StartseitePublikationenBernd HainmüllerErst die Fehde-dann der Krieg - die Freiburger Hitlerjugend

Erst die Fehde, dann der Krieg

Die Freiburger Hitlerjugend

Bernd Hainmüller


Abb. 1: HJ Uniform Bann 113 

Der Weg junger Freiburger in den letzten Krieg begann 1938, vor 60 Jahren, fast unmerklich mit einem Großgeländespiel der Freiburger Hitlerjugend. 1100 Jugendliche zwischen vierzehn und achtzehn Jahren führten Ende Juli 1938 zehn Tage lang eine „Fehde" im südlichen Schwarzwald gegen rund 250 Baden-Badener-HJ-Mitglieder durch. Vor lauter Begeisterung über den hier angebotenen „Ausbruch aus dem Alltag" ahnte kaum einer der Teilnehmer, daß aus dem Spiel ein Jahr später blutiger Ernst werden würde. Die HJ-Führer, die das Spiel organisierten, wußten es zweifellos und sie nutzten die Begeisterungsfähigkeit der Jugend schamlos aus.

Verwundert dürfte mancher Freiburger den Kopf geschüttelt haben, angesichts dessen, was ihm Ende Juli 1938 während einer sommerlichen Autofahrt auf dem Weg zum Feldberggebiet geschah: Ein Jugendlicher in kurzen Hosen hält ihn auf der Landstraße mit einem energischen „Halt!" an, fordert seine Ausweispapiere und beginnt, den Wagen zu durchsuchen. Als er nichts findet, beginnt ein Verhör mit Fragen wie „Woher? Wohin? Weshalb die Reise? Haben sie etwas Verdächtiges bemerkt?" und so weiter. Als der Freiburger nachfragt, was ihm eigentlich einfiele, ihn am hellichten Tag so zu belästigen und mit welchem Recht, erhält er eine verblüffende Antwort: „Sie meinen, das geht Sie nichts an, weil Sie als friedlicher Bürger völlig ungerührt von den 'Spielen' der Jugend Ihren Geschäften nachgehen? Irrtum, lieber Freund! Wer kann wissen, ob sich hinter dem harmlosen Tuch der sommerlichen Straßenkleidung nicht ein 'feindlicher ' Hitlerjunge verborgen hält? Fluchen Sie nicht, aber es kann Ihnen in diesen unruhigen Tagen und Stunden tatsächlich passieren, daß Sie für kurze Zeit hindurch vorbeugend 'sichergestellt' werden. [...] Ich kann Ihnen noch verraten, daß alle Fahrzeuge in der Zeit vom 29. Juli bis 6. August, die sich in dem Gebiet zwischen Feldberg und Hochrhein befinden, einen Passierschein in roter Farbe erhalten. Diese Maßnahmen wurden notwendig, da sich das ganze Gebiet im Kriegszustand befindet."

Quer durch den Schwarzwald

Die Meldung, die ankündigt, daß Bürger aufgrund des „Kriegszustands" durchaus für kurze Zeit „sichergestellt " werden können, stammt aus dem Alemannen, dem Kampfblatt der Kreisleitung Freiburg der NSDAP. Wir schreiben das Jahr 1938, genauer den 23. Juli 1938. Ein Großereignis warf seine Schatten voraus: Die seit dem Frühjahr 1938 geplante Durchführung einer Fehde zwischen dem Bann 113 der Hitlerjugend Freiburg und dem Bann 111 aus Baden-Baden, angelegt als Großgeländespiel quer durch den Schwarzwald, an dem vom Freitag, 29. Juli 1938 bis zum Sonntag, 7. August 1938 auf Freiburger Seite rund 1100 Jugendliche, auf Baden-Badener Seite ca. 250 Jugendliche teilnahmen . Das Großgeländespiel war die Umsetzung der vormilitärischen Ausbildung in „spielerischer Form". Zumindest für dieses Freiburger Großereignis kennen wir die Urheber: Bannführer Heinrich Bieg vom Bann 113 und Franz Fauler, damals Bannführer des Bannes 111 in Baden-Baden. Franz Fauler stammt aus der angesehenen und alteingesessenen Freiburger lndustriellenfamilie Fauler, die im 19. Jahrhundert einen langjährigen Oberbürgermeister der Stadt stellte. Fauler und Bieg kannten sich aus ihrer gemeinsamen Zeit als Jungbannführer in Freiburg und Faulers Baden-Badener HJ­ Bann schien aufgrund der persönlichen Freundschaft zwischen den beiden das geeignete Opfer zu sein. In der Freiburger nationalsozialistischen Presse wurde das Großgeländespiel schon vorab als Kriegsinszenierung angekündigt: „Wie wir berichteten, waren zwischen dem Bann 111 und dem Bann 113 diplomatische Schwierigkeiten ausgebrochen. Inzwischen wurde im „Generalstab" des Heerlagers von Bann 113 ein Spion von der Gegenseite aufgegriffen, dessen Aufgabe es war, etwaige Aufrüstungspläne der 113er auszukundschaften. Über diesen Zwischenfall ist es nunmehr zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen gekommen."

Mitgliedsausweis Bann 113 

Vierzehn Tage später, am Abend des Freitag, des 29. Juli 1938, wurde auf dem Münsterplatz in Freiburg unter dem Jubel von 1100 Jugendlichen die Fehde des Bannes 113 gegen den Bann 111 durch einen Fehdebrief ausgerufen: Von Fanfarenbläsern begleitet, ritt ein Herold in alter Heroldstracht auf einem Pferd auf den Platz und eröffnete die Inszenierung.

Bluttriefender Fehdebrief

 „Auf dem Münsterplatz erschien der Heerrufer und las seinen bluttriefenden Fehdebrief, der mit ebenso bluttriefendem Geheul von den Heerscharen beantwortet wurde. Die ersten Böller krachten, die ersten Leuchtraketen stiegen in den Himmel. [...] Bannführer Heiner Bieg ergriff jetzt selbst das Wort vom Balkon des Rappen herab: Endlich ist die Stunde gekommen, wo wir unseren Feinden die Antwort geben können. [...] Wir werden wahr machen, was wir in unserem Fehdebrief versprachen. Dieser lustige Kampf gegen Baden­ Baden hat noch einen tieferen Sinn: Wir wollen unseren Körper durch Geländesport [...] stärken!"

Danach übernahmen die Unterbannführer das Kommando. Formiert zu einer einzigen Marschsäule ging es unter Vorantritt des Kreismusikzuges zum Bahnhof. Das „kampfesmutige Heer" rollte im Sonderzug mit den 1100 Jungen aus dem Bahnhof in die Nacht. Die Baden-Badener, rund 250 Jugendliche auch aus den Kreisen Rastatt und Bühl, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits vor Ort, oberhalb des Hebelhofs am Feldberg, ihr Lager bezogen. Unterdessen waren ihnen die Freiburger dicht auf den Fersen. Sie waren zunächst in einem Sonderzug mit dem Ziel Höllsteig im Höllental gefahren, von wo aus sie in einem Nachtmarsch durch das Löffeltal nach Titisee marschierten. Da sich der vorgebliche Feind aus Baden­ Baden am Herzogenhorn „verschanzt" hatte, machten sie hier eine Verschnaufpause, bis gegen Mittag die einzelnen Gruppen mit ihren Unterbannführern aufbrachen, um in ihre ersten Quartiere in Lenzkirch, Saig, Falkau, Altglashütten und Schluchsee zu gelangen. In den nächsten Tagen wurde der Feind gejagt, über St. Blasien, Bernau, Todtmoos, Schönau, das Wiesental hinunter nach Schopfheim bis zum Endpunkt Bad Säckingen. Jeder Tag sah neue „Kämpfe" zwischen den Mitgliedern der beiden „Truppen". 

Abb. 3:  Gegner werden in den Ortsarrest gesteckt

Härte und Mut

So gab es blutige und unblutige Gefechte. [...] In 20 bis 25 Kilometer breiter Front zogen die Gefolgschaften dahin. Immer wieder sich treffend, immer wieder auf den Feind stoßend, der schließlich in einer einzigen Nacht in Todtnau vernichtend geschlagen wurde. Der Zweck war erreicht. Zwar gab es keine Toten, aber blaue Augen ließen sich nicht vermeiden und sollten auch gar nicht vermieden werden. Eine Jugend soll heranwachsen, die hart im Geben wie im Nehmen ist. Nur wo Härte und Mut verlangt wird, da wächst auch eine entsprechende Jugend heran", schrieb Bannführer Heiner Bieg in seiner Nachbetrachtung. Wie das Geben und Nehmen aussah, zeigen drei Beispiele: In der „Schlacht am Feldberg" erbeuteten die Freiburger eine größere Anzahl von Schuhen des Gegners, „wodurch eine größere Anzahl feindlicher Streitkräfte ausfallen dürfte, da ein Barfußlaufen in dieser wilden Gegend wohl schwerlich in Frage kommen wird" - heißt es in einem Teilnehmerbericht. Baden-Badener Gefangene wurden in die örtlichen Ortsarreste gesteckt und ebenso wie der letztlich gefangene Führer der Baden­ Badener „bei Wasser und Brot gehalten". Ein von einem Teilnehmer gemaltes Bild zeigt die Ersatzpolizisten in voller Aktion. Ein Freiburger wurde am Kopf durch eine Platzpatrone verletzt, die ein Baden Badener mit einem Schreckschußrevolver nahe vor seinem Gesicht abgefeuert hatte.

Schlußkundgebung

Am Endpunkt der Übung, in Bad Säckingen, war im Unterschied zu den „Einquartierungen" bei Bauern unterwegs ein Zeltlager aufgebaut worden. Höhe- und Schlußpunkt der Großkampfveranstaltung war eine Schlußkundgebung mit dem HJ-Obergebietsführer Kemper und das anschließende gemeinsame Verzehren eines von der Metzgerinnung gestifteten Mastochsen mit 18 Zentnern Lebendgewicht, der von zwei Uhr morgens bis abends über dem Feuer gebraten wurde. Am Sonntag, dem 7. August 1939 trafen die „Kriegsteilnehmer" des Bannes 113 um 18.14 Uhr mit einem Sonderzug von Bad Säckingen kommend wieder in Freiburg ein, anschließend fand ein Vorbei­ marsch an der damaligen Rotteck-Oberrealschule statt, bevor das „Spiel" auf dem Münsterplatz beendet wurde.

Die Machtelite

Der Hohe Generalstab der Freiburger hatte seine Ziele erreicht. Mehrere Monate Vorbereitungsarbeit hatten sich ausgezahlt. Jetzt konnte man das Resümee ziehen: Wenn Jungen von einer Sache innerlich erfaßt sind, lassen sie sich gut formen. Deshalb kann der erzieherische Wert des Großgeländespiels nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wer gehörte zu dieser Art von Kriegserziehern in Freiburg? Wir wissen aus der Broschüre, wer den „Hohen Generalstab" bildete, und man kann anhand der Personen gut auf den Charakter der damaligen „Freiburger Machtelite" schließen: Seine Mitglieder waren u. a. HJ­ Obergebietsführer Gau Baden, Friedhelm Kemper; NSDAP- Kreisleiter Wilhelm Fritsch; Oberbürgermeister Dr. Franz Kerber und Stadtkämmerer Schlatterer für die Stadt Frei­ burg; Polizeidirektor Günter Sacksofsky; der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Tscheulin; die Direktoren Opderbeck und Linnemann von der „Rhodiaceta"; Direktor Vogt von der Firma „Fortschritt". Diesen illustren Kreis der Freiburger Machtelite beschlossen zwei der Synagogenbrandstifter vom November 1938, SA-Brigadeführer Joachim Weist und SS­ Standartenführer Walter Gunst. Man sieht an dieser hochrangigen Zusammensetzung, welche Bedeutung ein Jahr vor dem Krieg diesem „Wehrsport" beigemessen wurde. Zunächst bestand die Aufgabe des Generalstabs vor allem in der lückenlosen Organisation der Veranstaltung und in der Aufstellung eines möglichst attraktiven Angebots, das auch außenstehende Jugendliche begeistern sollte.

Erhebliche Vorteile

Ein ausschlaggebender Punkt für die Teilnahme von so vielen Jugendlichen waren dann auch die auf den ersten Blick erheblichen Vorteile der Unternehmung: Die zehntägige Veranstaltung kostete wenig und „bot" viel in einer Zeit, als Sommerurlaub noch immer ein Privileg der Begüterten war. Man konnte mit den „HJ-Sparmarken" der Sparkasse darauf ansparen und die HJ-Führung half, mit „diplomatischen Telefongesprächen den Jungen von seinem Meister oder Lehrherrn loszukaufen". Die Aussicht auf gute Unterbringung, reichliche .Verpflegung und Gemeinschaftserlebnisse kamen hinzu. All dies war freilich nur möglich, weil die Bürgermeister in Schluchsee, Titisee, Schönau, Utzenfeld, Atzenbach, lbach, Brenden, Bernau oder Todtmoos mitzogen und die Teilnehmer in Bauernhöfen, Pensionen, Schulen etc. einquartierten. Die Organisation selbst lag bei der HJ-Führung. Je länger sich das „Großgeländespiel" hinzog, desto stärker identifizierten sich die Jugendlichen mit dem Charakter des Spieles als „Krieg". Der Bann 111 aus Baden-Baden verwandelte sich im Verlauf der „Kriegshandlungen" zu den „blauen Streitkräften", die Freiburger zu den „Roten" mit einem „roten Admiral" an der Spitze. Was den Teilnehmern erst später klar wurde, war, daß hier der unter Hochdruck vorbereitete Krieg mit „spielerischen Mitteln" vorweggenommen worden war.

Wie man Jugendliche für den Krieg formte

Geländespiele, wie das aus dem Jahre 1938, verbunden mit mehrtägigen Aufenthalten in Zeltlagern und Lagerfeuerromantik waren keine Erfindung der Nationalsozialisten. Daß das Leben unter freiem Himmel, verbunden mit sportlicher Betätigung, spielerischen Akzenten, gemeinsamem Kochen etc. große Anziehungskraft auf Heranwachsende ausübt, war seit langem bekannt. Die Pfadfinderbewegung, ebenso wie die Wandervogel- und die sozialistische Jugendbewegung ab 1900 nutzten die pädagogisch wertvollen Elemente früh zur Gewinnung und Formierung ihrer Mitglieder. Neu an der Idee der HJ­ Führung waren drei Zweckbestimmungen, denen das Großgeländespiel über die althergebrachten pädagogischen Momente hinaus diente:

  1. Der Drang zum Kräftemessen unter Jugendlichen hatte Ernstfallcharakter. „Fehde" bedeutete: Kampf bis zum bitteren Ende, d. h. Ausschalten des Gegners (nicht umsonst wurden die Baden­ Badener als „Feinde" gekennzeichnet und liquidiert).
  2. Der Hang zur Wiederentdeckung der Natur durch Bewegung im Gelände wurde vormilitärisch ausgeprägt. Der Geländesport wurde deshalb unterteilt in: Spähtrupp-Ausbildung, Meldewesen, Gruppenverhalten im Gelände, Anschleichübungen etc. nach dem Grundsatz: „Der Vorwärtsdrang darf nicht verlorengehen".
  3. Aus heterogenen Kleingruppen von Jugendlichen, die z. T. aus unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Lagern kamen, sollte eine straff geführte, ideologisch einheitlich ausgerichtete Kampftruppe zusammengeschweißt werden. Der Effekt des gemeinsamen Erlebnisses sollte die Jugendlichen von einer „Gemeinschaft auf Zeit" zu einer „Gemeinschaft auf Dauer" mit einem entsprechendem Zusammengehörigkeitsgefühl führen. Die Sonderformationen der HJ (Motor-HJ, Marine-HJ, Flieger-HJ, Nachrichten-HJ, Reiter-HJ, HJ-Feldschere [Sanitäter]) sollten so zusammengeführt werden, daß quasi militärisch sinnvolle Untergliederungen der Wehrmacht entstanden. Übergreifend wurde die Schießausbildung (einschließlich Scharfschützen-Ausbildung) in das Geländespiel integriert.



Meldegänger und Funker sind dabei 

Pädagogisch durchaus sinnvolle Geländespiele zum Kräftemessen verwandelten sich unter der Hand in inszenierte Kriegsspiele, die als Geländesport getarnt waren.

Militärische Sprache

Dieser Prozeß dürfte sich großenteils hinter dem Rücken der Teilnehmer abgespielt haben, was erklärbar macht, daß die Teilnehmer bis heute die militärischen Hintergründe dieser Geländespiele nicht durchschauen. Tatsache ist demgegenüber, daß der Dienstplan der Hitlerjugend Gebiet Baden für die Kurzausbildung der Siebzehn- bis Achtzehnjährigen - nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt - eine deutliche militärische Sprache spricht, deutlicher als das die Teilnehmer damals empfunden haben mögen. So konnte es geschehen, daß aus dem Gegner für die Zwecke des Spieles der „wirkliche Feind" (die „Blauen") wurde, den es durch Aufspüren, Einfangen und Ausschalten, durch Abreißen des „Lebensfadens" zu liquidieren galt. Deshalb war das Großgeländespiel von 1938 ein bezeichnendes Fanal des längst vorbereiteten Angriffskriegs. Die organisierte Bewegung im Großraum Schwarzwald zwischen Hinterzarten und Bad Säckingen mittels Fußmärschen, Kradmeldern, Nachrichtenstäben, Funkereinheiten, Generalstäben und Hauptquartieren war die Vorwegnahme des Ernstfalls. Schneidige Kerle sollten geformt werden, das Kanonenfutter für den Erstschlag gegen die Länder Europas.

Durchorganisierter Alltag

Wie ging diese Formung vor sich? Im Wesentlichen dadurch, daß der Alltag des Lagers bereits vollständig durchorganisiert und militärischen Zwecken angepaßt wurde. Mit Hilfe einer eigens für die Lagerführer herausgegebenen - nur für den internen Dienstgebrauch bestimmten - Schrift können wir heute noch nachvollziehen, wie ein solches „Musterlager" auszusehen hatte. Auch die einzelnen Tagesabschnitte waren genau vorgegeben. Die eigentliche Lager-"freizeit" als freie Zeit für den einzelnen Teilnehmer betrug pro Tag lediglich eine Stunde. Der Rest des Tages war verplant, wie aus der Dienstanweisung der HJ-Führung hervorgeht. Im speziellen Freiburger Fall von 1938 trat ein weiterer Zweck des HJ-Geländespiels nicht offen zu Tage : das Vorführen der „anständigen deutschen Jugend" gegenüber Kurgästen und Touristen im Schwarzwald, insbesondere Ausländern, deren Herkunftsländer sich 1938 noch nicht im Krieg mit Deutschland befanden. Vor allem englische Touristen hielten sich im Schwarzwald auf. Ihnen wollte man zeigen, daß die Propaganda über die „deutschen Barbaren" nicht stimmte. Deshalb basierte die Aktion auch nicht auf einem zentralen Zeltlager (mit Ausnahme des Abschlußlagers in Bad Säckingen), sondern auf der Einquartierung von Teilnehmergruppen auf Bauernhöfen, in Ortschaften und Pensionen.

Brand der Synagoge

Vier Monate nach dem Geländespiel - am Morgen des 10. November 1938 - brannte die Freiburger Synagoge am Werderring gegenüber der damaligen Rotteck-Oberrealschule (heute Universitätsbibliothek). Die Leiter der Aktionen der Freiburger Pogromnacht waren der SS-Standartenführer Walter Gunst und der SA-Brigadeführer Joachim Weist, beides Mitglieder des „Hohen  Generalstabs" des Großgeländespiels vom Sommer 1938. Jedermann in Freiburg, der sehen wollte, konnte beobachten, daß die herbeigerufene Feuerwehr keinerlei Löschversuche unternahm. Inwieweit die HJ an der Brandstiftung oder den Plünderungen von Geschäften in der heutigen Kaiser-Joseph-Straße beteiligt war, bleibt unklar - die Akten sind entweder verbrannt oder beiseite geschafft worden. Die Säuberungsmaßnahmen gegen den „jüdisch­ bolschewistischen Weltfeind" wurden jedoch auch in Freiburg verstärkt. Über hundert Freiburger Juden transportierte man in den folgenden Tagen in das KZ Dachau ab. Darüber hinaus hatte die jüdische Gemeinde für den Abbruch der Synagogenruine aufzukommen. Weitere Sanktionen wie Berufsbeschränkungen, höhere steuerliche Belastungen, Anmeldepflicht für „jüdische Vermögen", Kennzeichnungspflicht für jüdische Gewerbetreibende, endgültiger Ausschluß von Gemeinschaftseinrichtungen und die Halbierung der Butterration wurden verhängt.

Kriegsausbruch am 1. September

Ungeachtet dieser Ereignisse, die das Jahr 1938 abschlossen, plante die HJ für den Sommer 1939 eine zehntägige Sommerfahrt in die jetzt deutsche Ostmark unter Führung österreichischer Bergführer. Kurz zuvor, am 19. Mai 1939, war Hitler an die Westfront gekommen. Er besichtigte nahe der Burg Sponeck am Kaiserstuhl einen Teil der Bunker und Befestigungen, die als Westwall vom Reichsarbeitsdienst für die „Verteidigung der Heimat" gebaut worden waren. Für einen Aufenthalt im (ungeliebten) Freiburg blieb nur ein kurzer Zwischenstopp auf dem Hauptbahnhof. Aber selbst unan­ gekündigt brachte der „Führer" die Volksgenossen auf die Straße: Das Gedränge vor dem Hauptbahnhof war so groß, daß SA-Männer ihre Schulterriemen benutzten, um damit auf Freiburger einzuschlagen, die Hitler sehen wollten.

Für die meisten Freiburger Jugendlichen kam der Kriegsausbruch am 1. September 1939 völlig überraschend. Der verlockenden Möglichkeit, durch ein „Notabitur" der lästigen Abschlußprüfung zu entgehen, indem man sich freiwillig zur Wehrmacht meldete, konnten nur wenige widerstehen, und wenn, dann hauptsächlich unter dem Druck ihrer Eltern. Doch schon nach wenigen Monaten zeigte sich, daß die Befürchtungen Andersdenkender durchaus berechtigt gewesen waren. Die Liste der Todesanzeigen für Gefallene unter den Zwanzig- bis Fünfundzwanzigjährigen wurde immer länger. Ab Mitte 1944 - der Krieg hatte alle Dimensionen überschritten - druckte der Alemanne wegen angeblichen Papiermangels überhaupt keine Todesanzeigen mehr ab.

Keine Aufmärsche

Am 23. März 1945 wurden die letzten Freiburger Jugendlichen in die HJ überführt. Es gab keine Aufmärsche, keine Trommelwirbel, keine Fahnensprüche mehr. Die Meldung war dem Alemannen ganze zehn Zeilen wert. Vier Wochen später erschien die letzte Ausgabe dieses Blattes. Am 21. April 1945 wurde auf dieser letzten Seite gemeldet, daß sich die dem Volkssturm eingegliederte Hitlerjugend im Kampf gegen den von Norden eindringenden Feind „vorbildlich" und „heldenhaft" geschlagen habe. Noch einmal verblutete die Speerspitze der Jugend" in einem sinnlosen Kampf. Aber die Akte „Drittes Reich" wurde endgültig geschlossen. Am frühen Nachmittag desselben Tages rollten die ersten französischen Panzer in die Innenstadt. Das „tausendjährige Reich" war vorbei.

Abb. 4: Das Ende vom Lied: Freiburg in Trümmern 

In seinem Buch „Erst die Fehde - dann der Krieg" geht Bernd Hainmüller auf weitere Details ein und verfolgt auch den Werdegang der HJ-Führer nach dem Krieg. Rombach­ Verlag, 200 Seiten mit zahlrei chen (bisher unbekannten) Abbildungen, 29,80 DM, ISBN 3-7930-0883-5

Der Film zum Buch: "Es zittern die morschen Knochen" von Peter Adler wurde 1998 in SWR 3 gezeigt und lief seither in vielen Dritten Programmen. Eine Kopie ist auf Anfrage erhätlich.