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Arbeitserfahrung als Methode der Berufsorientierung

Bernd Hainmüller

Rezension von Prof. Lothar Beinke, in: das Schullandheim, Heft 3 1997, S. 30ff. 

Diese Arbeit, die jetzt als erster Band der Freiburger Beiträge zur Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik erschienen ist, lag der Pädagogischen Hochschule Freiburg i.Br. als Dissertation vor. Mit ihr wurde der Verfasser promoviert. Betreut wurde die Arbeit von Xaver Fiederle und Wolfgang Schwark. Diese Besprechung ist exklusiv für die Fachzeitschrift „das Schullandheim" geschrieben. Sie schließt sich damit dem Engagement für die Thematik und auch für die Verbindung zu dem damaligen Schullandheim-Modellversuch an, an dem Bernd Hainmüller mitwirkte. Der damalige Modellversuch verschaffte dem Autor den Zugang zu den Informationen, Materialien und Daten, die für diesen Vergleich notwendig waren. Seine Arbeit ist darüber hinaus auch als allgemeiner Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion hoch zu gewichten, da solche vergleichenden Arbeiten viel zu selten vorgelegt werden - was wegen des Arbeitsumfanges verständlich ist - , und weil diese Arbeit engagiert auf Erkenntnisgewinnung und praktische Lösungsansätze zu dem Thema der Berufsorientierung abstellt. Um ein wichtiges und besonders tragendes Ergebnis dieser Arbeit vorwegzunehmen: Hainmüller geht einerseits einschränkend mit dem Prozeß der Berufsorientierung um, indem er die Arbeitserfahrung als einen Bestandteil der ·Berufsorientierung wählt, gleichzeitig aber die Arbeitserfahrung als Methode, d.h. als mehrfach reflektierend gebrochene Vorgehensweise zur Verbesserung der Berufswahlmöglichkeiten auffaßt. Arbeitserfahrung also nicht als naive Konfrontation mit Tätigkeiten und deren Haltung und Entscheidung im Berufswahlprozeß, sondern als Methode in einem notwendigen Lernortverbund zwischen verschiedenen Institutionen. Ein Schlüsselkapitel zum Verständnis des Ansatzes ist das Kapitel „Arbeitserfahrung - der passende Schlüssel zur Arbeitswelt?" Hainmüller weist einleitend darauf hin: „Was heute „regierungsamtlich" als „Anspruch" von Schülern anerkannt wird, nämlich die Welt der Arbeit „aus erster Hand', d.h. durch eigene praktische Erfahrung, kennenzulernen, das wurde noch vor wenigen Jahrzehnten nicht so gesehen." (S. 101) Die Längsschnittuntersuchung hat bestätigt, was auch in anderen Forschungen auf diesem Gebiet und anderen Modellversuchen immer wieder als Ergebnis herausgestellt werden konnte: Die Arbeitserfahrungsprogramme sind aus ihrer schulischen Randexistenz deutlich in die Mitte des außerunterrichtlichen Geschehens vorgerückt. Stand die Ausgangssituation noch unter der Notwendigkeit von Arbeitserfahrung um jeden Preis, so wurde dieses im Laufe des Ansatzes in ein Gesamtkonzept aufgenommen. Nicht nur Betrieb und Arbeit sind jetzt Allheilmittel für die Lösung, sondern Lernprogramme, die direkte Arbeitsprogramme vorbereiten, begleiten und nachbereiten. 

Abb. 1:  Cover der Ausgabe

Die Arbeit Hainmüllers ging nach einer Einführung in die generelle Bedeutung von  Arbeitserfahrungen für die Identitätsfindung Jugendlicher zur geschichtlichen Entwicklung von Arbeiten und Lernen in England und Deutschland über. Dabei setzte sich der Verfasser das Ziel, Arbeiten und Lernen miteinander zu verbinden. Diese beiden Wege hat er länderspezifisch nachvollzogen: In Deutschland wurde versucht, der Lernarbeit allmählich den Vorrang zu geben, in England trafen Arbeit und Lernen im Sinne einer utilitaristischen Industriebildung aufeinander. Der Übergang von der Schule in das Arbeits-und Berufsleben stellte die Probleme dar.Daran anschließend wurden die Arbeitserfahrungsprogramme geschildert. Mit der Erprobung von didaktischen Modellen zur Arbeitserfahrung haben sie zumindest in England der Wiedereinsetzung von Arbeit als einem methodischen Lernprinzip zum Durchbruch verholfen. Der Autor stellt dann am Schluß die Frage nach dem lebenslangen Lernen durch Arbeitserfahrung und resümiert gewissermaßen, daß der naive Glaube, es werde schon zu akzeptablen Problemlösungen für den Übergangsbereich kommen, wenn man diesen Bereich nur informationstechnisch besser durchdringe und ihn arbeitsmarktpolitisch mit Hilfe einzelner Strukturhilfen angemessen versorge, als ungeeignet verworfen werden muß. Nach der sehr gründlichen analytischen und verstehend interpretierten Thematik im Sinne der Längsschnittstudie als vergleichender Ansatz erscheint es weniger gelungen, wenn der Autor sich einem systemkritischen und, wie es scheint, auch kulturpessimistischen Ansatz zuwendet, indem er - an Oskar Negt orientiert - eine Prognose wagt. Er verwirft zwar den utopischen Ansatz von Andre Gorz, er reflektiert aber weniger die durch die Entwicklung bereits relativierte Prognose von Kern/Schumann und verfällt dabei sogar auf die polemische Begrifflichkeit wie „ Regenbogengesellschaft" von Josef Huber. Bei dem ohne Zweifel hohen Wert, den man dieser Untersuchung zuerkennen muß, sind diese Auslassungen keineswegs schmälernd zu verstehen. Es muß jedoch davor gewarnt werden, daß Versuche, Schule als gesamtgesellschaftliche Reparaturgesellschaft auch für die Arbeitslosigkeit zu sehen, fehlgehen würden, insbesondere, da der Hinweis auf Mertens sich nicht empirisch belegen läßt, da höhere Qualifizierung auch (relativ) bessere Sicherung vor Arbeitslosigkeit bedeutet.