilweise Identifikation) der Zuschauers mit dem Protagonisten, die nicht zuletzt durch die großartige schauspielerische Leistung von Michael Douglas erzielt wird. Ich habe mich gefragt, worin diese Besonderheit begründet liegt. Warum vergisst man diesen Film nicht, wenn man ihn einmal gesehen hat? Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass das, was wir unter »Normalität« verstehen, hier so in Frage gestellt wird, dass der Blick frei wird für den Wahnsinn dieser ganz all täglichen Normalität, die man sich eigentlich nicht gewöhnen möchte und die man doch allzu oft kritik- und fraglos resignierend hinnimmt.
Die Stärke des Films liegt also darin, dass er gewohnte Denk- und Sichtweisen infrage stellt und die tiefer liegenden Ursachen für Amokläufe aufzeigt: mangelnde Anerkennung, Demütigung und Kränkungen.
Er wollte »nur nach Hause«
Der Film handelt von einem scheinbar ganz normalen, geschiedenen Mann, der an einem scheinbar ganz normalen Tag seine kleine Tochter zu deren Geburtstag besuchen möchte. Auf dem Weg zu Frau und Kind stellen sich ihm mehrere Stress auslösen de Hindernisse in den Weg. Im Stau der täglichen rush hour bleibt er stecken, steigt aus, lässt das Auto einfach mitten auf der Straße stehen und begibt sich zu Fuß auf den »Heimweg«, auf dem er ständigen Demütigungen und unfreundlicher Behandlung ausgesetzt ist: Ein koreanischer Ladenbesitzer weigert sich, ihm Geld für ein Telefonat zu wechseln, eine Latino-Gang möchte ihn ausrauben; bei Mac Donald's erhält er kein Frühstück mehr, weil er die Bestellung mit zwei Minuten Verspätung auf gibt; schließlich wird er in einem Militärladen von einem Ladenbesitzer, dessen faschistoide Haltung gegenüber Schwulen er nicht teilt, mit einer Pistole bedroht.
Forster begegnet den Menschen in seiner Umgebung anfangs freundlich, beantwortet dann aber die gegen ihn ausgeübte Gewalt mit immer heftigerer Gegengewalt, weil er seine Rechte als freier Bürger bedroht sieht. Dabei gelingt es ihm, den Gegnern jeweils die Waffen abzujagen, mit denen er bedroht wurde, was dazu führt, dass er in den Besitz von immer wuchtigeren Waffen gerät: zuerst einem Baseballschläger, dann einem Messer, gefolgt von einer Pistole, einer Maschinenpistole und schließlich einer Bombe. Zwischendurch versucht er immer wieder, seine Ex-Frau telefonisch zu er reichen und sie von dem bevorstehenden Besuch zu unterrichten. Dass seine Frau ihn abweist und auf das Kontaktverbot zur Tochter verweist, bringt ihn nur noch mehr in Rage.
Im Verlauf dieser konflikthaften Begegnungen steigert sich sein Stress ins Unerträgliche. Nach der Vergewaltigung durch den Besitzer des Militärladens, den er aus Notwehr tötet, gelangt er an den »point of no return«. Er ist jetzt wild entschlossen, seine vermeintlichen Rechte mit Waffengewalt durchzusetzen, sein »Heimweg« endet in einem Amoklauf mit furiosem Showdown.
Der Film enthält als Parallelhandlung die Geschichte des Sergeant Prendergast, für den die Verfolgung des Amokläufers Forster kurz vor seiner Pensionierung zur großen Herausforderung wird. Die Lebensprobleme beider Protagonisten sind eng verwoben und werden vom Regisseur geschickt miteinander in Beziehung gesetzt. Auch Prendergast hatte eine kleine Tochter, die er durch einen tragischen Unfall verlor.
Seine Frau verfiel nach dem Verlust der Tochter in Depressionen und attackiert ihren Mann mit hysterischen Telefonaten, mit denen sie ihn nach Hause zitieren möchte, weil sie die Einsamkeit nicht aushält. Prendergast erträgt die Angstattacken seiner Frau mit bewundernswerter Geduld. Er kennt sich in der Verletzlichkeit der menschlichen Seele gut aus und findet daher auch einen Zugang zu dem scheinbar »durchgeknallten« Amokläufer.
Drehbuch und Anordnung der Szenen sind so gestaltet, dass der Zuschauer stets zum Perspektiven wechsel angeregt wird. Einmal sieht er die Welt mit den Augen des Protagonisten William Forster: Er kann seine Empörung über unfreundliche, gewalttätige, geldgierige Mitmenschen teilen und beobachtet Forsters ungewöhnliche Reaktionen mit einer Mischung aus Identifikation, Belustigung, Mitleid und Abscheu. Zum anderen sieht der Zuschauer die Ereignisse aus der Perspektive des ermittelnden Inspektors Prendergast. Ihm gelingt es aufgrund seines hohen Einfühlungsvermögens, die Spur des Amokläufers aufzunehmen und so zu verfolgen, dass der Zuschauer nach und nach eine Menge über die Lebensumstände, die Herkunft und die Motive des Wiliam Forster erfährt.
Forster lebte nach seiner Scheidung bei seiner stark dominanten, kontrollierenden Mutter, der er den Zustand seiner Arbeitslosigkeit verheimlicht, indem er täglich das Haus verlässt und vorgibt, zur Arbeit zu gehen. Als Prendergast die Mutter besucht. gewinnt der Zuschauer Einblick in Forsters erbärmliche Lebensumstände; Abgründe tun sich auf, und man beginnt zu verstehen, wieviel unterdrückte Wut und Verletzung sich in ihm angestaut haben müssen, die sich in regelmäßigen Jähzornattacken entladen. Prendergast gelingt es schließlich, Forsters Vertrauen zu gewinnen.
Unterrichtliche Umsetzung
Vor einer detaillierten Analyse des Films empfiehlt es sich, die Gefühle zu benennen, die er auslöst. Deshalb füllen die Schülerinnen und Schüler zunächst einen Fragebogen aus, in dem genau benannt werden kann, welche Szenen welche Gefühle auslösen. An welcher Stelle stellte sich beim Zuschauen folgendes Gefühl, folgende Reaktion ein:
- Identifikation: Würde mir auch so gehen, würde mich auch aufregen.
- Belustigung: Auf was für Ideen der kommt! Das Auto einfach im Stau stehen zu lassen! Wie ihm auf einmal fast unfreiwillig ein ganzer Bauchladen von Waffen zufällt, wie er sich einfach nichts gefallen lässt, was man sich selbst nicht gerne bieten lassen würde ...
- Tiefes Unbehagen: Dem wollte ich nicht begegnen, ziemlich durchgeknallter Typ.
- Mitleid: Wer wollte nicht eine glückliche Familie haben? Erst arbeitslos, dann geschieden und lebt bei einer mehr als merkwürdigen Mutter.
- Abscheu: Wie der mit seinem Kind umgegangen ist! Angst erregend, die Frau kann man verste hen, keine Wahrnehmung der Bedürfnisse anderer, latenter Rassismus.
Der alltägliche Wahnsinn
Immer wieder taucht bei Amokläufen die Frage auf, ob es gerade die Normalität ist, die den Nährboden für Rassismus und Gewalt bildet. Der Film zeigt, dass man der »Normalität« misstrauen muss. Im Netz gibt es eine Fülle von Filmrezensionen. Eine besonders gute ist die von Andreas R. Becker[1] (M1):
M1: Filmkritik von Andreas R. Becker
Irrer, Frustrierter oder Opfer?
Je tiefer wir jedoch in die Geschichte hinabsteigen, umso schwieriger wird hier die Beantwortung der Frage, wer hier eigentlich gut und wer böse ist. Ist D-Fense nun wirklich ein durchgeknallter Irrer, vor dem die Gesellschaft Schutz braucht? Oder ist er nicht einfach nur ein ganz normaler, frustrierter Großstädter, der aufgrund von Vorurteilen, Stereotypen und einer Verkettung unglücklicher Ereignisse zum gesuchten Täter wird? Oder ist er am Ende gar selbst das Opfer einer paranoiden Ellbogenge sellschaft, die aus medial geschürter Angst vor Gewalt immer gleich das Schlimmste annimmt? Who is falling down? Der Schurke oder die Gesellschaft? [...] Sind wir das, was Gesellschaft, Erziehung und soziales Umfeld aus uns machen? Wie weit sind wir tatsächlich Herr über Wille und Schicksal? Ist jeder uneingeschränkt für sein eigenes Handeln verantwortlich? [...]
Mit der Figur des D-Fense hat Drehbuchautor Ebbe Roe Smith eine komplexe Figur geschaffen, die nur auf den ersten Blick das geschickte und populistische Portrait eines (nicht nur US-) Durchschnittsbürgers abgibt. Denn egal ob es um eine überteuerte Cola oder den matschigen Burger geht, der nicht aussieht wie auf dem Plakat der Fastfoodkette, oder gar um gefährliches Halbwissen und noch gefährlicheren latenten Rassismus - das bekannte Gefühl: »Irgendwo hat er doch Recht!«, schleicht sich i mmer wieder ein und fordert zum kritischen Abstand nehmen auf.
[Andreas R. Becker auf http://www.filmstarts.de/kritiken/39528-Falling-Down.html]
Sie kann im Unterricht auch ganz gelesen werden. Auch können auf Youtube die Schlüsselszenen geschaut werden (beim Koreaner, die Begegnung mit der Latino-Gang, bei Mc Donald's, im Militärshop)[2]. Eine Auswertung des Fragebogens (M2) ergibt, dass Forster in den meisten Fällen sein gutes Recht behauptet. Nicht dass er sich wehrt, sondern dass er sich auf unangemessene Art wehrt, findet Kritik .
M2: Fragebogen zum Film
Was kränkt, macht krank
»Du bist krank und brauchst Hilfe«, sagt die Frau Elisabeth zu ihrem geschiedenen Mann, worauf er antwortet: »Ich soll krank sein? Geh doch in die Stadt, was du da siehst, das ist krank.«
»Das ist doch krank« ist eine Redewendung, die sagt, dass etwas nicht stimmt, von der Normalität abweicht, nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte. In diesem Film geht es um kranke Menschen in einer kranken Gesellschaft.
Dem Zuschauer wird überlassen, Schlüsse zu ziehen, was zu der Krankheit geführt haben mag.
Deshalb lasse ich benennen:
- Was empfindet man an William Forster als »krank«?
- Sein Ausrasten, die Art und Weise, wie er sein Kind behandelt hat…?
- Welche Hinweise gibt der Film auf mögliche Ursachen dieser Krankheit?
- Die allein erziehende Mutter lässt ihm keine Luft zum Atmen, er ist Opfer von Rationalisierungsmaß nahmen in einem Rüstungsbetrieb, seine Frau ängstigt sich vor ihm und kann ihn nicht verstehen ...
- Wer oder was an der Gesellschaft ist »krank«?
- Wo liegen hier mögliche Ursachen für die Krankheit? Erstellt eine Liste von Sachverhalten und Personen, die euch aufgefallen sind.
- Hier ergibt sich ein ganzes Tableau, das zeigt , aus welchen verschiedenen Facetten sich der Unmut speist, der sich da in einem Menschen aufstaut - so lange, bis er sich einfach entladen muss.
- Wie kommt es zum »point of no return«?
Abschließend können die Schüler aufgefordert werden, eine eigene Grafik zu erstellen, die veranschaulicht, welche Ereignisse zum »point of no retum« geführt haben.
Zum Beispiel kann dieser Prozess in Stufen dargestellt werden oder in Blitzen, die auf Forsters Gehirn einwirken, oder als ein Netz, das sich immer mehr zuzieht. Wichtig ist dabei, dass die Gleichzeitigkeit verschiedener Faktoren, die im Film durch ständige Szenenwechsel, Schnitte und Gegenschnitte verdeutlicht wird, ins Bild gebracht wird, sodass die Komplexität der explosiven Mischung verdeutlicht wird, die den Amoklauf auslöst.
Anmerkungen
[1] www.filmstarts.de/kritiken/39528-Falling-Down.html
[2] http://www.youtube.de (als Suchbegriff den Filmtitel eingeben)