Beruf - Lebenskünstler im Reich riskanter Freiheit?
Eine Unterrichtseinheit für Sek. II
Bernd und Hiltrud Hainmüller
Was kommt nach dem Abi? Erst mal Urlaub und dann lange gar nichts! - Ausruhen - fett abgehen, Party, Au Pair im Ausland, Zivildienst, Bund, Freiwilliges Soziales Jahr - erst mal abwarten und Tee trinken - und danach? Weiß nicht - auf keinen Fall studieren - irgendwas mit Menschen machen - was mit Computern und Medien machen, klar, auf jeden Fall studieren - aber was? - ob der NC reicht?- Ich interessiere mich für Kunst, aber das ist doch brotlos zur Polizei gehen (Gelächter in der Klasse} - ist gar nicht so übel! - Ich übernehm's elterliche Geschäft - was mit Touristik, das soll Chancen haben. Nicht so'n Schnarchberuf... auf keinen Fall Lehrer!
So oder ähnlich kann sich ein Gespräch in der 12. Klasse über Berufs- und Zukunftsvorstellungen abspielen: Schüler antworten in einer Bandbreite, die von ganz klaren Vorstellungen über vage Wünsche bis hin zur totalen Ratlosigkeit reicht, wobei Vorstellungen mit fest umrissenen Zielen eher die Ausnahme bilden. Grund genug, das Thema: Lebensentwürfe, Berufswahl und Arbeit als wichtige anthropologische Konstanten im Rahmen des Ethikunterrichts zu behandeln. Die Unterrichtseinheit kann durch folgende Fragenkreise strukturiert werden:
Fragenkreis 1: Welchen Stellenwert soll die Arbeit in der zukünftigen Biographie des Schülers/der Schülerin einnehmen?
(Ermittlung von Vorerfahrungen, Einstellungen und Zukunftsplänen)
Fragenkreis 2: Wie sieht die Arbeit von morgen aus?
(Soziologische, ökonomische und soziale Trends anhand von Aussagen aus dem Bereich der Zukunftsforschung erarbeiten und mit den eigenen Bedürfnissen und Lebensentwürfen kontrastieren)
Fragenkreis 3: Wie haben sich die Vorstellungen über Arbeit im Laufe der Menschheitsgeschichte verändert?
(Erarbeitung bedeutender Traditionslinien des Arbeitsbegriffs)
Fragenkreis 4: Ist jeder sein eigener Planer im Architekturbüro Zukunft?
(Chancen- und Risiken künftiger Lebensgestaltung)
1. Einstieg ins Thema (Fragenkreis 1)
Wir haben an der Klagemauer (Mat. 1) Sprüche über Arbeit versammelt, die man häufig hören kann.
Man kann die freien Steine der Mauer mit eigenen Ansichten über Arbeit beschriften.
Diskussion über »Kinder der Freiheit« (Mat. 2)
An die Lektüre des Mat. 2 schließt sich eine Diskussion über die Aussagen der Autorin an.
Die Auswertung des Textes wird verbunden mit der Erstellung eines Fragebogens.[1]
Mat. 2: Helen Wilkinson, Kinder der Freiheit
Wie die Strukturen der Beziehungen und des Familienlebens so hat sich auch während der letzten drei Jahrzehnte die Beziehung der Menschen zu ihrer Arbeit drastisch verändert, mit einer gleichzeitigen Verschiebung zu größerem Individualismus. [...] Das Verschwinden von Lebensarbeitsplätzen und die Entwicklung eines individualisierteren Arbeitsmarktes wirkten sich nachhaltig auf eine junge Generation aus, die in den unsicheren neunziger Jahren volljährig wurde oder die familiäre Zukunft gestalten wollte. [...] Überall in der westlichen Welt wurde Arbeit während der letzten Jahrzehnte zu einem unsicheren Faktor, da die alten Arbeitsstrukturen zerfielen: Vollzeitarbeitsplätze werden abgebaut, es gibt ein drastisches Anwachsen von (schein-}selbständiger Arbeit und Teilzeitarbeit; viele Unternehmen bieten zeitlich begrenzte Verträge an, während andere Modelle erproben, die aus einem reduzierten Stammpersonal und einer sich vergrößernden Anzahl unregelmäßig Arbeitender mit vielen unterschiedlichen Arbeitsplatzformen, vom Berater bis zum Reinigungspersonal, basieren.[...] Ihre (die Arbeitsmoral der jüngeren Generation, d. V.) Arbeitsmoral scheint in einer Wandlungsphase begriffen zu sein, weil diese Generation sich vielleicht selbst an der Frontlinie der Veränderungen in der Arbeitswelt wiederfindet. David Cannon, Autor der Bücher Generation X und New Work Ethic, in der die Situation junger Menschen in Europa und Nordamerika eingehend untersucht wird, ist der Ansicht, dass Akademiker heute anspruchsvoller sind und sich mit ihrer Arbeit mehr auseinandersetzen wollen. Sie suchen eine Arbeit, die sowohl interessant ist als auch gut bezahlt wird, und arbeiten häufig lieber für Firmen, die ihnen Selbstbestimmung und eine aufgabenbezogene Arbeit anbieten, als in einer hierarchischen Karrierestruktur. [...] Der wachsende Individualismus bedeutet auch, dass junge Menschen eine größere Bereitschaft zeigen, neue Richtungen einzuschlagen und paradoxerweise eher bereit zu sein scheinen, Risiken einzugehen - zum Beispiel im Ausland zu arbeiten oder sich selbständig zu machen. [...] Menschen erwarten heute auch viel mehr von ihrer Arbeit, und wenngleich der Lohn wichtig bleibt, werden andere Faktoren ausschlaggebend - Anzeichen für die eher postmateriellen Werte, die mit der Selbstbestimmung einhergehen. Untersuchungen über junge Europäer zeigen durchweg, dass eine besser ausgebildete Generation Arbeit sucht, die interessant und anspruchsvoll ist und Leistung, Verantwortung und Initiative ebenso wie gute Bezahlung einschließt. [...] Junge Menschen suchen auch Arbeitsplätze, die ihnen erlauben, eine Balance zwischen Arbeit und Privatleben herzustellen. Hierin können wir auch eine neue Form von Verantwortung sehen, da nur wenige Menschen erklären, dass sie bereit sind, ihr Gefühls- und Privatleben zugunsten der Karriere zurückzustellen. [...] Noch wichtiger vielleicht ist die Einstellung, dass die Menschen von ihrer Arbeit das erwarten, was sie sich auch als Verbraucher und für ihre Freizeit erwarten. In der Demos-Studie sprechen 54% der Männer und 55% der Frauen unter 35 Jahren zum Beispiel davon, dass sie eine anregende Arbeit möchten; 46% der Männer und 37 % der Frauen unter 35 Jahren suchen eine Arbeit, die ihrem Leben Sinn gibt, und 39% der Männer und 33% der Frauen unter 35 Jahren möchten eine Arbeit, die ihre Vorstellungskraft und ihre Kreativität fördert.
Quelle: Helen Wilkinson, Entsteht eine neue Ethik individueller Verantwortung?, in: Ulrich Beck (Hrsg.): Kinder der Freiheit, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M, S. 103-109
Fragebogen-Schwerpunkte
- Welchen Stellenwert hat Arbeit in der individuellen Lebensplanung?
- Wird Arbeit eher als Beruf im Sinne von »Berufung« oder als »Job« gesehen?
- Wie soll das individuelle Verhältnis zwischen Freizeit und Arbeit aussehen?
- Wird Arbeit als Möglichkeit der Selbstverwirklichung oder in erster Linie als Gelderwerb gesehen?
- Welche Chancen rechnet sich der Einzelne hinsichtlich der Realisierbarkeit seiner Berufsvorstellungen aus?
- Wie wird der zukünftige Arbeitsmarkt eingeschätzt?
- Welche Vorstellungen existieren über die Einbettung der Erwerbstätigkeit in die Lebensbiographie (Familie, Kinder, Verhältnis Mann-Frau)?
- Welche Wunschberufe werden genannt?
Die hier genannten Schwerpunkte können durch Gesichtspunkte erweitert werden, die die Schüler selbst einbringen. Indem die Schüler lernen, einen Fragebogen zu erstellen, bekommen sie den Blick für die wesentlichen Problemstellungen und erzielen eine Wahrnehmung für Fremd- und Selbsteinschätzungen. Die Ergebnisse der Schülerumfrage sind auch gut zu vergleichen mit den Ergebnissen der aktuellsten Shell-Studie über Jugend.
Zusatzaufgabe: Als Handlungsorientierung sollen die Schüler das Berufsinformationszentrum des Arbeitsamtes aufsuchen und verschiedene Berufsprofile, die sie interessieren, in den Unterricht einbringen. Diese »Wunschberufe« sind kritisch zu hinterfragen in Hinsicht auf die im folgenden Materialteil 3 gemachten Aussagen über Zukunftstrends. Es hat sich auch bewährt, ehemalige Schüler einzuladen, die über ihre Erfahrungen berichten.
Fragenkreis 2
II. Ist Flexibilität das Zauberwort der Zukunft?
Mat. 3: Deutschland im Jahr 2010 - wie werden wir morgen leben?
Professor Horst Opaschowski wagt einen Blick in die Zukunft. Er leitet das BAT-Freizeit Forschungsinstitut in Hamburg und beschäftigt sich seit Jahren mit der·Frage, in welche Richtung die bundesdeutsche Gesellschaft sich entwickeln wird.
BZ: Wie werden wir in Zukunft arbeiten?
Opaschowski: Selbständiger und angestrengter. Selbständiger, weil es mit der Industriegesellschaft alten Typs zu Ende geht. dass die Vorgesetzten sagen, was zu tun ist, und die Mitarbeiter das ausführen - diese Art von Hierarchie verschwindet. Die Leistungsgesellschaft der Zukunft verlangt mehr Eigeninitiative und Mitdenken am Arbeitsplatz. Ich will das den neuen Selbständigen nennen.
BZ: Nur noch Selbständige, keine Angestellte mehr?
Opaschowski: Ich meine das nicht in dem Sinn, dass es keine abhängig Beschäftigten mehr geben wird. Aber die Arbeitnehmer müssen selbständiger arbeiten. Flexibilität ist das Zauberwort der Zukunft. Die Arbeitenden müssen sich flexibel auf die Bedürfnisse der Betriebe einstellen, was Arbeitsort, Arbeitszeit und Arbeitsaufgabe angeht.
BZ: Das klingt hart!
Opaschowski: Die Arbeitswelt hat schon immer wenig Rücksicht genommen auf die privaten Wünsche der Arbeitenden. Das wird noch schärfer hervortreten. Aus meiner Sicht wird in Zukunft jeder und jede sein/ihr eigener Unternehmer sein bei der Bewältigung der gestellten Aufgaben. Dadurch wird eine neue Ungleichheit entstehen. Wer das Talent zum Unternehmertum hat, ist ein gemachter Mann oder eine gemachte Frau. Wer dieses Talent nicht besitzt, wird wenig Erfolg haben, mögen die fachlichen Kenntnisse noch so groß sein.
BZ: Als Arbeitnehmer der Zukunft sollte ich also am besten alleinstehend, kinderlos und völlig mobil sein?
Opaschowski: So ist es, und das ist aus sozialer Sicht natürlich verheerend. Denn das bedeutet ja auch, dass die Menschen zunehmend bindungslos werden. Wir erleben zur Zeit, dass soziale Beziehungen zunehmend geschäftsmässig betrieben werden, nach dem Motto: Ich gebe dir etwas, damit du mir etwas gibst. Das halte ich langfristig für verhängnisvoll. Wir vereinsamen total.
BZ: Wie kann man dem entgegenwirken?
Opaschowski: Zum einen in der Schule. Aus der Lernschule muss eine Lebensschule werden. Fachliches Wissen ist wichtig, veraltet aber schnell. Daneben müssen die Lehrer den Schülern vermitteln, wie sie ihr Leben bewältigen. Ganz praktisch im Sinne von handwerklichen Kenntnissen, sie müssen aber auch die Fähigkeit vermitteln, soziale Verbindungen einzugehen und zu erhalten. Zum zweiten müssen wir den Leistungsbegriff neu bestimmen.". Auch soziales Engagement muß als Leistung in dieser Gesellschaft anerkannt werden. Das fehlt in Deutschland, deswegen engagieren sich hierzulande viel weniger Menschen als beispielsweise in den USA. Aber mehr soziales, ehrenamtliches Engagement würde der Vereinzelung entgegenwirken. Deswegen sollten wir das Ehrenamt aufwerten. Drittens plädiere ich für mehr Langsamkeit. Die Beschleunigung in der Produktion hat auch zu einer Beschleunigung unseres Lebens geführt. Uns fehlen Muße und Zeitwohlstand. Alle sind gehetzt. Viele Leute sind ständig unterwegs (daher der Dauerstau auf der Straße) weil sie fürchten, etwas zu verpassen. Dagegen sage ich: Lieber einmal etwas verpassen, als immer dabei sein. Wir müssen wieder lernen, dass weniger oft mehr ist.
Quelle: Interview: Jörg Buteweg, Badische Zeitung, Freiburg, 27.10.1998
Aufgaben
- Welche Aussagen trifft Opaschowski hinsichtlich der zukünftigen Arbeitsbedingungen?
- Welche Folgen für das soziale Leben könnten daraus entspringen?
- Wie könnte diesen Folgen entgegengewirkt werden und durch welche Maßnahmen?
- Was ist mit den Stichworten »Muße« und »Zeitwohlstand« gemeint?
- Welche Aufgaben hätte die Schule in diesem Zusammenhang?
Mat. 4: R. Sennett, Der flexible Mensch - ein gefährlicher Weg?
Ökonomen, Manager und Wirtschaftsjournalisten betrachten den globalen Markt und den Gebrauch neuer Technologien als die Merkmale des neuen Kapitalismus. Das ist sicher richtig, unterschlägt aber eine andere Dimension des Wandels: die neuen Formen der Zeit-, besonders der Arbeitszeitorganisation. Das sichtbarste Zeichen dieses Wandels könnte das Motto »nichts Langfristiges« sein. In der Arbeitswelt ist die traditionelle Laufbahn, die Schritt für Schritt die Korridore von ein oder zwei Institutionen durchläuft, im Niedergang begriffen. Dasselbe gilt für das Hinreichen einer einzigen Ausbildung für ein ganzes Berufsleben. Heute muß ein junger Amerikaner mit mindestens zweijährigem Studium damit rechnen, in vierzig Arbeitsjahren wenigstens elfmal die Stelle zu wechseln und dabei seine Kenntnisbasis wenigstens dreimal auszutauschen. " (S.25)
Der am schnellsten expandierende Bereich des amerikanischen Arbeitsmarkts besteht aus Menschen, die für Zeitarbeitsagenturen arbeiten". (S.25)
»Nichts Langfristiges« ist ein verhängnisvolles Rezept für die Entwicklung von Vertrauen, Loyalität und gegenseitiger Verpflichtung. Vertrauen kann natürlich etwas rein Förmliches sein, wenn Personen sich etwa nach einem Geschäftsabschluß die Hand schütteln oder sich darauf verlassen, dass der andere die Regeln eines Spiels anerkennt. Aber emotional tiefergehende Erfahrungen von Vertrauen sind gewöhnlich weniger förmlich, zum Beispiel wenn Menschen lernen, auf wen sie sich bei einer schwierigen Aufgabe verlassen können. Solche sozialen Bindungen brauchen Zeit, um sich zu entwickeln und in den Nischen und Spalten von Institutionen Wurzeln zu schlagen. Der kurze Zeitrahmen moderner Institutionen begrenzt das Reifen formlosen Vertrauens". (S.28)
Es ist die Zeitdimension des neuen Kapitalismus, mehr als die High-Tech-Daten oder der globale Markt, die das Gefühlsleben der Menschen ausserhalb des Arbeitsplatzes am tiefsten berührt. Auf die Familie übertragen bedeuten diese Werte einer flexiblen Gesellschaft: Bleib in Bewegung, geh keine Bindungen ein und bring keine Opfer ". (S.29)
»Wer braucht mich?« ist eine Frage, die der moderne Kapitalismus völlig zu negieren scheint. Das System strahlt Gleichgültigkeit aus". (...) Solche Praktiken vermindern für alle sichtbar und brutal das Gefühl persönlicher Bedeutung, das Gefühl, für andere notwendig zu sein. " (S.201)
"Ein Regime, das Menschen keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten". (S.203)
(Quelle: Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998)
Aufgaben:
- Welche Gefahren für den Einzelnen sieht Sennett in der zunehmenden Flexibilisierung?
- Welche Gefahren für die Gesellschaft sieht Sennett in der zunehmenden Flexibilisierung?
- Beispiele für Arbeitsplätze finden, bei denen »nichts Langfristiges« im Vordergrund steht.
- Wie kann der Einzelne sich dagegen wehren, »nicht mehr gebraucht« zu werden?
Die Antworten zu Mat. 3 können verglichen werden mit den Ergebnissen der Umfrage zur eigenen Lebensgestaltung und der Untersuchung der Wunschberufs- Profile. Gibt es eher Übereinstimmungen oder Abweichungen? Wie kann der Einzelne mit den möglichen »Bruchstellen« umgehen?
Fragenkreis 3
III. Der Wandel des Arbeitsbegriffs - eine kurze Geschichte der Arbeit
Wer sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt, muß auch einen Blick zurückwerfen, wie sich die Anschauungen über Arbeit im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder verändert haben. Schüler können aus der Geschichte ersehen, wie stark eine gewisse Arbeitsbesessenheit mit der protestantischen Ethik und dem »Geist des Kapitalismus« verbunden ist und keineswegs immer und zu allen Zeiten Gültigkeit besaß. So knüpfen Zukunftsforscher wie Bernd Guggenberger in ihren Utopien wieder an am »Modell Athen«, wenn sie ein Leben in ganzheitlicher Selbstbestimmung postulieren, in welchem Eigenarbeit und Muße ihren angemessenen Raum erhalten. Auch Paul Lafargues »Recht auf Faulheit« wird wieder neu diskutiert - von jugendlichen »Aussteigern« ebenso wie von streßgeplagten Managern. Die wichtigsten Traditionslinien aus Antike, Mittelalter und Neuzeit werden durch die Texte in Gruppen erarbeitet, wobei jede Gruppe jeweils Texte zu einer Epoche erhält. Jede Gruppe erhält zusätzlich das nachfolgende »A-B-C der Arbeit« als Einstieg ins Thema.
Mat. 5: Arbeit von A wie Anfang bis Z wie Zukunft
A_ b __ t _ et _ i _
B e _ i e_ u _ g s _ r _ e i _
Ch __ i _ a _ b _ i_ t_r
D _ e _ s tl __ s t __ g
Er __ r _ sa b it
F au na _ b __ t
Ga_ t _ r _ e i _ e r
ma _ b _ i_
In _ u _ t r __ a _ b _ i t
J_bs_c _ e
K _ de _ a _ b _ i
L_h_ a_ b __ t
Me r b e t
N b ne w rb
Op _ im _ er--_ g
Pr _ f i _ i _ r _ n g
Q_al_f_ka_i __
R _ h_ s t d
Sch rz _ r _ e t
T mw_ rk
iln eza 1 e A b
Vo i ta b
Wa d ar _ e i er
Xe _ o _lo _ ie
Y undY
Zu mm n r e
Die besonders gekennzeichneten Buchstaben ergeben eine uralte auf Arbeit bezogene Forderung! Lösungswort: R____ a__ F ______ _
Aufgaben:
- Weitere Begriffe zur Arbeit suchen!
- Die Begriffe nach folgenden Kriterien ordnen: Stammen eher aus einer früheren Zeit? Stammen eher aus der Gegenwart? Werden sie in Zukunft wichtig sein?
Einheitliche Fragestellungen, unter denen die nachfolgenden Texte bearbeitet werden sollen:
- Was wird unter dem Begriff »Arbeit« verstanden?
- Wie wird Arbeit gesellschaftlich bewertet?
- Wie bewertet der Einzelne seine Arbeit?
Unter Verwendung der Begriffe des »A-B-C« (Mat. 4) und der Kenntnisse aus der Texterarbeitung soll als Abschluss ein Aufsatz geschrieben werden, der sich mit dem Wandel der Arbeit beschäftigt. Dabei kann man z.B. aus der Sicht einer Person der jeweiligen Epoche schildern, was diese über Arbeit denkt.
Mat. 6: Arbeit in der Antike: Eine Schande für den Freien
Körperliche Arbeit wurde im Altertum nicht deshalb verachtet, weil nur Sklaven sie ausführten, sondern weil man bestimmte Beschäftigungen ihrer Natur nach als »sklavisch« ansah. Arbeiten zu müssen, bedeutet Sklave einer Notwendigkeit zu sein. Frei war derjenige, der sich andere unterwarf und sie dazu zwingen konnte, für ihn die Notwendigkeiten des Lebens zu verrichten. Arbeit wurde nicht als Ausdruck des menschlichen Wesens gesehen, sondern sie ist ganz im Gegenteil sogar für das Menschsein hinderlich.
Hier einige Zitate aus dieser Zeit (Texte von Aristoteles dürften Ethiklehrern zur Verfügung stehen):
»Ich vermag nicht zu sagen, ob die Griechen die Verachtung, mit der sie auf die Arbeit blicken, von den Ägyptern haben, weil ich dieselbe Verachtung bei den Thrakern, bei den Skythen, bei den Persern und den Lydern verbreitet finde; mit einem Worte, weil bei den meisten Barbaren diejenigen, welche die Handwerke erlernen, und selbst deren Nachfahren in geringerer Achtung stehen als die übrigen Bürger; alle Griechen werden -in diesen Grundsätzen erzogen.«
(Herodot, 484-425 v. Chr., griechischer Geschichtsschreiber, in: »Histories Apodeixis« (Forschungsbericht) Teil II)
»Die Leute, die sich mit Handarbeit abgeben, werden nie zu höheren Posten erhoben, und man hat recht. Gezwungen, den ganzen Tag zu sitzen, einige sogar, ein beständiges Feuer auszuhalten, werden die meisten von ihnen es nicht verhindern können, daß ihr Körper sich verunstaltet, und es ist kaum möglich, dass das nicht auch auf den Geist zurückwirkt. «
(Xenophon, um 430 bis 355 v. Chr., griechischer Historiker und Schriftsteller in seiner »Oikonomikos«)
»Was kann aus einem Laden Ehrenhaftes kommen? Und was kann der Handel Ehrenvolles hervorbringen? Alles, was Laden heißt, ist eines ehrenhaften Mannes unwürdig .... da die Kaufleute, ohne zu lügen, nichts verdienen können; und was ist schändlicher als die Lüge? Deshalb muß das Gewerbe derer, die ihre Mühe und Geschicklichkeit verkaufen, als niedrig und gemein betrachtet werden, denn wer seine Arbeit für Geld hergibt, verkauft sich selbst und stellt sich auf eine Stufe mit den Sklaven.«
(Cicero, 106-43 v. Chr., römischer Staatsmann, Redner und Philosoph, in: »Von den Pflichten« l 42)
Mat. 7: Arbeit im frühen Mittelalter: Das Kloster - Vorläufer der Fabrik?[2]
Eine Regel des Gründers des Benediktiner-Ordens, Benedikt von Nursia (um 480 bis 547), lautete: »ora et labora« (bete und arbeite). Der heilige Benedikt, Gründer des Klosters Montecassino, gilt als Vater des abendländischen Mönchtums. Er stellte Klosterregeln auf, die das Leben in der Gemeinschaft und die körperliche Arbeit betonten und die später von fast allen abendländischen Klöstern übernommen wurden. Den Mönchen war jeglicher Besitz untersagt, die Mahlzeiten wurden gemeinsam eingenommen und unnötige Gespräche vermieden. Einen großen Teil seiner Zeit widmete Benedikt den Nöten der einheimischen Bevölkerung und verteilte Almosen und Nahrung an die Armen. Arbeit wird hier verstanden als Sündenabtragung, »Vorarbeit« für das himmlische Paradies. Die Mönchsorden erfinden die »Zeit«, indem sie den Tagesablauf in Beten und Arbeiten strukturieren. Nach den Tagzeiten der Benediktiner richteten sich nach und nach auch alle anderen Klöster und großen Haushaltungen. Das gab dem Leben auf dem Lande einen gemeinsamen Rhythmus. Darüber hinaus wird das Kloster zum Vorbild effizienter und »nützlicher« Arbeit, denn es regelt:
- die Raumverteilung (Wer arbeitet wo?)
- Zeitverteilung (Wer arbeitet wann?)
- Hierarchieverteilung (Wer hat das Kommando?)
- Sanktionsverteilung (Was passiert, wenn ich mich nicht an die Regeln halte?)
- Arbeitsteilung- und -verteilung (Wer arbeitet was wann?)
»Vom heiligen Ostern bis Pfingsten nehmen die Brüder zur 6. Stunde die Mahlzeit ein und abends einen Imbiss. Von Pfingsten an und während des ganzen Sommers fasten sie am Mittwoch und Freitag bis zur 9. Stunde, vom 13. September bis zum Beginn der Fastenzeit nehmen sie das Mahl immer zur 9. Stunde ein[...] Sobald man zur Stunde des Gottesdienstes das Zeichen hört, läßt man alles liegen, was man in Händen hatte, und kommt in großer Eile herbei[...] Alles muß zur richtigen Zeit gehalten werden können[...] Müßiggang ist ein Feind der Seele [...] Von Ostern bis zum 1. Oktober ziehen die Brüder frühmorgens aus und besorgen von der 1. bis fast zur 4. Stunde die notwendigen Arbeiten. Von der 4. Stunde bis zur Zeit, wo sie die Sext feiern, sind sie frei über die Lesung. Wenn sie nach der Sext vom Tisch aufgestanden sind, ruhen sie auf ihren Betten, unter völligem Schweigen.«
(Aus den Regeln des Heiligen Benedikt, bald nach 500 geschrieben)
»Das Glockenläuten synchronisierte die Arbeit auf dem Lande. Die großen Glocken der Türme läuten, kleinere bimmeln und sehr kleine klingen. Alle zusammen vermitteln sie das Zeitbewußtsein der Mönche an alle und jeden. Die Glocken wurden durch Sonnenuhren, Sanduhren, Wasseruhren und später mechanische Uhren reguliert. Die Zeitplanung schuf einen gemeinsamen Schlag, begünstigte die Rationalisierung des Lebens und spiegelte einen Glauben an eine Welt, in der die Zeit ihren geordneten Verlauf nimmt. Die Bedeutung der Zeitpläne und der Zeitplanung für das Wohlbefinden aller wurde Teil der christlichen Lebensweise.«
Julius T. Fraser, Die Zeit: vertraut und fremd, Birkhäuser Verlag, Basel 1988
Mat. 8: Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus
Der Protestantismus veränderte das Bezugssystem zwischen Arbeit und Gesellschaft drastisch. Der Protestantismus erhebt die Arbeit mit den Worten der Bibel zur allgemeinen Pflicht: »So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen« (2. Thess. 3, 10). Der protestantische Gläubige arbeitete nicht für sein eigenes Seelenheil, sondern zur Ehre Gottes als dessen Verwalter auf Erden. Der Kern dieser Ethik war die rationale Selbstbeherrschung, gekoppelt mit harter Arbeit, Sparsamkeit, Selbstbeherrschung und kühler Kalkulation. Keine nutzlosen Feiertage, keine zeitraubenden Zeremonien waren gefragt, sondern ein rechtes Arbeitsethos, das gegen religiöse Zweifel, Selbstmitleid und die fleischlichen Verlockungen feite. An den Früchten ihrer Arbeit erkannte man die Auserwählten. Martin Luther, und vor allem die Reformatoren Calvin und Zwingli verankerten die Arbeit, und sei sie auch reine Qual, in der Natur des Menschen: »Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.« Diese Schwellenzeit, in der die mehr oder weniger gewaltförmige Transformation von Arbeit in ein spezifisches Berufsethos stattfindet, die Entstehung der »Berufsidee« als Grundlage der rationalen Lebensführung und damit eines entscheidenden Bestandteils des modernen kapitalistischen Geistes und überhaupt der modernen Kultur, hat vor allem Max Weber in seinen religionssoziologischen Studien untersucht. Der Protestantismus verknüpft den Beruf mit dem Berufsethos: »Du sollst um der Arbeit willen arbeiten«. Diese »protestantische Ethik« hat zum spektakulären Aufstieg des Kapitalismus beigetragen. Weber kam zu dieser Ansicht aufgrund der Tatsache, daß im 16. und 17. Jahrhundert die wohlhabendsten Gebiete in Europa protestantisch waren: »Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, - wir müssen es sein.« »[...] indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch - maschineller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dieses Triebwerk hineingeboren werden - nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen - mit überwältigendem Zwange bestimmt, vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist [...] Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist - ob endgültig, wer weiß es? - aus diesem Gehäuse entwichen.«
(Max Weber (1904), Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus, hrsg. von Klaus lichtblau und Johannes Weiß, Weinheim, S. 153)
Mat. 9: Der Arbeitsbegriff bei Marx: zweifache Entfremdung
»Die Arbeit ist ein Prozess zwischen Mensch und Natur, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörenden Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur ausser ihm einwirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit der ersten tierartig instinktmäßigen Form der Arbeit zu tun ... Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also ideell vorhanden war. Nicht dass er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt.«
»Die Arbeit produziert Wunderwerke für die Reichen, aber sie produziert Entblößung für den Arbeiter. Sie produziert Paläste, aber Höhlen für den Arbeiter. Sie produziert Schönheit, aber Verkrüppelung für den Arbeiter. Sie ersetzt die Arbeit durch Maschinen, aber sie wirft einen Teil der Arbeiter zu einer barbarischen Arbeit zurück und macht den anderen Teil zur Maschine. Sie produziert Geist, aber sie produziert Blödsinn, Kretinismus für den Arbeiter.« (ebd., S, 85 / S. 87)
Die zweifache Entfremdung Arbeit:
- vom Produkt: »Worin besteht nun die Entäußerung der Arbeit? Erstens, dass die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, dass er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Hause. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, dass, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird.« (ebd., S. 85-89 / S. 87f)
- Die Entfremdung vom menschlichen »Gattungsleben«:
»Indem die entfremdete Arbeit dem Menschen
- die Natur entfremdet,
- sich selbst, seine eigene tätige Funktion, seine Lebenstätigkeit, so entfremdet sie dem Menschen die Gattung; sie macht ihm das Gattungsleben zum Mittel des individuellen Lebens. [...] Überhaupt, der Satz, dass dem Menschen sein Gattungswesen entfremdet ist, heißt, dass ein Mensch dem andren, wie jeder von ihnen dem menschlichen Wesen entfremdet ist. Die Entfremdung des Menschen ... drückt sich aus in dem Verhältnis, in welchem der Mensch zu den andren Menschen steht.« (ebd., S. 85-891s.87f)
Quelle: Karl Marx, Das Kapital, Berlin 1947, Bd. l, S. 185 ff/ zitiert nach !ring Fetscher, Der Marxismus, München 1962, S. 86ff.
Die Texte werden unter den o.g. Fragen erarbeitet und der Klasse vorgestellt. Ergänzt werden kann die kurze Geschichte der Arbeit durch Bildmaterial, das die Arbeit von Menschen in den jeweiligen Epochen dokumentiert. Eine abschließende Diskussion könnte sich dem Thema widmen, was es bedeutet, wenn heute von einer »Krise der Arbeitsgesellschaft gesprochen wird.
Fragenkreis 4
IV. Zukunft der Arbeit als »Experimentelles Leben«?
Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung oder Vollbeschäftigung, Arbeitsmarkttheorien, Umverteilung von Arbeit und Arbeitszeitflexibilität, neue Arten von Business, Produkten und Arbeit, Humanisierung der Arbeitswelt und internationale Arbeitsteilung, all das sind Themenfelder, die bei der Zukunft der Arbeit eine Rolle spielen. Es ist im Rahmen einer Unterrichtseinheit nicht möglich, alle Seiten des umfangreichen Themas zu behandeln. Hinzu kommt, dass sich die Experten hinsichtlich der Prognosen zukünftiger Entwicklungen widersprechen. Einige sind z.B. der Meinung, dass man den negativen, oft auch psychosomatischen Konsequenzen der in sich wenig sinnträchtigen monoton-routinierten repetitiven Teilarbeit mit Job-Rotation, Job-Enlargement, Job-Enrichment und der teilautonomen Gruppenarbeit begegnen sollte, andere setzen auf die fortschreitende Automatisierung, die andererseits Arbeitsplätze vernichtet. Eine etwas ungewöhnliche Ansicht geht davon aus, dass wir uns angesichts der sozial gespaltenen Doppelwirtschaft (institutionalisiertes Beschäftigungssystem - inoffizieller Sektor) besser rechtzeitig auf eine veränderte, duale Lebens-und Tätigkeitsform (Arbeiten im formellen und/ oder informellen Sektor) einstellen sollten. Diese neue Form von »Eigenarbeit« statt »Erwerbsarbeit« kann aber auch nicht verhehlen, dass die Rolle der »bezahlten Beschäftigung« die Kernfrage jeder Arbeitsdebatte ist. Alle Prognosen für das »Ende der Arbeitsgesellschaft erwiesen sich bisher als reichlich unsicher. Nur eine Grundlagenfrage, die mit all den anderen Fragen indirekt zu tun hat, bleibt sicherlich erhalten: die Frage nach dem Lebenssinn der Arbeitsgesellschaft, nach dem Sinn der Arbeit für jeden Einzelnen. In diesem Sinne haben wir die folgenden Texte zusammengestellt.
Mat. 10: Eigenes Leben - Experimentelles Leben?
»Die Normalbiographie wird zur Wahlbiographie, zur »Bastelbiographie« (Hitzler), zur Risikobiographie, zur Bruch-und Zusammenbruchsbiographie. In der Risikogesellschaft in diesem biographischen Sinne bleiben selbst hinter den Fassaden von Sicherheit und Wohlstand die Möglichkeiten des Abgleitens und Absturzes immer präsent. Daher das Klammern und die Angst selbst in der äußerlich reichen Mitte der Gesellschaft. Trotz - oder besser: wegen - der institutionellen Vorgaben und der oft unkalkulierbaren Unsicherheit ist also fünftens das eigene Leben zur Aktivität verdammt. [...] Wesentlich ist das Tätigwerden im und am Schicksal, das damit erst zum »eigenen Schicksal«, zum eigenen Leben wird. Gemeint ist trotzdem nicht der Schmied des eigenen Glücks, auch nicht der Held, der seine Umstände meistert, oder der Architekt, der das Haus des eigenen Lebens plant, bis in die Einrichtung hinein gestaltet. Einzelne Elemente dieser Bilder treffen dennoch zu. Denn oft wird mit Trauer und Stolz über Versäumnisse und Errungenschaften berichtet; und angesichts der aufbrechenden Entscheidungsmöglichkeiten und Abstimmungszwänge kann es schon erforderlich werden, dass der einzelne zum biographischen Planungsbüro seiner selbst wird. Es kann aber auch sein, dass er ein dilettantischer Situations-Bastler bleibt. Oder scheitert. Oder alles zugleich und nacheinander der Fall ist. Falsch (im Sinne der Theorie) sind daher die Gegenmetaphern, die das (eigene) Leben als »Zementblock«, »Fels«, »Fluß«, »Kreislauf«, »Rennen im Kampf gegen Windmühlen« vorstellen. Denn ohne Aktivität im und am Schicksal ist die Rede vom »eigenen Leben« schlechterdings nicht sinnvoll. Diese Aktivitätsverpflichtung hat eine Kehrseite: Scheitern wird zum persönlichen Scheitern - in dem Sinne: es wird nicht als Klassenerfahrung in einer »Kultur der Armut« aufgefangen.« [...] »Faßt man Globalisierung, Enttraditionalisierung und Individualisierung zusammen, dann wird klar, neuntens: Das eigene Leben ist ein experimentelles Leben. Überlieferte Lebensrezepturen und Rollenstereotypen versagen. [...] Eigenes und soziales Leben müssen - in Ehe, Elternschaft ebenso wie in Politik, Öffentlichkeit, Erwerbsarbeit und Industriebetrieben - neu aufeinander abgestimmt werden.«
Quelle: Ulrich Beck u.a: Eigenes Leben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft, in der wir leben, hrsg. v. Bayerische Rückversicherung AG, München, 1997, S. 10f.
Aufgaben:
- Beispiele suchen für die Unterschiede zwischen »Normalbiographie und Wahlbiographie«!
- Diskutieren, was man unter einer »Risikogesellschaft« verstehen kann.
- "Auf diese Lebenszukunft möchte ich mich eigentlich nicht einlassen" - Fünf eigene Thesen zum »eigenen Leben« entwickeln unter der Überschrift: »Trotz alledem«!
- Situationen in der Schule beschreiben, die jetzt schon darauf abzielen, am »eigenen Schicksal« zu basteln.
Mat. 11: Experimentieren Frauen gleichberechtigt?
»In der Untersuchung der Lebensplanung junger Frauen stellen wir fest, dass-von wenigen Ausnahmen abgesehen alle Frauen davon ausgehen, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht, in dem sich ihre Lebensweise tiefgreifend verändert. Sie thematisieren die sich auflösende Orientierungsfunktion von Geschlechterrollen und geschlechtsspezifischen Lebensläufen und setzen sich mit den veränderten Anforderungen an Frauen auseinander. Dieser Wandel wird zwar von allen wahrgenommen, aber sehr unterschiedlich bewertet; ein Teil der Frauen sieht das Ende der traditionalen Lebensweise als Verlust an Einbindung und Sicherheit und erlebt die neuen Pflichten als Überforderung und Streß [...] Frauen sind in dieser Wahrnehmung aus dem Dasein als Hausfrau und Mutter vertrieben; sie müssen zusätzlich zu den überkommenen Aufgaben noch den männlichen Part spielen, die notwendigen Kompetenzen ausbilden, ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren (»hübsch sein«). Der Zugang zur Erwerbsarbeit heißt für diese Frauen im Wesentlichen, sich mit den Imperativen der Berufswelt auseinandersetzen zu müssen, doppelten Anforderungen ausgesetzt zu sein. [...] Diese Minderheit der befragten Frauen erlebt die Modernisierung ihrer Lebenslage als Verlust objektiver wie subjektiver Sicherheiten. Im Gegensatz zu dieser Gruppe hebt die Mehrheit den Aspekt der Befreiung hervor: sie begreifen die Auflösung traditionaler Einbindungen als Erweiterung von Handlungsspielräumen und akzeptieren die Herausforderung der erwerbsbezogenen Individualisierung: [...] Diese jungen Frauen sehen den Wandel der Frauenbiographie als Teil einer umfassenden Veränderung des Geschlechterverhältnisses. [...] Diese Veränderung betrifft gesellschaftliche Normen und Leitbilder für das Leben von Frauen vor der Familiengründung (»eigenes Geld verdienen«) wie auch die Übergänge in das Erwerbssystem und die Familie. Ein neuer Lebensabschnitt entsteht zwischen dem Verlassen des Elternhauses und der Familiengründung; diese Phase wird zur personalen und sozialen Verselbständigung genutzt, insbesondere aufgrund der finanziellen Unabhängigkeit und der Erfahrungen im Beruf. [...] Sie (die modernen Frauen) sehen sich selbst als Nutznießerinnen dieses Wandels - die damit einhergehenden neuen Lebensmöglichkeiten entsprechen ihren eigenen Vorstellungen. Im jungen Erwachsenenalter erfahren sie Individualisierung mehr oder weniger emphatisch als Befreiung; der Zugang zu Ausbildung und Erwerbsarbeit eröffnet Handlungsspielräume der autonomen Lebensführung. [...] Frauen folgen heute also nicht einem vorgezeichneten Weg in die Familienrolle, sondern entwickeln Unabhängigkeit und - auf dieser Grundlage - Lebensplanung.«
Quelle: Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim (Hrsg.), Riskante Freiheiten, Suhrkamp Verlag; Frankfurt a. M. 1994, S. 144-146.
Aufgaben:
- Beschreiben Sie den gesellschaftlichen Wandel dem Frauen ausgesetzt sind, und wie unterschiedlich dieser Wandel nach der Untersuchung von Beck-Gernsheim bewertet wird.
- Erläutern Sie an eigenen Beispielen die Widersprüchlichkeiten der »neuen Freiheiten« und versuchen Sie davon ausgehend eine eigene Bewertung vorzunehmen.
- Einen Entwurf zu dem Thema gestalten: So stelle ich mir als Frau/Mann mein Lebensexperiment vor.
- Mädchengruppe und Jungengruppe bilden:
a) Vor- und Nachteile der »neuen Freiheiten« aus der Sicht der Mädchen und aus der Sicht der Jungen zusammentragen.
b) Die Unterschiede in der Lebensplanung der Mädchen und der Jungen in der Klasse zusammenstellen. - Was müßte sich ändern, um Frauen eine autonome Lebensgestaltung zu ermöglichen?
Mat. 12: Erwerbsarbeit plus Eigenarbeit - Zukunftsmodell für selbstbestimmtes Leben?
"Wir erleben gegenwärtig das Neben-, Gegen- und Ineinander zweier Gesellschaften mit je eigenem Werthimmel, die alles andere als friedliche Koexistenz zweier Bewußtseinshorizonte, deren einer sich noch immer deutlich an den Notwendigkeiten der industriellen Arbeits- und Wachstumsgesellschaft orientiert, während der andere sich ebenso deutlich an den Bedürfnissen und Interessen der im Entstehen begriffenen »Freizeit-, besser: Tätigkeitsgesellschaft«, ausrichtet. [...] Erst die systematische Einbeziehung der Technik in den Produktionsprozeß hat ja unter der Vielzahl der Tätigkeiten, die der Existenzsicherung dienten, die organisierte betriebliche oder gewerbliche Erwerbsarbeit exponiert. Dieser Prozeß ist durchaus ein Stück weit umkehrbar. Der Rückgang der Erwerbsarbeit hat in vielen Bereichen der professionellen Dienstleistungsarbeit bereits »Rückholprozesse« angestoßen: Der anhaltende Boom der Do-it-yourself-Branche ist ein Indikator dafür, dass eine wachsende Zahl von Menschen bereits weitgehend professionalisierte Arbeit wieder in die eigene Regie zurückholt. Je mehr sich die Erwerbsarbeit aus dem Zentrum der Existenzsicherung und des Lebens zurückzieht, desto wichtiger werden diese in Eigenarbeit vollbrachten elementaren Lebenstätigkeiten im erweiterten hauswirtschaftlichen Bereich. Haushalt, Familie, Kindererziehung, Heim- und Gartenarbeit waren lange Zeit, noch bis an die Grenze der achtziger Jahre, eher Synonyme für Rückständigkeit; Erwerbstätigkeit und finanzielle Selbständigkeit dagegen die Insignien der Emanzipation. Dies beginnt sich allmählich zu wandeln. Auch der »zweite«, »versteckte«, im »Schatten« liegende Sektor der unbezahlten Güter- und Dienstleistungsproduktion, der eigentlich sowohl unter historischen wie systematischen Gesichtspunkten der primäre ist, rückt zunehmend in den Lichtkreis subjektiver Wertschätzung. Die lange allzu starren Grenzen zwischen häuslichen und außerhäuslichen Handlungsbereichen beginnen durchlässiger zu werden. Daneben gibt es Tendenzen, Arbeit und Privatleben grundsätzlich zu »versöhnen«, indem sie auch räumlich wieder unmittelbar aufeinander bezogen werden: In einer ganzen Reihe von alternativen Projekten, Lebensgemeinschaften, Handels- und Handwerkskollektiven wird auch versucht, Arbeits- und Lebenssphäre wieder in einen ganzheitlichen Lebensraum zu integrieren. In der Fernperspektive geht es um eine gesellschaftliche Neuaufteilung der für Lohn- und Eigenarbeit jeweils aufgewandten Zeit. [...] In der Tat gewinnen Strategien, die auf eine deutliche Verbreiterung des Anteils der in Geld nicht verrechneten Eigenarbeit abzielen, zusätzlich an Plausibilität angesichts einer Situation, in der die gesellschaftliche Arbeit langfristig knapp wird. Wer, wie im Alternativ-Szenario, den Eigenarbeitsanteil erhöht, indem er sich verstärkt der Haus-, Heim- und Gartenarbeit, der Kindererziehung, der Pflege und Betreuung von Familienangehörigen, der ausgedehnten Nachbarschaftshilfe u.a.m. widmet, der verfügt zunächst zwar möglicherweise über weniger Geld, hat aber, da er als weitgehender »Selbstversorger« auch weniger braucht, am Ende vielleicht sogar nicht nur mehr vom Leben, sondern auch noch mehr in der Kasse. In jedem Fall aber eröffnet die radikale Abkehr vom Prinzip zunehmend verfeinerter Arbeitsteilung die Chance eine »Rückeroberung des Alltags« und einer umfassenden Teilhabe an der Produktion der eigenen Lebenswirklichkeit. Das Leben und Zusammenleben der Menschen muß - jenseits der Zwänge entmündigender Expertenkulturen - zum Gegenstand von eigenbestimmter Tätigkeit werden."
Quelle: Bernd Guggenberger: Wenn uns die Arbeit ausgeht, München 1988, S. 146-149
Aufgaben:
- In welchen Bereichen wäre eine Verstärkung der Eigenarbeit denkbar?
- Eine Modellrechnung aufstellen, wie viel Geld ein Haushalt im Monat für »Fremdleistungen« aufbringen muß, die aufgrund der Berufstätigkeit nicht selbst ausgeführt werden können. (In welchen Bereichen des Haushalts würde bei einer Reduzierung der Erwerbsarbeit (= weniger Einkommen) eventuell trotzdem kein Geldverlust eintreten, z.B. Lebensmittelanbau; Wegfall des Autos etc.?
- Weitere Vorschläge überlegen, die helfen könnten, die Krise der Arbeitsgesellschaft zu überwinden.
Mat. 13: »Recht auf Faulheit« - Ein verderbliches Dogma?
Laßt uns faul in allen Sachen,/ Nur nicht faul zu Lieb und Wein,/ Nur nicht faul zur Faulheit sein.(Lessing) »Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Blinde und beschränkte Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und unwürdige Geschöpfe, haben sie das, was ihr Gott verflucht hat, wiederum zu Ehren zu bringen gesucht. [...] Ich, der ich weder Christ noch Ökonom, noch Moralist zu sein behaupte, ich appelliere von ihrem Spruch an den ihres Gottes, von den Vorschriften ihrer religiösen, ökonomischen oder freidenkerischen Moral an die schauerlichen Konsequenzen der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft. In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache des geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung. Die Philosophen des Altertums lehrten die Verachtung der Arbeit, diese Herabwürdigung des freien Mannes; die Dichter besangen die Faulheit, dieses Geschenk der Götter: Deus nobis haec otia fecit (Ein Gott schenkte uns diesen Müßiggang). (.") Und auch das Proletariat, die große Klasse der Produzenten aller zivilisierten Nationen, die Klasse, die durch ihre Emanzipation die Menschheit von der knechtischen Arbeit erlösen und aus dem menschlichen Tier ein freies Wesen machen wird, auch das Proletariat hat sich, seine Instinkte verleugnend und seinen historischen Beruf verkennend, von dem Dogma der Arbeit verführen lassen. Hart und schrecklich war seine Züchtigung. Alles individuelle und soziale Elend entstammt seiner Leidenschaft für die Arbeit. [...] Unsere Moralisten sind sehr bescheidene Leute. Wenn sie auch das Dogma von der Arbeit erfunden haben, so waren sie doch über den Einfluß desselben auf die Beruhigung der Seele, die Erhebung des Geistes und die gesunde Funktion der Nieren und der übrigen Organe nicht ganz im klaren: sie wollen die Sache erst einmal bei der Volksmasse probieren, das Experiment erst in anima vili machen, ehe sie es gegen die Kapitalisten kehren, deren Laster zu entschuldigen und gutzuheißen ihre Mission ist. Aber Philosophen zu vier Sous das Dutzend, warum denn euer Hirn so quälen, eine Moral auszutüfteln, deren Praktizierung ihr euren Brotgebern nicht anzuraten wagt? Wollt ihr euer Dogma von der Arbeit, auf das ihr euch so viel zugute tut, verhöhnt, verdammt sehen? So schlagt die Geschichte der Alten, die Schriften ihrer Philosophen und ihrer Gesetzgeber nach." »O Faulheit, erbarme Du Dich unendlichen Elends! O Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei Du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit!«
(Quelle: Paul Lafargue (1842-1911), Das Recht auf Faulheit und andere Satiren, Querdenker, Berlin 1991, S. 10 f - Dieses Manifest entstand 1883; Lafargue war der Schwiegersohn von Karl Marx (!))
Aufgaben:
- Wie begründet Lafargue sein »Recht auf Faulheit«?
- Warum lehnt er die Forderung nach »Recht auf Arbeit« ab?
- Die Idee von nur drei Stunden Arbeit pro Tag hat bereits Thomas Morus im Jahre 1500 beschäftigt. Zukunftsforscher erheben ebenfalls verstärkt die Forderung (anknüpfend an Lafargue) auf ein »Recht auf Muße«. Wie realistisch sind heute die Durchsetzungschancen?
- Gemeinsam ein Manifest für das neue Jahrtausend verfassen, mit dem das Ergebnis der Unterrichtseinheit zusammengefaßt wird: Zukunft der Arbeit - wir Jugendlichen fordern: ...
Zum selben Thema ist in der Ethik-Reihe Lebensfragen erschienen: Bernd Hainmüller, Beruf Lebenskünstler, Verlag an der Ruhr, Mülheim 1999, 50 Kopiervorlagen zu den Themen: Arbeit - Beruf - Lebensgestaltung.
Anmerkungen
[1] Als Einstieg kann auch der Video-Film von Marina Mann »Schule aus, was dann?« (Laufzeit: 47 min.) gezeigt werden. Er ist eine Momentaufnahme zur subjektiven Lage von Jugendlichen in München am Ende ihrer Schulzeit aus dem Jahre 1995. Er ist ein Projekt der AG Friedenspädagogik e.V. im Auftrag der BMW AG und in Zusammenarbeit mit dem Stadtjugendamt München (1997 by BMW; Referat Öffentlichkeitsarbeit, München
[2] Bilder zu diesem Themenbereich finden sich bei: Hubertus Treiber/Heinz Steinert, Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen: Über die Wahlverwandtschaft von Kloster- und Fabrikdisziplin, München 1980