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Eignungsdiagnostik in der Lehrerausbildung

Bernd Hainmüller

Erfahrungen mit eignungsdiagnostischen Maßnahmen am Seminar Offenburg GWHS

Jahr für Jahr kommt im Rahmen der Lehrerausbildung folgender Fall vor: Eine junge Frau, ein junger Mann besteht nach 18 Monaten Referendariat das 2. Staatsexamen nicht. Sie bzw. er wiederholt die Prüfung ein halbes Jahr später – und scheitert abermals. Der Eintritt in den staatlichen Schuldienst ist für immer verhindert, die berufliche Karriere als Lehrerin oder Lehrer beendet, bevor sie beginnen konnte. Diesen zwei Jahren Referendariat vorausgegangen sind im Durchschnitt vier Jahre Studium an einer Pädagogischen Hochschule – macht unter dem Strich sechs Jahre erfolglose Ausbildung. Betroffene Personen stehen in dieser Situation meistens vor dem Nichts. Ist dieses Scheitern in Kauf zu nehmen - ist es Teil eines Prüfungsverfahrens, bei dem eben Menschen auch scheitern?[1] Folgende Beobachtungen sind bemerkenswert: Bei den meisten Personen, die im Verlauf der Ausbildung am Seminar abbrechen oder in den Abschlussprüfungen scheitern, stellen die Ausbilder und Ausbilderinnen schon während des Referendariats deren grundsätzliche Eignung für den Lehrerberuf in Frage und können dies durch vielfältig beobachtetes Verhalten sehr gut begründen. Und: Ein Teil der betroffenen Personen kann die Infragestellung der eigenen Eignung für den Beruf gut annehmen – hätte sich diese Rückmeldung aber zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt gewünscht.[2]

Eine drängende Fragestellung: Was gehört zur Eignung für den Beruf der Lehrerin und des Lehrers?

Solange es Lehrerbildung gibt, stellt sich die Frage nach der Eignung von Personen für diesen Beruf – aber an welcher Stelle des Ausbildungswegs wird diese Frage nach der Eignung gestellt? Und was gehört zu einer Eignungsaussage? Zur Eignung für den Lehrerinnenberuf gehört ein komplexes Feld an Kompetenzen – aus den Bereichen Fachwissen, aus Kenntnissen und Fertigkeiten im methodisch-didaktischen Feld. Zur Eignung gehören aber auch Einstellungen und Haltungen, also Merkmale, die integraler Bestandteil einer Lehrerpersönlichkeit sind. Alle Kompetenzen zusammen braucht man, um den Anforderungen des Berufs gerecht werden zu können – was zu Wirksamkeit bei den Schülern und zu eigener Berufszufriedenheit führt. Während die Wissens- und Kenntnisebenen in vielen Veranstaltungsformen bearbeitet werden (z. B. Lehrveranstaltungen, Referaten, schriftliche Arbeiten, Prüfungen etc.), bleibt der Bereich der Einstellungen und Haltungen weitgehend unbeachtet. Nicht zuletzt aufgrund dieser Feststellung hat das Seminar Offenburg vor ca. 15 Jahren begonnen, sich mit folgenden Fragen zu beschäftigen:

  • Gibt es Methoden, um solche Eignungspotenziale festzustellen?
  • Wann sollte man sie genau einsetzen?
  • Kann man mit ihnen valide Aussagen zur jeweiligen Person, ihren Einstellungen und Haltungen treffen?

Die Beantwortung solcher Fragen spielt hinsichtlich der Lehrerpersönlichkeit, die sich im Laufe der Ausbildung fortentwickeln sollte, eine zentrale Rolle. Um einige der im Zusammenhang mit der Herausbildung einer Lehrerpersönlichkeit zu betrachtenden Fragen beantworten zu können, hat das Seminar Offenburg (GWHS) zwischen den Jahren 2003 – 2009 federführend zwei multilaterale Projekte im Rahmen des Programmes „Sokrates“ und dessen Nachfolgerprogramms „Comenius“ von der Europäischen Kommission bewilligt bekommen und durchgeführt. Vor allem über das erste Projekt wird im Folgenden zu berichten sein.

Was ist Eignungsdiagnostik?

 Die meisten von uns haben, unabhängig von der lokalen Situation, des sozialen Umfelds oder der jeweiligen Kultur  im Laufe unseres Lebens Erfahrungen gemacht mit “gutem” oder “schlechtem” Personal, sei es als Tourist, Patient, Schüler, Eltern oder Lehrerausbilder. Aus diesen oft ärgerlichen Lektionen hat jeder von uns implizit eine Vorstellung davon, was einen „guten“ Arzt oder Lehrer von einem „schlechten“ unterscheidet. Je weiter gezogen unsere Erfahrungskreise sind, desto stärker verselbständigt sich in unserem Kopf das mentale Modell des wirklich guten Arztes oder Lehrers, -  und nicht nur an Stammtischen beklagt man sich über die „wirklich schlechten“. Mit welchen Vorstellungen verknüpfen wir aber den guten oder schlechten Arzt oder Lehrer? In den meisten Fällen mit der Vermutung, dass diese außergewöhnliche Person eine Ausbildung durchlaufen hat, die sie danach befähigt hat, wirklich gute Arbeit zu liefern. Oder umgekehrt die Vermutung der Tatsache, dass dieser Person überhaupt keine (oder die falsche) Ausbildung zuteil wurde, sonst würde sie keine so schlechte Arbeit abliefern. Damit sind wir beim Kern der Lehrerausbildung angelangt: Bilden wir wirklich gute Lehrer aus, heben wir das Potential, das in jedem Referendar schlummert, an die Oberfläche des Klassenzimmers, wo es sichtbar werden sollte? Oder haben wir mit der letztlichen Formung der Lehrerpersönlichkeit gar nichts zu tun?

Vom Assessment zur Potentialanalyse

Überraschenderweise war es Richard Sennetts Buch[3] in dem sich erste Hinweise darauf befanden, wo die Eignungsdiagnostik eigentlich herstammt: Aus den französischen Militärakademien des 17. Jahrhunderts wie der berühmten Akademie St. Cyr.[4] Sennett weist zu Recht darauf hin, dass in dieser Akademie mit Hilfe eignungsdiagnostischer Verfahren ein „neuer“ Beruf geformt wurde: der des „professionellen“ Kriegers. Erst Jahrzehnte später formierten sich auf diesem Hintergrund die Akademien für Juristen, Mediziner, Volkswirtschaftler etc.. Die Bildungsakademien zur Lehrerbildung folgten nahezu als letzte Einrichtungen zur „Professionalisierung“ –allerdings in Fächern und Disziplinen, nicht in Hinsicht auf die Lehrerpersönlichkeit.[5]

Wieder aufgegriffen wurde die Eignungsdiagnostik in den 1950er Jahren in den USA in Form der Benutzung von “assessment centres” (AC) zur Rekrutierung von Führungskräften. Durch den 2.Weltkrieg waren auch in den USA viele junge potentielle Führungskräfte gefallen[6], so dass man geeignete Personen auch in „bildungsferneren“ Schichten zu suchen begann. Diese ACs oder das „Aptitude Testing“ wiederum basierte auf den Forschungen deutscher Emigranten, die vor der Nazidiktatur in die USA geflüchtet waren, so u. a. Kurt Lewin[7], Max Horkheimer und Theodor Adorno[8], Bruno Bettelheim[9], Ruth Cohn, Fritz Perls. Diese Vertreter der empirischen Soziologie und Sozialpsychologie hatten sich schon in der Weimarer Zeit mit Fragen der Persönlichkeitsentwicklung, der Charakterforschung, der Motivationsstrukturen und Wertesystemen auseinander gesetzt, mit denen sie „tiefer“ in das Wesen von Personen vordringen wollten. In den USA konnten sie dabei anknüpfen an die von den Nazis verfemten Arbeiten eines John Dewey[10] oder William James[11] im Sinne einer Konversion von empirischer Soziologie, Pädagogik und Sozialpsychologie. Flossen in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts diese Arbeiten überwiegend als eignungsdiagnostische Instrumente in AC-settings als Auswahl- und Selektionsverfahren ein, änderte sich das Bild in den frühen 70er Jahren, als die humanistische Psychologie begann, sich verstärkt der Pädagogik im Klassenzimmer zuzuwenden. Mit dem Centre for Organizational Learning (OLC) im Massachusetts Institute of Technology (MIT) – (jetzt bekannt als SOL – Society for Organizational Learning) begannen Wissenschaftler wie Carl R. Rogers[12], Ed Schein[13], Erving Goffman[14], David Kolb[15], Peter Senge[16].  Aus der Sicht der Organisationsentwickler und Organisationsberater der Wirtschaftswissenschaften (ursprünglich beheimatet am Sloan-Institut des MIT) war es kein großer Schritt, sich den Bildungseinrichtungen zuzuwenden, die vielfach noch mit althergebrachten Formen die Bildungsrevolution steuern wollten. Von da aus war es dann wiederum nur ein kleiner Brückenschlag zur Lehrerbildung und den Schulen mit ihrer wachsenden Bedeutung für die Volkswirtschaften. Begriffe wie “personal mastery”, „leadership“, „Changing minds“[17] oder „Presencing“ (Theory U)[18] sind bis heute zwar keine sehr geläufigen Umschreibungen des Paradigmenwechsels in der Lehrerbildung, aber für das Verständnis der weiteren Ausführungen notwendig. Die Beschäftigung mit tief verwurzelten Persönlichkeitsstrukturen derjenigen Personen, die wir als zukünftige Lehrer für die nächsten 30-40 Berufsjahre auszubilden versuchen[19] war dabei ein notwendiger Versuch, den das Seminar Offenburg ab dem Jahre 2000 begonnen hat.

Das Appraisal of Potential for Teaching (APT) Projekt der EU von 2003-2006

Im APT Projekt, dessen Zuschlag als koordinierende Einheit das Seminar Offenburg im Juli 2003 im Rahmen der 35 multilateralen Projekte des damaligen „Sokrates“- Programms der Europäischen Kommission gewann, ging es, gemeinsam mit sieben weiteren Lehrerbildungseinrichtungen in Europa[20], darum, im europäischen Rahmen die Entwicklung von eignungsdiagnostischen Instrumenten in der Ausbildung zukünftiger Lehrer/innen voranzubringen, um so hinsichtlich der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit eine solide Einschätzung ihrer  Potenziale und möglichen Lernfelder zu ermöglichen. Die beteiligten Institutionen teilten unausgesprochen die Einschätzung, dass die individuellen, unausgesprochenen Glaubenssätze einen hohen Einfluss darauf haben, wie unterrichtet wird und wie sich die Lehrer/innen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit verhalten. Offenbar hatte das Seminar mit seinem Antrag auf europäische Fördermittel einen „wunden“ Punkt in der Lehrerausbildung vieler EU-Länder getroffen. Das von Offenburg vorgeschlagene  Projekt  basierte auf einem bereits existierenden Modell, das von Mitarbeitern[21] des Seminars als EDM (Eignungsdiagnostische Maßnahme)  vor Antragstellung entwickelt worden war. Die Frage, ob sich dieses Modell auf andere Länder mit ihren differenten Lehrerausbildungen übertragen ließ oder andere Lösungen gefunden werden mussten, war der Kern der dreijährigen Arbeit im Projekt. Der Ansatz vom APT war insofern innovativ, als er zugleich die Bedürfnisse zweier Zielgruppen bedient: Zum einen die Lehrerausbilder/innen (Lehrbeauftragte und Mentor/innen) und zum anderen Referendar/innen. Beide Zielgruppen  sollten beim Lernen im und am Prozess zu einer „lernenden Organisation“ verschmelzen; zum anderen sollte durch die permanente Reflexion und Dissemination der Arbeit die Implementierung notwendiger Veränderungen in den nationalen Lehrerausbildungen unterstützt werden mit der Folge, dass sich in den teilnehmenden Ländern sowohl das Lernen als auch das Lehren weiterentwickeln. Die an dem Projekt beteiligten Partner waren zu der Auffassung gelangt, dass sie zunächst eine Einführung in diese Art der prozessorientierten Arbeit benötigen. Deshalb war intendiert, dass das Modell Offenburg der Eignungsdiagnostik (EDM) auf die unterschiedlichen Lehrerausbildungssysteme der Partnerländer angepasst wird. Ziel war es daher, neben einem Vergleich der Struktur der Lehrerausbildungssysteme und ihrer Curricula für die Ausbildung von Lehrern ein gegenseitiges Verständnis zu vertiefen, um auf dieser Basis ein konsensfähiges europäisches Profil konkret benennbarer Einstellungen und Haltungen zu erhalten, die man überall in Europa zum Lehrersein braucht. Diese könnten dann mit geeigneten eignungsdiagnostischen Instrumenten als Potentiale junger Lehrer ans Licht gehoben werden. Angestrebte Ergebnisse von APT waren:

  • Entwicklung von diagnostischen Instrumenten, die bei Referendaren eingesetzt werden können, um berufliche Einstellungen und Haltungen zu identifizieren. In einem zweiten Schritt sollen Möglichkeiten der adäquaten Veränderung sichergestellt werden, die für eine professionelle Entwicklung notwendig sind.
  • Detaillierte Auswertung hinsichtlich der Aussagekräftigkeit der diagnostischen Instrumente
  • eine Homepage mit Informationen über das Projekt, um das Projekt europaweit bekannt zu machen
  • Veröffentlichungen (Fallstudien, Glossar, Bibliographie und Zwischenberichte über das laufende Projekt)
  • Erhöhung der Expertise und Aufbau eines europaweit organisierten Netzwerkes von systematisch trainierten Beobachterinnen/Beobachtern
  • Intensivierung der Kooperation zwischen den sieben Ausbildungsinstituten

Als Grundlage für die Beschäftigung mit einer Eignungsdiagnostik für Lehreranwärter/innen diente uns das field model von Kurt Lewin[22].

Abb. 1:  Kurt Lewins Feld-Modell

 

Es wird hier als bekannt vorausgesetzt. Unser Ziel war es, den Lehreranwärtern zu helfen, die in ihnen verborgenen Potentiale zu entdecken, zu reflektieren und für die Unterrichtspraxis fruchtbar zu machen – kein leichter und schon gar kein leichtfertiger Versuch!

Für das Verstehen der Bedeutung der Offenburger Eignungsdiagnostischen Maßnahmen (im Folgenden abgekürzt: EDM) ist ein kurzer Blick auf das baden-württembergische System der Lehrerausbildung unerlässlich[23]. Hier werden die Lehrerinnen und Lehrer in den jeweiligen Schulformen getrennt ausgebildet. Das Seminar Offenburg bildet Lehrerinnen und Lehrer für Grund-, Werkreal- und Hauptschulen aus. Die Ausbildung für dieses Lehramt erfolgt in zwei Phasen: In der ersten Phase studieren die Personen an einer der Pädagogischen Hochschulen des Landes Baden-Württemberg in der Regel vier Jahre (entspricht ca. 70 Prozent der Ausbildungszeit) und schließen das Studium mit einer fachlich-pädagogischen Prüfung, dem 1. Staatsexamen, ab. Anschließend absolvieren sie die zweite Phase ihrer Ausbildung, das Referendariat, an einem der 14 „Staatlichen Seminare für Didaktik und Lehrerbildung“ – ein solches Seminar ist das Seminar Offenburg. Die zweite Phase am Seminar dauert 18 Monate (entspricht ca. 30 Prozent der Ausbildungszeit). Wer das erste Staatsexamen besteht, hat damit das Anrecht auf die zweite Phase erworben. Eine institutionelle Verbindung zwischen den beiden Phasen gibt es nicht. Kontakte zwischen Ausbildern bestehen aufgrund individueller Initiativen. Die oft proklamierte Zuständigkeit der ersten Phase für den fachlich-theoretischen Teil und die Zuständigkeit der zweiten Phase für den praktisch-schulischen Teil liegt irgendwo zwischen Klischee und Wirklichkeit – jedenfalls kann von einer sinnvollen, effektiven und wirksamen Verzahnung bisher noch nicht gesprochen werden. Idealerweise sollte die Eignungsfrage relativ früh im Ausbildungsgang gestellt werden. Wenn man aber – wie die Ausbilder am Seminar Offenburg – keinen Zugriff auf die ersten 70 Prozent der Ausbildungszeit hat, bleiben entweder Resignation oder Handeln in der eigenen Ausbildungssphäre. Also begann das Seminar mehr oder weniger allein auf weiter Flur mit der Entwicklung von Eignungsdiagnostischen Maßnahmen (EDM). Schon zu Beginn dieses Prozesses wurden vier Punkte vereinbart und festgelegt:

  • Bei der eignungsdiagnostischen Aussage wird es vor allem um die Felder der Einstellungen und Haltungen gehen.
  • Diese Felder haben eine enorme Bedeutung für das Bestehen im Beruf, spielen in der Ausbildungszeit am Seminar eine wichtige Rolle - und sie wurden an den pädagogischen        Hochschulen eher nicht bearbeitet.
  • Die Teilnahme an einer EDM wird fakultativ sein. Dafür sprachen drei Gründe: Die zur Verfügung stehenden Ressourcen reichten nicht aus für alle Referendare. Der in der Ausbildungs-     und Prüfungsordnung gegebene rechtliche Rahmen lässt eine Verpflichtung zur Teilnahme nicht zu. Und: Der am Seminar geltende Rahmen einer humanistischen Erwachsenenpädagogik setzt auf hohe Eigenverantwortung und Eigenentscheidung der Referendare. Dieser letzte Punkt hat sich in der Zwischenzeit zu einem der tragenden Qualitätsmerkmale der EDM entwickelt.
  • Für die Teilnehmer wird ein hohes Maß an Transparenz über Absicht, Ablauf und Bedeutung des Ergebnisses einer EDM hergestellt.

Das Konzept der EDM Offenburg lässt sich so skizzieren:

  • Es nimmt Anleihen beim Auswahlverfahren Assessment Center (AC).
  • Probanden (Referendarinnen und Referendare) durchlaufen Übungen mit Aufgabenstellungen aus dem beruflichen Feld.
  • Geschulte Beobachter beobachten und dokumentieren.
  • Grundlage für die Beobachtungen ist ein Anforderungsprofil. Dieses beinhaltet folgende Felder, die in den Bewertungsmaßstab von „besonders ausgeprägt“ bis „nicht erkennbar“ eingebettet sind.

Die Felder sind:

  1. Selbstorganisation/Eigenverantwortung: Stressbewältigungskompetenz, Belastbarkeit
  2. Rolle: Rollenklarheit, Rollenbewusstsein, rollenadäquates Verhalten, Umgang mit Rollenkollisionen
  3. Berufsspezifische Kompetenzen: Kommunikation, Visualisierung, Präsentation, Dokumentation...
  4. Performanz: Einstellung, Haltung, Wirkung der Person, Berufsethos...
  5. Führung: Führungsverhalten in der Lerngruppe, Vorgehen, Verhalten, Handeln, Umgang miteinander...
  6. Wertevermittlung und Normen
  7. Strategisches Denken und Handeln 
  8. Die Beobachtungen werden in einer Auswertungskonferenz ausgewertet. 
  9. Die Beobachtergruppe erstellt für jede Probandin / jeden Probanden eine qualifizierte Rückmeldung mit Stärken und mit Lernfeldern (Potenzialeinschätzung).
  10. Die Rückmeldung der Gruppe wird von einer Beobachterin / einem Beobachter in einem Rückmeldegespräch mitgeteilt.
  11. Der Proband / die Probandin erhält mit der Rückmeldung eine Orientierung für weiteres Handeln.

Die Intention der EDM ist also zusammengefasst: Personen erhalten eine Rückmeldung über ihre Stärken und Lernfelder, und mit dieser Rückmeldung eine Orientierung für weiteres gezieltes Handeln. Darin besteht der wichtige Unterschied zum Assessment: Die EDM ist kein Auswahlverfahren, sie ist ein Rückmeldeverfahren[24].

Im Herbst 2002 begannen die Vorarbeiten mit der Erstellung der Übungen, der Formulierung eines Anforderungsprofils, dem Entwurf eines strukturierten Interviews[25], dem Training für Beobachter/innen. Für eine dreitägige Pilot-EDM konnten studentische Probanden und externe Moderatorinnen gewonnen werden. Im Jahr 2003 wurden alle Ausbilder am Seminar (mehr als 30 Personen) in Beobachtertrainings qualifiziert – dabei agierten viele Ausbilder auch in der Probandenrolle. Zu diesem Zeitpunkt gelang es der damaligen Seminarleiterin mit ihrer Idee von Eignungsdiagnostik ein Comenius-Projekt zu initiieren. Dieses Vorgehen verlangte dem System Seminar eine große Anstrengung ab, die kaum zu überschätzen ist. Für die Implementierung der EDM in die Ausbildung war das zeit- und personalintensive Vorgehen aber unerlässlich: Das Instrument musste valide sein (mehr zum Thema Validität im Folgenden), und seine Anwender sicher in der Handhabung. Neben einem pragmatischen Zeitkonzept (12 Stunden je EDM) wurden folgende unabdingbare Qualitätsmerkmale für die EDM am Seminar Offenburg festgelegt:

  • Die Teilnahme an der EDM ist freiwillig, und die Abläufe werden – mit Ausnahme der Aufgabenstellungen – transparent gemacht.
  • Die Beobachter/innen haben eine in Trainings erworbene fundierte Ausbildung.
  • Bezugspunkt für Übungen und Beobachtungen ist ein Anforderungsprofil für die Ausbildung.
  • Die Übungen beinhalten typische Anforderungen des beruflichen Feldes.
  • Die Auswertungskonferenz hat ein formales Setting, das von Moderatoren gewährleistet wird.
  • Die Rückmeldung wird von der Beobachtergruppe vergemeinschaftet. Dabei geht Qualität vor Zeitdruck.
  • Das Rückmeldegespräch hat ebenfalls ein formales Setting. Es ist kein Ausbildungs- oder Beratungsgespräch.
  • Alle schriftlichen Aufzeichnungen werden vernichtet.
  • Die Teilnehmer/innen entscheiden in Eigenverantwortung, ob und wie sie die Rückmeldung bearbeiten.Es ist auch ihre Entscheidung, ob sie Ausbilderinnen bei einer Bearbeitung hinzu ziehen. 

Im Frühjahr 2004 wurde die EDM den Referendaren zum ersten Mal angeboten. Von 120 Personen, die im Februar ihre zweite Ausbildungsphase begannen, nahmen 60 Personen teil – ein gutes Ergebnis unter dem Gesichtspunkt, dass hier ein in der Lehrerausbildung völlig neues Instrument angeboten wurde – und dass Assessment-Verfahren doch beträchtliche Vorbehalte auslösen. Allerdings war damit auch eine Ressourcengrenze am Seminar Offenburg erreicht. Das Verfahren war in der Durchführung sehr personalintensiv: Fünf Probanden treffen auf fünf Beobachter/innen plus Moderator/in. Der Zeiteinsatz beträgt für die Teilnehmer circa sieben Stunden, für die Beobachter circa 12 Stunden. In Einzel-, Partner und  Gruppenarbeit mussten sie ein Selbstportrait erstellen, einen Elternabend vorbereiten, einen Schullandheimaufenthalt und ein Schulfest planen und die Ergebnisse den „stummen“  Beobachtern präsentieren. Die Rückmeldung über die sichtbar gewordenen Stärken und Lernfelder der Beobachterinnen und Beobachter erfuhren sie danach unter vier Augen auf der Grundlage einer Auswertungskonferenz der Beobachter/innen, die sich auf ein Anforderungsprofil über notwendige Lehrerfähig- und -fertigkeiten stützte.

Im Folgejahr 2005 wurde für die Teilnahme eine schriftliche Bewerbung mit Begründung verlangt. Dies führte zu einem signifikanten Rückgang der Teilnehmerzahl, so dass im Jahr 2006 wieder auf diese offenbar beträchtliche Hürde verzichtet wurde. Nach dem Auslaufen des APT-Projekts im Oktober 2006 konnte in den Folgejahren die EDM-Maßnahmen nicht mehr im ursprünglichen Umfang weitergeführt werden, bilden aber bis heute eine wesentliche Grundlage des ersten Ausbildungsabschnitts am Seminar.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Offenburger EDM eine bislang bestehende Lücke im Lehrerausbildungssystem von Baden-Württemberg füllte. Die Erwartung des sicheren Gehalts und der Status als Beamtinnen/Beamten mögen Gründe für die Berufswahl sein[26] (laut Rauin), die aber nicht unbedingt die Professionalisierung begünstigen. Die EDM - Maßnahmen haben sich als ausgesprochen erfolgreich erwiesen, um die Einstellung und Haltung von Referendarinnen/Referendaren mit Blick auf ihre zukünftige Rolle als Lehrer/innen zu erheben und die von ihnen erwarteten berufsspezifischen Fähigkeiten zu verbessern. Die bewusste Durchdringung der eigenen Haltung führte bei den Referendarinnen/Referendaren sowohl zu einem tieferen Verständnis der eigenen Motivation für die Ergreifung des Lehrerberufs als auch zu einem Bewusstwerden der von ihnen erwarteten Kompetenzen, die  über die Fachkompetenzen hinausreichen. Die durch dieses Instrumentarium benennbaren verschiedenen Ebenen des Lehrerberufs ermöglicht Lehrerausbilder/innen in Schule und Seminar, die unterschiedlichen Fähigkeiten, Haltungen und Kompetenzen auf Seiten der Referendarinnen/Referendaren zu beleuchten und daran mit diesen zu arbeiten. Mit Blick auf Einstellung und Haltung wurde durch die EDM eine objektivere, professionellere Diagnose der Potentiale der Referendar/innen gestellt, die es ermöglichte auch Schwachstellen zu identifizieren und an diesen gemeinsam mit den Referendar/innen zu arbeiten.

Evaluation der Eignungsdiagnostischen Maßnahme: Ist sie wirksam?[27]

Selbst wenn man bis hierher Absicht und Philosophie der EDM versteht und akzeptiert: Es stellt sich natürlich die alles entscheidende Frage des Nutzens und der Wirksamkeit. Nur bei einem Nutzen und bei Wirksamkeit legitimiert sich das Handeln, in diesem Fall: die Durchführung einer EDM. Die Evaluation der EDM steht vor einem strukturellen Problem: Es gehört ja zu ihren Kennzeichen, dass alle schriftlichen Aufzeichnungen vernichtet werden, und dass die Referendare in Selbstverantwortung mit dem Ergebnis arbeiten oder auch nicht arbeiten. Was also ist dann die Datenbasis für eine Evaluation? Gibt es überhaupt eine Datenbasis? Bezugspunkt für das Erkenntnisinteresse einer Auswertung muss das Ziel einer EDM sein: Die Teilnehmer erhalten eine Rückmeldung über ihre Stärken und Lernfelder, mit deren Hilfe sie eine Orientierung für weiteres – selbstgesteuertes – Handeln in ihrer Ausbildungszeit bekommen. Zunächst wurden alle Beobachter/innen befragt, ob die Übungen der EDM dazu ausreichen, sich aussagekräftige Bilder von der jeweiligen Person zu machen, die dann in der Auswertungskonferenz zu einer einstimmigen Rückmeldung verarbeitet werden können. Dies gelang – teilweise auch zur eigenen Überraschung der Beobachter/innen – in einem hohen Maße. Die Grundstrukturen der Übungen haben sich gut bewährt, die Teilnehmer/innen wurden unter dem Fokus des Anforderungsprofils „sichtbar“. Hinzu kam die Einschätzung der Beobachter/innen, dass die erstellten Rückmeldungen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – präzise formuliert waren und im Sinne der Ausbildung handlungsleitend sein könnten. Ein sehr wertvoller Nebeneffekt bestand im Übrigen darin, dass die Ausbilder/innen des Seminars bei einer EDM ihren Beobachterblick ständig trainieren und mit anderen vergemeinschaften mussten – sowohl inhaltlich als auch sprachlich.[28] Während eine quantitativ-empirisch ausgerichtete Forschung die Validität der Übungen für noch nicht ausreichend belegt hielte, reichten den Verantwortlichen am Seminar Offenburg die Ergebnisse aus strukturierten Befragungen, Gruppendiskussionen und Interpretationen aus, um ihnen eine Orientierung zu geben[29].

Wie wird der Nutzen der EDM von ihren Teilnehmern beurteilt? Dieser entscheidend wichtige Teil der Evaluation gestaltete sich methodisch sehr sensibel: Er durfte die intendierten und kommunizierten Prinzipien der EDM nicht konterkarieren. Das hieß konkret: Die Teilnahme an der Evaluation war freiwillig und es wurden dabei keine Aufzeichnungen aus der EDM verwendet (weil sie bewusst vernichtet worden waren). Und: Zeitpunkt für die Auswertung war nicht das Ende der EDM, sondern das Ende der Ausbildungszeit – nur zu diesem Zeitpunkt konnte eine Aussage darüber getroffen werden, ob die Rückmeldung handlungsleitend umgesetzt wurde. Instrument für die Befragung der Teilnehmer/innen war ein strukturiertes Interview, das Face-to-face durchgeführt wurde. Traditionelle quantitative empirische Auswertungsinstrumente wie Skalen, Tests oder standardisierte Fragebögen wären dem Anliegen und der Philosophie der EDM weniger gerecht geworden.

Folgende Fragen strukturierten das Interview:

  • Wie haben Sie die Rückmeldung zu Ihren persönlichen Stärken und Lernfeldern erlebt und für sich eingeordnet?
  • Welche Bedeutung hatte im Blick zurück (d.h. seit dem Absolvieren der EDM) die Rückmeldungen für Ihr Lernen und Arbeiten?
  • Welche Bedeutung hatte die Rückmeldung (aus der EDM) für Ihre weitere Ausbildungszeit am Seminar und in der Schule?
  • Zusammenfassend: Wie hat sich – vom Ende der Ausbildungszeit aus gesehen – die Rückmeldung auf Sie als Person ausgewirkt?
Ergebnisse der Auswertung

Die ersten Auswertungsinterviews – für die Teilnehmer/innen des Jahres 2004 – wurden im Juli 2005 geführt. 15 Personen nahmen am Auswertungsinterview teil, das entspricht einer Quote von 25 Prozent. Fast alle Befragten (87 Prozent) konnten die Rückmeldung gut und für sich plausibel aufnehmen, sich „damit identifizieren“[30]. In Einzelfällen (13 Prozent) wurde die Aufnahme durch das Verhalten der mitteilenden Personen blockiert. Die 87 Prozent zeigten sich überrascht, wie „vielfältig“, „treffsicher“ und „konkret“ die Rückmeldung der Beobachter/innen war. Die Akzeptanz wurde erhöht durch Bestärkungen („das tat gut“), durch „griffige Begriffe“ und durch die „Fahne“: „damit arbeite ich immer noch“. Die explizite Äußerung der Stärken erleichterte im Empfinden der Teilnehmer die Aufnahme der Lernfelder wesentlich. Eine große Mehrheit – 73 Prozent – sahen „Rückmeldungen als ein wichtiges Mittel für das Lernen“. Oft hatte die EDM-Rückmeldung eine größere Bedeutung als andere Rückmeldungen während der Ausbildung: sie bezog sich auf „das Persönliche“. „Rückmeldungen geben klare Strukturen“, „ihre wirkliche Bedeutung erkenne ich erst am Ende der Ausbildungszeit“. Oder: „Mein Umgang mit Rückmeldungen wurde professioneller“ – auch Referendarinnen/Referendare haben sich danach nun häufiger gegenseitig Rückmeldung gegeben. Die Bedeutung für die Ausbildungszeit wurde als durchweg hoch eingeschätzt, wie folgende typische Äußerungen zeigen: „Ich habe mit meinen Stärken gearbeitet, z. B. im Bereich Führung“. „Mein Auftreten wurde sicherer, ich bin mehr in die Situationen rein. Ich habe in der Gruppe Raum für mich beansprucht, mit Körpersprache, mit Blickkontakt.“ „Ich konnte die Lernfelder z.T. in den Lehrveranstaltungen bearbeiten“. „Gut war die Eigenverantwortung – ich konnte selbst darauf achten“. Auch der hinsichtlich der Eignungsfrage wichtige Blick auf die eigene Person ergab ein positives Bild: „Die Übungen haben bei mir wichtige Selbstreflexionen ausgelöst“. „Die EDM war ein kostenloses Geschenk, in dem ich mehr über mich erfahren konnte“. „Die EDM hat mir Punkte klar gemacht, an denen ich wirklich arbeiten konnte“. „Sie war ein Beitrag, dass ich mich als Person verändert habe – ein wahnsinniger Fortschritt im Vergleich zur Pädagogischen Hochschule“. Das Fazit der Teilnehmerbefragung: Die EDM hatte für die freiwilligen Teilnehmer eine hohe Wirksamkeit; der auf die Lehrerpersönlichkeit gerichtete überfachliche Fokus fand Zustimmung und wurde nicht als „Bedrohung der Privatsphäre“ empfunden. Das Fazit der Ausbilderbefragung war ähnlich: Unabdingbar sind die Qualität und die Verlässlichkeit des Verfahrens; für sehr häufig vorkommende Stärken und Lernfelder könnten ausgewiesene Trainingsangebote im Rahmen der Seminarausbildung hilfreich sein; viel spricht für einen früheren Einsatz der EDM bereits in der ersten Phase der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule. Die Interviews mit den Teilnehmern des Jahres 2005 – geführt im August 2006 – zeigten sehr ähnliche Ergebnisse.  Im Frühjahr 2006 wurden EDM nun zum dritten Mal in Folge den Referendarinnen/Referendaren angeboten. Das Instrument war  damit im Ausbildungsrahmen am Seminar Offenburg etabliert. Natürlich musste es in der Folge gepflegt werden: kleinere Aktualisierungen der Übungen, Qualifizierung neuer Mitarbeiter, Achtsamkeit für die Qualitätskriterien. Nützliche Anregungen gab es weiterhin aus der Arbeit der beteiligten Lehrerbildungsinstitutionen  im Rahmen des APT-Projekts.

Ist es in drei Jahren EU-Projekt gelungen, eignungsdiagnostische Maßnahmen in europäischen Lehrerausbildungen zu implementieren?
Die Antwort lautet JEIN. Die Übersicht von Ende 2006 – dem Ende der Laufzeit des APT-Projekts zeigt – in Analogie zu der Ausgangsübersicht, dass die anderen Beteiligten unterschiedliche Instrumente entwickelten, die ihren jeweiligen Ausbildungsstrukturen besser angepasst waren als die EDM aus Offenburg.[31] 

Die hier aufgeführten „lifting tools“[32]

Abb. 2:  Lifting tools, entwickelt vom APT-Projekt


entstanden überwiegend bei denjenigen Partnern, die bereits Erfahrungen mit eignungsdiagnostischen Maßnahmen hatten (vor allem der schwedische Partner in Lulea, der englische Partner in Edgehill, der irische Partner in Maynooth und der belgischen Partner in Hasselt). Für die spanischen und estländischen Partner waren EDM-Maßnahmen gänzlich neu. Nachdem diese zunächst das Offenburger Modell adaptierten, erwies sich in den Pilotphasen, dass die Lehrerstudenten mit diesen Maßnahmen überfordert waren, bzw. Sinn und Zweck nicht verständlich kommuniziert werden konnte. Es blieb bei Ansätzen. Weniger Probleme hatten hingegen diejenigen Partner, bei denen EDM-Instrumente vorhanden waren. Hier ging es wesentlich darum, aus dem Offenburger Modell diejenigen Elemente herauszufiltern, die man in eigene Systematiken einbauen konnte. Als ein Beispiel sei hier genannt der Ansatz „Schaffen von Dilemmata-Situationen“, die in Maynooth entlang der Ideen Kohlbergs und Kansanens [33]weiterentwickelt wurden. Der Fokus lag dabei eher auf der Bewusstmachung ethisch-moralischer Dimensionen, mit denen die Lehrperson umgehen muss, als bei der Bewusstmachung von „Alltagsroutinen“ im Unterricht. 

Im Jahre 2007 erhielt das Seminar Offenburg den Zuschlag für ein weiteres multilaterales Projekt bis 2009. „TICKLE“ (Teachers Intercultural Competences as Keystones for Learning in Europe“) richtete seinen Focus auf ein Element, das hinsichtlich der Persönlichkeitsbildung und Eignungsfrage punktgenauer als APT von besonderer Bedeutung für zukünftige Lehrer sein wird: Die Herausbildung von interkulturellen Kompetenzen. Von Anbeginn an begannen die wiederum sieben Partnerinstitutionen[34] mit der Entwicklung von 44 Bausteinen, die in der Lehrerausbildung in Europa in Hinsicht auf interkulturelle Kompetenzentwicklung eingesetzt werden können. Dieses Projekt harrt noch seiner Auswertung auf Deutsch.[35]

Nachbemerkung: All das, was derzeit in der Lehrerausbildung „en vogue“ ist, nicht mehr als eine Suchbewegung. Durch meine Tätigkeit konnte ich viele europäische Systeme der Lehrerausbildung kennenlernen und je länger ich das tat, desto skeptischer wurde ich mit ideologisch aufgeladenen Rezepten des einzig seligmachenden Königsweges zu „der“ Lehrerpersönlichkeit. Ich glaube eher, dass es eine Bandbreite von Suchbewegungen in Europa gibt, die sich unterscheiden lassen nach dem Grad der Reflektiertheit, mit der jeweils gesucht wird. Dass dabei die skandinavischen Länder die Nase vorn haben, steht für mich außer Frage. Insofern gilt mein besonderer Dank den finnischen externen Evaluatoren beider EU-Projekte, Pertti Kansanen und Matti Meri.


 


Anmerkungen


[1]  Zahlenmäßig ist die Personenzahl, die das Referendariat abbricht oder in Wiederholungsprüfungen scheitert, eher gering (zwischen 5 - 8% eines Jahrgangskurses von ca.150 Referendaren), dennoch lässt jede Biographie viele Fragen offen. 
[2]  Das eigentliche Potenzial einer frühzeitigeren Rückmeldung liegt darin: Was hätte sie im Hinblick auf bewussteres, gezielteres Lernen bewirken können? Und was hätte dieses Lernen für die Herstellung von Berufseignung bewirken können? Mit der Umstellung der Lehrerausbildung in Baden-Württemberg zum Bachelor/Master ab 2016 wären theoretisch Eignungsmaßnahmen schon vor Aufnahme des Master-Studiums möglich. 
[3]  Sennett, R. (2005) : Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin, S. 88ff.
[4]  Bis zur französischen Revolution wurden die Offiziere der französischen Armeen – wie fast überall in Europa – aus den Adelsklassen rekrutiert. Napoleon Bonaparte änderte dieses System, sobald er an der Macht war. Die Militärschule Saint-Cyr war eine seiner ersten Gründungen 1802. Ihr Motto ist: „Ils s'instruisent pour vaincre“ (Sie lernen um zu siegen). Es handelte sich – bis heute - um eine Elitehochschule, die den Besuch von Vorbereitungsklassen nach dem französischen Abitur voraussetzt. St. Cyr ging damals neue Wege: Die Kandidaten mussten eine Potential-oder Eignungsdiagnose über sich ergehen lassen. Dazu bekamen sie Nummern, keine Namen, so dass der Auswahlprozess nicht beeinflusst werden konnte. Die eignungsdiagnostischen Übungen erstreckten sich von der Berechnung von Flugbahnen von Geschossen über Gefechtstechniken bis hin zu „kommunikativen“ (Wie befehle ich richtig) Übungen und Aufgaben zur Feststellung der Führungsqualität der Kandidaten. Im daraus folgenden, sich über mehrere Monate hinziehenden Auswahlverfahren wurden nur diejenigen an der Akademie zugelassen, die herausragende Wertungen erzielt hatten. 
[5]  die rühmliche Ausnahme waren sicher die Reformansätze von Wilhelm v. Humboldt in Preußen 1810, die aber weitgehend im Sande der preußischen Staatsbürokratie steckenblieben. 
[6]  Der spätere US-Präsident Kennedy wurde z. B. als Kommandant des Schnellbootes PT-109 im Pazifik schwer verwundet, sein Bruder Joseph wurde über dem Ärmelkanal tödlich verwundet. 
[7]  Lewin, K. (1935) A dynamic theory of personality. New York: McGraw-Hill. 
[8]  Horkheimer, M./Adorno, Th. (1950): the Authoritarian Character, New York. 
[9]  Bettelheim, B. (1943) "Individual and Mass Behavior in Extreme Situations," Journal of Abnormal and Social Psychology 38, S. 417-452. 
[10]  Dewey, J: Democracy and Education, erschienen 1916, ins Deutsche übersetzt 1930; erst wieder aufgelegt 1993 (!) durch Jürgen Oelkers. (Oelkers, J: (1993) Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik, Weinheim und Basel. Beltz Verlag) 
[11]  Talks to teachers on psychology: and to students on some life's ideals. Holt and Longmans, Green & Co., New York/London 1899. 
[12]  The concept of the fully functioning person, in: Psychotherapy: theory, research and Practice, 1963, No. 1, S. 17-26. 
[13]  Schein, E. (1995): Kurt Lewin's Change Theory in the Field and in the Classroom: Notes Toward a Model of Managed Learning', Systems Practice. Siehe auch: http://www.a2zpsychology.com/articles/kurt_lewin's_change_theory_page7.htm  
[14]  Goffman, E.: Face Engagements (in: Goffman E., Behavior in Public Places. Free Press, New York 1963, S. 83-111). 
[15]   Kolb, D. A. (1984) Experiential Learning, Englewood Cliffs, NJ.: Prentice Hall. 
[16]  Senge, P. (1990) The Fifth Discipline. N.Y.: Doubleday 
[17]  Gardner, H. (2006) Changing minds, The art and science of changing our own and other people's minds, Boston (Harvard Business School Press) 
[18]  Scharmer, C. Otto (2007) Theory U – Leading from the future as it emerges, SOL, Cambridge, Mass. 
[19]  Über die Tatsache, wie 5 Jahre PH-Studium und 18 Monate Seminarausbildung dazu verhelfen sollen, lebenslang Lehrer/in zu werden, wäre gesondert zu sprechen. 
[20]   Neben dem Seminar Offenburg als Projektkoordination waren dies Estland (Tallinna University); Schweden (Luleå tekniska universitet), Spanien (Facultad de Ciencias de la education – Universidad de Granada); Vereinigtes Königreich (Edge Hill College of Higher Education, Ormskirk Lancashire); Belgien (Provinciale Hogeschool Limburg) und Irland (National University of Ireland, Maynooth, Co. Kildare).Die externe Evaluation lag bei Prof. Pertti Kansanen und Prof. Matti Meri von der Universität Helsinki, zwei Experten der finnischen Bildungsreform. 
[21]   Insbesondere sind hier die damalige Seminardirektorin Regine Berger und ihr damaliger Stellvertreter Xaver Anders zu nennen. 
[22]  Lewin, K. (1951): Field theory in social science (selected theoretical papers). New York , S. 240. 
[23]  Die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf den Abschlussbericht der Offenburger Projektgruppe von APT. Verfasser: Bernd Friedrich und Ursula Erdrich (2006). 
[24]  Das Verfahren beanspruchte für sich also nicht die absolute Entscheidung „geeignet“ bzw. „nicht geeignet“, aber es benennt Stärken, die zur Eignung gehören, und Lernfelder, die für eine Eignung bearbeitet werden sollten. 
[25]  Die Werkzeuge „Übungen“, „Anforderungsprofil“ und „strukturiertes Interview“ waren bis 2006 auf der schwedischen Website des APT-Projekts ausführlich dokumentiert, leider wurde die Seite nach Abschluss gelöscht. Die Unterlagen (alle auf Englisch) sind aber über mich erhältlich. 
[26]  http://www.zlb.uni-freiburg.de/derlehrerberuf/dateien/rauin-heidelberg-09.pdf  
[27]   Ich folge hier weitgehend dem Abschlussbericht des APT-Teams Offenburg (2006). 
[28]  Die Erarbeitung des Instruments EDM hatte auch einen qualitativen Fortbildungseffekt für die Ausbilderinnen und Ausbilder am Seminar Offenburg. So wurden etwa Unterschiede von Gesprächsformen wie Beratungsgespräch, Ausbildungsgespräch und Rückmeldegespräch bearbeitet. 
[29]   Valide Ergebnisse zu erhalten erwies sich aus den Gründen der vereinbarten Verschwiegenheit als nicht durchführbar. 
[30]  Die Zitate stammen aus den Protokollen der strukturierten Interviews. Sie wurden exemplarisch ausgewählt, d.h. der zitierte Sachverhalt wurde jeweils von weiteren Personen benannt. 
[31]  Siehe den final report des APT-Projekts, der bisher nicht in deutscher Sprache veröffentlicht ist. 
[32]  diese sind Bestandteil der Anlagen des final reports. 
[33]  Kansanen, P., Tirri, K., Meri, M., Krokfors, L., Husu, J., & Jyrhämä, R. (2000): Teachers Pedagogical Thinking, chapter 9: Teacher´s Moral dilemmas, p. 90-101, New York. 
[34]  Ausgeschieden waren Belgien, Irland, Spanien und UK; neu hinzu kamen Partner aus Ungarn (Eger und Györ) und aus den Niederlanden (PABO Arnhem). 
[35]  alle Unterlagen von TICKLE finden sich auf der TICKLE-homepage www.tickle-project.eu – enthalten im Link-Verzeichnis der Homepage