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Auf dem Weg zu einem europäischen Lehrerprofil

Bernd Hainmüller

Vom Polarkreis bis Andalusien

Vorbemerkung:
Als europäischer Koordinator habe ich von 2003 - 2006 für das Staatliches Seminar für Lehrerbildung und Didaktik GHS Offenburg das erste baden-württembergische Comenius 2. 1.- Projekt im Rahmen des Socrates-Programms der Europäischen Kommission geleitet. In einem dreijährigen Feldversuch haben sieben europäische Lehrerbildungseinrichtungen eignungsdiagnostische Maßnahmen in der Lehrerausbildung erprobt, die dazu führen sollten, Elemente eines gemeinsamen euro-päischen Lehrerprofils herauszuarbeiten und der Lehrerausbildung aller EU-Staaten zur Verfügung zu stellen. Einige der Ergebnisse finden sich auf dieser homepage unter den Artikeln: Identifying the Potential for teaching; Exploring values in Teacher Education und Eignungsdiagnostik in der Lehrerausbildung. Leider wurde die homepage von APT 2010 durch den schwedischen Partner gelöscht, so dass Interessenten nur über eine Nachricht an mich mehr erfahren können.

Der Polarkreis Mitte Dezember ist mit Sicherheit kein Ort, den man aufsucht, um die Landschaft zu betrachten. Zu dunkel ist es schon gegen 14 Uhr und eine trockene Kälte von bis zu 30 Minusgraden ist auch nicht jedermanns Sache. Dennoch fiel hier der Startschuß für ein bisher einmaliges Projekt in der Lehrerausbildung, bei dem Baden-Württemberg eine entscheidende Rolle spielt.

Lehrer/innen können mit der Abkürzung „AC“ gemeinhin wenig anfangen. Ein Assessment-Center“ (englisch »Beurteilungszentrum«] ist jedoch ein in der Wirtschaft häufig eingesetztes eignungsdiagnostisches Instrument, bei dem Berufssituationen möglichst realitätsnah in stan-dardisierten Spiel- und Testsituationen simuliert werden, um den oder die geeignetsten Bewerber/innen für spezifische Berufe oder Berufsfelder herauszufinden. Ob man sich einzelner Elemente eines solchen Verfahrens für die Ausbildung von Lehrern bedienen kann, darüber zerbrachen sich die Teilnehmer der Sitzung am Polarkreis in den hellen und warmen Räumen der Luleå tekniska universitet in Nordschweden den Kopf. Eingeladen hatte sie das Staatliche Seminar für Lehrerbildung und Didaktik (GHS ) in Offenburg. 

Hier wird schon seit längerem am Einsatz von eignungsdiagnostischen Maßnahmen für die Lehrerausbildung gearbeitet. Die zugrunde liegende Fragestellung ist schon lange bekannt: Was braucht ein angehender Lehrer für seine fast dreißigjährige Berufsbiographie? Was ist das ideale Anforderungsprofil für den Lehrerberuf, das die Lehramtsanwärtern/innen rechtzeitig erfahren müssten? Kann man mit abgewandelten Formen von AC´s an der Nahtstelle zwi-schen erster und zweiter Phase der Lehrerausbildung den angehenden Lehrern Hilfestellungen geben, die die vielfältigen Anforderungen an den Lehrerberuf beleuchten und dem Teilnehmer an einer eignungsdiagnostischen Maßnahme in faier und angemessener Form zurückgespiegelt werden? Das Fachwissen soll, gepaart mit Methodenkenntnissen, didaktischen Fähigkeiten und kommunikativen Kompetenzen in der ersten Phase im Mittelpunkt stehen. In der zweiten Phase, spätestens im eigenverantwortlichen Unterricht, rücken aber andere, bisher eher ver-nachlässigbare inter- und intrapersonalen Merkmale des Lehrerberufs in den Vordergrund. Fragen wie: Wie gehe ich mit Stress um?; Was sind meine stabilen Persönlichkeits-eigenschaften, die mich zum Lehrer befähigen?; Zu welchem Wertegefüge stehe ich? Wo und wie ausgeprägt ist meine Vorbildfunktion vorhanden etc.? sind für die Berufstüchtigkeit eines Junglehrers von großer Bedeutung. Nur: Wie kann man sie handelnd erfahren? 

Am Seminar Offenburg wurde ab 2000 mit der Zielrichtung gearbeitet, den angehenden Lehrerinnen und Lehrern möglichst genaue Rückmeldungen über ihre Stärken und Lernfelder zu geben, so dass die Referendare eine gute Arbeitsorientierung für die zweite Phase ihrer Ausbildung erhalten. Folgende Instrumente sind etabliert:

- Ein standardisiertes Eingangsinterview, mit dem Wissen und Können aus der ersten Phase der Ausbildung, also den PH´en, erfasst wird

- Ein Face-to-Face-Interview, bei dem es um den bisherigen beruflichen Werdegang, die Berufsentscheidung und Erfahrungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen geht.

- Pilotprojekte von eignungsdiagnostischen Maßnahmen (EdM), bei der die Teilnehmer/innen unter den Augen geschulter Beobachtungen Übungen durchlaufen und anschließend eine Rückmeldung über ihre Stärken und ihre Lernfelder erhalten. Ziel der Eignungsdiagnostik ist, sich seiner Stärken und Lernfelder zu Beginn einer fast 40jährigen Berufsbiographie als Lehrer selbst zu versichern. Nach anderthalbjähriger intensiver Trainingszeit, während der die Mitarbeiter/innen des Seminars für ihre Beobachteraufgaben geschult wurden, werden die eignungsdiagnostischen Maßnahmen nun den Lehreranwärtern des neuen Kurses 2004 auf freiwilliger Basis erstmalig angeboten –Mehr als die Hälfte des Kurses – 65 Personen – nutzen dieses Angebot. Die Übungen werden alleine, zu zweit und in Gruppen absolviert; die Aufgabenstellungen stammen aus dem beruflichen Feld: Planung eines Elternabends, Vorbereitung eines Schullandheimaufenthaltes etc. Die Rückmeldung erfolgt im geschützten Raum unter vier Augen; rückgemeldet wird nur das, was die Beobachtergruppe im Einvernehmen entschieden hat.

An diesem Punkt setzt das Comenius 2. 1. Projekt: „Eignungsdiagnostische Maßnahmen für Referendare/innen“ (Originaltitel: Appraisal of potential for teaching - APT) an. Die Genehmigung der Europäischen Kommission für das Projekt – verbunden mit einem Volumen von fast 450.000€ - hat eine lange Vorgeschichte am Seminar Offenburg. Begonnen hatte das Seminar schon vor drei Jahren mit einem obligatorischen Eingangsinterview, bei dem in einem standardisierten Verfahren Lehramtsanwärtern/innen Auskunft darüber geben sollen, welchen Fundus an Wissen und Können sie aus der ersten Ausbildungsphase (PH) für die zweite Phase (Referendariat) mitbringen. Sehr bald erwies sich, dass die Erhebung dieser Merkmale nicht ausreichte, um zu einem Anforderungsprofil zu gelangen, das die persönlichkeitsrelevanten Faktoren einbezog, d. h. sowohl die Stärken als auch die Lernfelder der angehenden Lehrer in der zweiten Phase berücksichtigte, um zu möglichst individuell passgenauen Ausbildungsin-halten zu kommen. Erstmals ab dem Kurs 2004 sollen jetzt in Offenburg „eignungsdiagnostische Maßnahmen (EdM)“ einen Bogen zum Persönlichkeitsinventar schlagen. Das Ergebnis der bisher auf freiwilliger Basis angebotenen Maßnahme ist überraschend gut. Rund die Hälfte der 120 Lehramtsanwärter/innen erklärte sich bereit, eine EdM zu absolvieren.

An diesen Vorarbeiten des Seminars Offenburg dockt das Comenius 2. 1. – Projekt für die nächsten drei Jahre an. Ziel des Projektes ist es, gemeinsam mit sechs anderen Lehrerausbildungsseminaren (in Estland, Spanien, Irland, England, Belgien und Schweden) die Offenburger Erfahrungen zunächst zu multiplizieren, die entsprechenden Trainer der Maßnahmen auszubilden, um dann eigene eignungsdiagnostische Maßnahmen in der eigenen Einrichtung mit Lehramtsanwärtern durchzuführen.

Die Implementierung solcher neuartigen Begleitprozesse in der Lehrerausbildung in Europa ist allerdings nicht so einfach, wie es scheint. Haltungen und Einstellungen, die unabdingbar zum Beruf des Lehrers/in gehören, variieren von Land zu Land ebenso wie der kulturelle Hintergrund, in den die angehende Lehrerpersönlichkeit eingebettet ist. So betonten die Vertreter Estlands (Tallinna Pedagoogikaülikool) ebenso wie die Vertreter Schwedens (Luleå tekniska universitet) und Spaniens (Facultad de Ciencias de la education – Universidad de Granada) beim ersten Treffen, dass in ihren Ländern der Lehrerberuf ein gesellschaftlich hoch respektierter Beruf sei, dem die Öffentlichkeit, die Eltern und die Schüler große Hochachtung entgegenbrächten. Dies wiederum scheint nach Aussagen des britischen Vertreters ( Edge Hill College of Higher Education, Liverpool) und der belgischen Vertreterin (Provinciale Hoge-school Limburg) in ihren Ländern eher weniger der Fall zu sein. Auch die Ausbildungsprozesse und die Ausbildungsinhalte in den sieben Ländern unterscheiden sich sehr stark, vor allem in Hinsicht auf die Zulassung zu einem Lehramtsstudium und die letztendliche Entscheidung über die Einstellung in den Lehrerberuf – all das sind Faktoren, die bei der Entwicklung eines europäischen Lehrerprofils Eingang finden müssen. Einer leichten Aufgabe haben sich die Partner des APT- Projekts wahrlich nicht gestellt. Übereinkunft besteht darin, dass man sich beschränken wird auf sieben bis zehn Hauptfaktoren, die unabdingbar in allen vertretenen Ländern zum Standard des Lehrerberufs gehören. Dazu zählen Haltungen und Einstellungen gegenüber der Integration Behinderter, Werteerziehung, gender mainstreaming, Elternmitarbeit, Migranten und Gewalt an der Schule. Über die übrigen dazugehörigen Anforderungsprofil - Teile wird es beim zweiten Treffen in Granada genügend Diskussionsstoff geben.

Abb. 1:  Erstes Treffen war in Lulea (Schweden) nahe des Polarkreises, Dezember 2003



Abb. 2:  Abschlußtreffen in Tallinn 2006


Erste Ergebnisse des APT-Projektes sind gegen Jahresende 2004 zu erwarten. Dazu gehören die Entwicklung eines diagnostischen Instruments in der jeweiligen Landessprache, das bei Referendaren eingesetzt werden kann, um berufliche Einstellungen und Haltungen zu identifizieren. In einem zweiten Schritt sollen Möglichkeiten der adäquaten Veränderung sichergestellt werden, die für eine professionelle Entwicklung notwendig sind. Die detaillierte Auswertung des laufenden Projektes und der Aussagekräftigkeit des diagnostischen Instrumentes soll durch eine externe Evaluation (University of Helsinik - Prod. Pertti Kansanen und Prof. Matti Meri) sichergestellt werden. Schweden wird eine Homepage mit Informationen über das Projekt unterhalten, um das Projekt europaweit bekannt zu machen. Sie bildet auch die Plattform für Veröffentlichungen in Form von Fallstudien, Glossar, Bibliographie und Zwischenberichten über das laufende Projekt. Der Aufbau eines europaweit organisierten Netzwerkes von systematisch trainierten Beobachter/innen wird bis dahin ein gutes Stück vorangekommen sein. Man darf gespannt sein, wie weit das Projekt am Ende seiner Laufzeit (Januar 2007) einen Beitrag zu einem europäischen Lehrerprofil hat leisten können.