StartseitePublikationenBernd HainmüllerFreiburger Bombennacht November 1944

Freiburger Bombennacht

Elisabeth Linnenschmidt über die Nacht vom 27.-28.11.1944

Bernd Hainmüller

Vorbemerkung

Im Zuge der Recherche zur Hitlerjugend Freiburgs habe ich auch ein Interview mit Elisabeth Linnenschmidt geführt. Ihre Schilderung des Luftangriffs vom 27.11.1944 konnte aus Platzgründen nicht in das Buch aufgenommen werden. Deshalb sei ihr an dieser Stelle für die lebendige Schilderung gedankt. (B.H.)

Der Schlüssel existierte noch, aber das Haus dazu war nicht mehr da

Mein Geburtshaus stand in Unterlinden, an der Ecke zur Predigerstraße. Dort wohnten wir bis zum englischen Luftangriff am 27. November 1944 gegen 20 Uhr abends. Als die ersten Bomben fielen, stand ich gerade unter der Haustür, um mit meiner Freundin zum abendlichen Unterricht zu gehen. Wir waren unsicher, denn es hatte bis dahin keinen Alarm gege­ben. Doch wurden es immer mehr Einschläge, und sie kamen immer näher. So rannten wir alle ohne noch irgend etwas oben holen zu können, in den Keller. Erst dann schrillten die Sirenen. Es ging nicht lange, bis bei uns die Fensterscheiben klirrten. Beim nächsten Schlag zerbarsten die Schaufensterscheiben des Ladens. Dann hörten wir direkt bei uns Mauern zusammenstürzen, die Erschütterung war so stark, daß wir glaubten, das eigene Haus sei zusammengestürzt. Der Dreck flog uns um Augen, Mund und Nase, und ich überlegte mir, wie lange man wohl so noch zu Atem kommen kann, ehe man erstickt.

Nun erinnerten wir uns an den Durchbruch zum Nachbarhaus, der nur leicht zugemauert war und fingen an, ihn durchzuschlagen. Einige von uns, auch meine Freundin, schlüpften hindurch. Ich soll­te sie wochenlang nicht mehr sehen. Doch ich wollte lieber hinauf auf die Straße, denn es war inzwischen ruhiger geworden, die Einschläge waren aus größerer Entfernung zu hören. Da kamen auch meine Verwandten aus dem gegenüberliegenden Haus, um nach uns zu schauen. Wir und sie hatten zum Glück keinen Volltreffer erhalten, die Häuser standen noch. Doch rückwärts, in der Predigerstraße und am gegenüberliegenden Eck brannte alles lichterloh. Ebenso im westlichen Teil von Unterlinden: Das St. Vinzentiushaus, ein Altersheim, war von einer Luftmiene getroffen, die Trümmer lagen brennend bis ca. 4 m hoch über die Straße hin. Nirgends schien ein Durch­kommen möglich. Der einzige Weg hinaus auf den Rottecksplatz , also ins Freie, führte über diesen brennenden Trümmerhaufen. Ich hatte meine schwer gehbehinderte Großmutter am Arm, wie sollten wir da zwischen den Flammen hindurchkommen? Wir versuchten es trotzdem. Doch oben auf dem feurigen Trümmerberg stürzte meine Großmutter, und die Aufregung der Nachfolgenden war so groß, daß sie uns zu überrennen drohten. Ich weiß nicht, wie ich es schaffte, die alte Frau wieder auf die Beine zu stellen und doch noch glücklich herunterzukommen, weg von dem Flammen­meer.

Am Ausgang des Unterlindenplatzes bot sich uns ein furchtbarer Anblick: Die Häuser der Fried­richstraße brannten alle auf der ganzen Linie in den oberen Stockwerken. Es sah aus, wie der Brand von Rom aus den Schulbüchern. Auf der anderen Seite brannte das große Pfründnerhaus, auch ein Altersheim, ebenso davor ein Löschzug der Feuerwehr. Mit jedem Stockwerk, das die Flammen er­faßten, explodierte vermutlich ein weiterer Teil der Gasleitung.

Wir suchten Schutz im Colombi-Park. Doch das Schlößchen stand abweisend, verschlossen in der Nacht. Nur unten, im Kellereingang, fanden wir Zuflucht. Da saßen wir nun auf einer Steintreppe mit unserer Oma und sahen dem schaurigen Schauspiel zu: Die Funken stieben wie Schneeflocken vom Himmel. Die Menschen schleppten Bettzeug und sonst allerlei Habe auf den Rasen vor dem Schloß, immer damit beschäftigt, die Funken abzuwehren, die leicht alles entzünden konnten.

Meine Schwester war nicht bei uns. Sie hatte am Feierabend freiwilligen Krankendienst in der Uniklinik geleistet. Was würde sie wohl erlebt haben, und wann würden wir sie wieder finden oder sie uns? Sie kam zu später Nachtstunde ganz erschöpft bei uns an, nachdem sie das Bahnhofsgelände überqueren und dabei viele Leichen buchstäblich hatte übersteigen müssen. Irgendwoher war ihr schon unser Aufenthaltsort mitgeteilt worden.

Mitten in der Nacht kam auf einmal der Ruf, daß die Bäume des Parks von der Poststraße her auch Feuer gefangen hätten und wir hier nicht bleiben könnten. Doch wo sollten wir hin, wo ringsum alles brannte und wir mit der Großmutter kaum vorwärts kamen? Es kam zum Glück nicht bis zu uns. Als dann der Morgen heraufzog, versuchte ich mich in Richtung Stadttheater durchzuschlagen, um bei Bekannten Hilfe zu erbitten. Sie gaben mir ein Leiterwägelchen. Dahinein setzten wir dann die Groß­mutter und zogen weinend aus der brennenden Stadt bis nach Littenweiler zur Schwester der Groß­mutter. Doch die Wohnung war viel zu klein für 6 Personen. So mußten wir bald weiterziehen ins Un­gewisse hinein.

Es begann für uns, die wir vorher ein großes Haus besaßen, eine bittere Zeit: obdachlos, um Unter­kunft für eine 5köpfige Familie bettelnd, schliefen wir nachts in Gasthäusern auf dem Boden oder der Ofenbank. Ich weiß noch, wie ich mich freute, als mir jemand eine Zahnbürste schenkte! Wenn das gleiche Schicksal auch noch viele andere Menschen getroffen hatte, so fühlten wir uns doch aus­gestoßen und als lästige Bettler, bis wir dann nach vielen Wochen endlich gute Menschen fanden, die uns aufnahmen, obwohl sie sich selber dafür sehr einschränken mußten. Dort erhielten wir dann auch zum ersten Mal Gelegenheit, uns den Dreck vom Kopf zu waschen. Um die Möglichkeit einmal baden zu dürfen, wagten wir aber nicht zu bitten.

Am Tag nach dem Bombenangriff versuchten wir, durch die Stadt zu kommen. Wir kannten uns nicht mehr aus. Überall lagen Berge von Schutt, rauchend, schwelend, stinkend. Die Kaiser-Josefstraße (damals Adolf-Hitler-Str) war um viele Meter höher so zugeschüttet, daß die Nebenstraßen, nicht einmal Salz- und Bertoldstraße noch auffindbar waren. Doch das Münster stand noch, wenn auch beschädigt. Es erschien uns wie ein Wunder, und es war für uns ein großer Trost. Denn Freiburg ohne Münster hätten wir uns nie denken können.

Als wir uns schließlich bis zu unserem Haus durchgekämpft hatten, war auch dieses völlig abge­brannt. Nur die stabilen Eckpfeiler ragten noch in den Himmel. In diesem Moment fand ich in mei­ner Rocktasche den Hausschlüssel. Ein seltsames Gefühl: Der Schlüssel existierte noch, aber das Haus dazu war nicht mehr da.